„Hören wir als Kirche erst mal zu!“
Ein Gespräch mit dem bayerischen Planungsreferenten Pfarrer Thomas Prieto Peral über Prognosen und protestantische Skepsis, über Motivation und über die Herausforderung, einen einfachen Zugang zur Liebe Gottes zu ermöglichen.
In der evangelisch-lutherischen Kirche Bayerns macht man sich seit vier Jahren Gedanken über die Zukunft der Kirche. Der landeskirchliche Zukunftsprozess trägt das Kürzel PuK: „Profil und Konzentration“. Ein Gespräch mit dem bayerischen Planungsreferenten Pfarrer Thomas Prieto Peral über Prognosen und protestantische Skepsis, über Motivation und über die Herausforderung, einen einfachen Zugang zur Liebe Gottes zu ermöglichen.
Herr Prieto Peral, wie entstand „PuK“?
Das war ursprünglich der Arbeitstitel einer Debatte im Finanzausschuss der Synode – „Profil und Konzentration“. Als in der Bayerischen Landeskirche klar wurde, dass die Einnahmen zurückgehen werden, ging die Debatte los: Wo soll, wo kann Geld eingespart werden? Als ich im Jahr 2015 dazustieß, überlegten wir in einem kleinen Team, wie wir der deprimierenden Abwärtsspirale solcher Kürzungsrunden entkommen können. Es sollte diesmal nicht losgehen mit einer Kürzungsliste der Kirchenleitung. Wir wollten uns erstmal klar werden, wo wir als Kirche überhaupt hinwollen!
Der erste Schritt war, von einer Erhaltungs- zu einer Gestaltungs-Debatte zu kommen. Wir begannen mit einer großen Zukunftswerkstatt in der Evangelischen Akademie Tutzing. Die Synodalen und der Landeskirchenrat entwickelten dabei gemeinsam Ideen.
Wie haben Sie den Denkprozess begonnen?
Prieto Peral: Wir haben ein Experiment gewagt: Wir haben verschiedene Zukunftsszenarien überspitzt dargestellt. Zum Beispiel: Wie sähe die Zukunft der Kirche aus, wenn sie durch und durch unternehmerisch arbeiten würde? Wie würde sie aussehen, wenn sie nur von Spenden und nach dem Armutsideal leben würde? Wie sähe eine Kirche aus, die nur auf Gemeinden baut – oder eine, die sich ganz von ihren Diensten her versteht? Die Vorstellung dieser Extreme empfanden viele als sehr anregend und sie hat Bewegung ins Denken gebracht. Es wurde klar, was alles zu klären ist.
Dann erschienen Thesen.
Prieto Peral: Ja. Im nächsten Schritt haben wir die Ergebnisse der Diskussion in sieben recht kurze Thesen formuliert. Sie wurden in der Landeskirche breit diskutiert. Dabei haben sich zwei Themen als besonders wichtig herausgestellt. Das erste steht eher etwas versteckt. Da heißt es, dass es Auftrag von uns als Kirche sei, den Menschen mit ihren heutigen Lebensfragen „einen einfachen Zugang“ zur Liebe Gottes zu ermöglichen. Diese Formulierung hat sehr viel ausgelöst.
War das für Sie überraschend?
Prieto Peral: Ja, dass gerade hier so viel Energie steckte, war überraschend. Aber dieser Satz benennt ein allgemeines Gefühl, dass wir in der Kirche oft zu kompliziert sind. Unsere Sprache ist kompliziert, unsere Strukturen sind es auch. Über den "einfachen Zugang" können Ehrenamtliche genauso diskutieren wie Hauptamtliche. Bis heute werde ich in Gemeinden auf diese Formulierung angesprochen. Ein Theologieprofessor erwiderte allerdings, Theologie müsse auch Anspruch haben und nicht nur einfach sein; Glaube bedeute eben immer auch eine gewisse Herausforderung.
Die zweite Formulierung, die ordentlich Bewegung brachte, klingt im Grunde ähnlich einfach: „Wir müssen zuerst klären, worin unser Auftrag besteht.“ Also: Wofür ist Kirche da, wozu sind wir gerufen, hier und heute? Erst wenn Antworten auf diese Fragen gefunden sind, sollten wir über Strukturen nachdenken. Methodisch haben wir mit fünf elementaren Grundaufgaben angesetzt, die spielerisch mit Kärtchen „verankert“ wurden. Auftragsklärung ist konkrete Basisarbeit und kann nicht zentral entschieden werden: Neu auf die Menschen um uns herum hören, und mit ihnen lernen, was Kirche vor Ort heute sein kann. Das sind inspirierende Lernwege! Im Dekanat Feuchtwangen haben die Gemeinden mit Dutzenden Vertreterinnen und Vertretern des örtlichen Lebens so gearbeitet und so ihr Thema – Familienarbeit – gefunden. Was wir nicht brauchen, sind abgelutschte Allgemein-Formeln über ein Standardbild von Kirche.
Gab es bei so viel Umstellungen auch es Widerstände?
Prieto Peral: Bis heute herrscht sicher auch Skepsis gegenüber den Ideen von PuK. Das gehört zur protestantischen DNA. Für manche allein aus dem Grund, dass der Prozess von der Kirchenleitung angestoßen wurde. Das stimmt zwar, aber genau mit dem Ziel, die Gemeinden mündiger zu machen und vieles zu dezentralisieren. Wir haben bis jetzt in mehr als 200 Veranstaltungen mit fast 10 000 Menschen gearbeitet, und das geht jetzt eigenständig vor Ort weiter. Letztlich muss es aber auch Entscheidungen geben. Die Ergebnisse der Diskussionen und die Impulse aus den Gemeinden müssen in Rahmenentscheidungen fließen, die Kirchenleitung treffen muss.
Wie sehen jetzt die nächsten konkrete Schritte aus?
Prieto Peral: Das war die erste Phase der Beteiligung. Deren Ergebnisse wurden im Lindauer Synodenbeschluss 2019 festgehalten. Jetzt steht der nächste Schritt an: Es muss auch umgesetzt werden!
In den Gemeinden und Dekanatsbezirken ist das die begleitete Arbeit an ihren Schwerpunkten, um dann zur Stellenplanung zu kommen. Je intensiver diese „PuK-Phase“ gelingt, desto schlüssiger kann die Planung von Personaleinsätzen vor Ort vereinbart werden. Da macht sich eine Gemeinde auf zu echter Quartiersarbeit. Andere machen Kasualien zu einer wichtigen Aufgabe und geben dahinein auch Personal – dafür fallen vielleicht drei von sechs Predigtstellen im Gemeindegebiet weg. Wieder andere schaffen einen Aufbruch bei der Konfirmandenarbeit, als Kooperationsprojekt mit entsprechenden Entlastungen.
Es steht eine Vikariatsreform an, in der wir durchbuchstabieren: Wie bilden wir unseren Nachwuchs aus – hin zu mehr Eigenverantwortlichkeit, mehr gabenorientiertem Arbeiten, mehr Kommunikation des Evangeliums statt One-Way-Verkündigung. Die Pfarrerinnen und Pfarrer sollen stärker den Sozialraum als Klangkörper der kirchlichen Arbeit verstehen – uns sind neben der Ortsgemeinde auch die Diakonie, die Fachdienste oder der Lebensraum Schule wichtig.
Eine große Stellschraube, wo man in der Kirche Geld bewegen kann, sind Immobilien. Auch da braucht es das auftragsorientierte Denken: Wozu sind wir Kirche vor Ort – und was bedeutet das konkret für unseren Immobilienbestand? Unser Partnerschaftszentrum Mission EineWelt hat sein Campuskonzept komplett neu entworfen, als örtliche und inhaltliche Kooperation im Sinne von PuK. Anderes Beispiel: Eine Kirchengemeinde im Nördlinger Ries suchte Geld für die notwendige Renovierung des eigenen Gemeindehauses. Dann hat unsere Bauabteilung gesagt: Versucht doch mal, mit der Kommune zu kooperieren. So entstand ein phänomenales Dorfgemeinschaftshaus, ein Begegnungszentrum, das von Kommune, Vereinen und Kirchengemeinde gemeinsam genutzt wird – und von allen gemeinsam finanziert wurde. Kirche ist auf diese Weise mitten drin im Dorfleben.
Mit welchen Prognosen arbeitet denn PuK?
Prieto Peral: Unser Landeskirchenrat hat sich für die anstehenden Entscheidungen vorgenommen, auf der Basis von Ehrlichkeit, Offenheit und Vertrauen zu handeln. Zur Ehrlichkeit gehören solide Zahlen. Die basieren auf der Freiburger Studie und eigenen – noch vorsichtigeren – Prognosen. Das heißt bei einem mittel-pessimistischen Szenario: In zehn Jahren müssen wir bis zu zwanzig Prozent einsparen. Gleichzeitig wird sich laut Personalprognose der Pfarrerbestand in den nächsten fünfzehn Jahren fast halbieren. Ähnlich sieht es bei den Religionspädagogen und Kirchenmusikern aus. Nur die Diakoninnen und Diakone haben viel Nachwuchs.
Daraus ergibt sich: Wir haben gar nicht in erster Linie ein Finanzproblem. Wir haben das Problem, dass wir bezahlbare Stellen nicht mehr besetzen können. Dieses Nachwuchsproblem hat wiederum mit öffentlicher Wahrnehmung von Kirche zu tun. Und das führt wieder zur Ausgangsfrage: Wir müssen wissen, wozu wir da sind, um Menschen für Kirche und dann für unsere kirchlichen Berufe begeistern zu können.
Wann werden Entscheidungen getroffen?
Prieto Peral: Die nächsten drei Jahre werden wichtig. Da soll der neue Landesstellenplan nach PuK-Logik umgesetzt werden. Durch Corona ist dabei eine Unwucht entstanden, denn die inhaltliche Arbeit vor Ort wurde ausgebremst und der Sog der Strukturen wurde wieder groß. Aber wenn ich erlebe, mit welcher Kreativität und Leidenschaft mancherorts gearbeitet wird, dann habe ich keine Sorgen, dass wir als Kirche zu unseren Themen finden werden. Die Corona-Situation hat auf erstaunliche Weise die Lust am Experiment und den Mut zum Ausprobieren freigelegt. Gut so!
Wird denn auch im Landeskirchenamt reformiert?
Prieto Peral: Selbstverständlich. Wenn sich das Amt nicht bewegt, brauchen wir auch nicht zu erwarten, dass sich vor Ort was verändert. Wir müssen auch im Kirchenamt Aufgabenkritik vollziehen. Etwa fragen: Muss so viel im Amt entschieden und genehmigt werden? Welche Aufgaben können dezentralisiert werden? Natürlich bedeutet ein Abbau an Zentralverwaltung auch ein Mehr an Eigenverantwortung vor Ort und für jeden persönlich. Aber ich glaube, die Zeit ist jetzt reif, den Schritt zu machen weg von der Betreuungskirche, hin zu kreativen Freiräumen.
Das Interview führte Uwe Birnstein.
Weblinks:
Video mit Thomas Prieto Peral
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Projekte, die Thomas Prieto Peral beeindrucken:
Thomas Prieto Peral wurde 1966 in Mainz geboren und war nach dem Theologiestudium als Vikar und Pfarrer in Gemeinden in Oberfranken und München tätig, bevor er in das Ökumenereferat der Landeskirche berufen wurde. Dort war einer seiner Arbeitsschwerpunkte die Hilfe für die Christen des Nahen Ostens. Er leitete viele Jahre die internationale Traumaorganisation „Wings of Hope“. 2015 wurde er theologischer Planungsreferent der Landeskirche. Er ist Teil des Leitungsteams des kirchlichen Reformprozesses „Profil und Konzentration“.
Kontakt:
Projektbüro Profil und Konzentration
Katharina-von-Bora-Straße 7-13
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E-Mail: puk@elkb.de
Telefon: 089 5595 219