Deutung des Todes Jesu

Viel ist gestritten worden über das richtige Verständnis

Kruzifix auf dem Altartisch in der Bartholomaeus-Kirche in Golzwarden

Horst Gorski, Vizepräsident des Kirchenamtes der EKD, zum Kreuzestod: „Jesu Tod am Kreuz ist das Ende aller Gottes­bilder. Es erzählt von dem wahren Gott, der mit den Mitteln der Vernunft nicht zu fassen ist.“ 

Das Kreuz Jesu ist der Erkenntnisgrund aller wahren Rede von Gott. „Denn Gott war in Christus und versöhnte die Welt mit ihm selber“ (2 Kor 5,19). So ist alle Rede über das Kreuz Rede über Gott. Es ist bekannt, wie schwer sich die ersten Chris­ten mit dem Kreuz taten. Den Juden war es ein Ärgernis, den Heiden eine Torheit, schreibt Paulus (1 Kor 1,23). In den Katakomben von Rom finden sich Wandzeichnungen, auf denen der Gekreuzigte mit einem Eselskopf dargestellt ist. Soll heißen: Nur Esel glauben an einen gekreuzigten Gott.

Jesu Tod am Kreuz ist das Ende aller Gottes­bilder. Es erzählt von dem wahren Gott, der mit den Mitteln der Vernunft nicht zu fassen ist. Es redet von einem Gott, der berührbar ist, der sich in seiner ganzen souveränen Freiheit ins Menschsein hat verwickeln lassen, bis in den Tod. Aus Liebe ist Gott Mensch geworden, am Kreuz durch die Gewalt von Menschen gestorben und danach auferstanden. Gott hat sich aus Liebe hingegeben, gerade darin ist er Gott. Das Kreuz Jesu ist damit auch der Erkennt­nisgrund aller wahren Rede vom Menschen. Denn das Leben der Menschen ist im Kern nicht Gier, Kampf, Aggression und Gewalt, sondern liebende Hingabe an Gott und die Menschen. Das Kreuz Jesu legitimiert nicht etwa Gewalt, es überwindet die Gewalt. Jedes Kreuz, das wir aufhängen oder zeigen, ist ein Mahnmal gegen Gewalt und für die Liebe.

Jesu Tod am Kreuz versteht sich nicht von selbst. Es bezeichnet so sehr den Einbruch des „ganz anderen“ in unsere Welt, dass es unser Verstehen übersteigt. Wer glaubt, das Kreuz verstanden zu haben, hat es nicht verstan­den. Es bleibt ein Bedeu­tungsüberschuss, der sich nicht einholen lässt. Das Kreuz als Erkenntnis­grund aller wahren Rede von Gott weist auf einen Gott als „Geheimnis der Welt“, wie Eberhard Jün­gel formulierte.

Viel ist gestritten wor­den über das richtige Ver­ständnis des Kreuzestodes Jesu. Die ersten Christen, die Juden waren, deuteten den Tod in Analogie zum Ritual am großen Versöhnungsfest, dem „Jom Kippur“. Es ist im 3. Buch Mose, Kapitel 16, be­schrieben. Da wird die Sünde des Volkes symbo­lisch einem Bock auf die Schultern geladen, der anschließend in die Wüste getrieben wird, wo er stirbt und die Sünden des Volkes mit in den Tod nimmt. Dieser Vorgang wird als „Sühne“ bezeich­net, man spricht deshalb vom Sühnetod Christi.

„Das Kreuz Jesu legitimiert nicht etwa Gewalt, es überwindet die Gewalt.“

Horst Gorski Vizepräsident des Kirchenamtes der EKD

Daneben stehen in der Heiligen Schrift andere Deutungen, wie die von Jesus als Passahlamm oder das Bild des Loskaufes. Schon die Vielzahl der Deutungen im Neuen Testament zeigt, wie die Christen von Anfang an um das richtige Ver­ständnis des Todes Jesu gerungen haben. Prägend ist später besonders die Lehre des Anselm von Canterbury geworden, der sich den Tod Jesu in juristischen Kategorien seiner Zeit erklärte und ihn als Genugtuung zur Wiederherstellung der Ehre Gottes verstand. Dies nennt man die „Satis­faktionstheorie“. Allerdings ist Anselm oft miss­verstanden worden, als hätte ein zorniger Gott zu seiner Besänftigung den Tod seines Sohnes ver­langt. Entscheidend ist auch für Anselm, dass am Kreuz Gott selbst zur Erlösung für die Menschen in den Tod gegangen ist.

Strittig ist, wie viel am Gebrauch bestimmter For­mulierungen hängt. Ob man zum Beispiel unbe­dingt an der Formulierung festhalten muss, dass Jesus uns „durch sein Blut erlöst hat“. Sind Über­setzungen in andere Formulierungen möglich oder geht damit die inhaltliche Substanz verloren? Die Kritiker neuer Ansätze zum Verständ­nis des Todes Jesu haben insofern recht, als oft nur eine blasse moralische Deutung übrigbleibt. Wenn einfach nur ein besonders guter Mensch hingerichtet wurde und wir dies als moralische Botschaft für heute begreifen sollen – dann ist das zwar an und für sich genommen nicht falsch, bleibt aber hinter der vollen Botschaft weit zurück.

So steht jede Übersetzung der Deutung des Todes Jesu in moderne Sprache, moderne Bilder und Gedanken vor der Aufgabe, den vollen Ge­halt der Botschaft aus­zuschöpfen – und wenn dies nicht möglich ist, weil die Botschaft auf einem Geheimnis gründet, dann aber diesem Geheimnis eben den Raum zu lassen, den Gott in der Welt be­anspruchte, als er in Jesus Christus Mensch wurde. Jede angemessene Rede vom Tode Jesu muss also sozusagen „nach oben of­fen“ bleiben, muss dem Geheimnis Raum geben. Das Geheimnis Gottes lässt sich nicht in eine Schachtel frommer Sprache packen und in die Westentasche stecken. Das vergessen gelegentlich diejenigen, die glauben, mit der Wiederholung der alten Formeln sei schon alles gesagt.

Der Tod Jesu am Kreuz erschließt sich nur von der Auferstehung her. Als Tod allein betrachtet, könnte alles aus sein. Gott sel­ber wäre tot, für immer und ewig, wenn es kein Ostern gäbe. Der Gott, der sich aus Liebe zu den Menschen der Gewalt von Menschen ausgeliefert hat, eines gewaltsamen Todes gestorben ist, ist stärker als die Gewalt und holt das Nichts wieder ins Sein. Fortan braucht kein Mensch Angst zu haben, ins Nichts zu stürzen. Gott hat das Nichts zurück ins Sein geholt. Deshalb wird auch der Mensch ins Sein zurückgeholt und leben. In dieser geheimnisvollen Hingabe an die Menschen erweist Gott nicht nur seine Liebe, er erweist sich selbst als Liebe. Im Tode Jesu am Kreuz tut die Liebe ihre größte Tat: Sie gibt sich hin für andere. Zu Ostern wird diese Liebe beglaubigt: Sie lebt. Und wir mit ihr.

Horst Gorski
Vizepräsident des Kirchenamtes der EKD


Der Text ist erschienen im Magazin „Grüße aus dem Kirchenjahr“.