Interview mit Bischöfin Petra Bosse-Huber zum Tag der Menschenrechte, 10. Dezember 2022
Der Tag der Menschenrechte 2022: Was bedeutet dieses Datum angesichts der ausgerufenen Zeitenwende, die der russische Angriffskrieg und in der Folge ungeheures Leid und die Erschütterung vieler Gewissheiten markieren?
Es bedeutet, genau hinzuschauen, was warum geschieht und zu benennen, wer welche Verantwortung trägt. Sich zu konzentrieren auf das, was jetzt unbedingt Not tut: zu helfen und zu handeln. Und damit klar einzustehen für die Rechte und die Freiheit von Menschen, die brutal unterdrückt, verfolgt und getötet werden. Aber das heißt auch, dass wir dafür Kraft schöpfen aus dem, was uns verheißen: Wir sind im Advent, der Zeit der Ankunft von Gottes Sohn in dieser geschundenen Welt. Das ist für uns die Zeitenwende: Gott kommt und mit ihm sein Licht und seine Wahrheit!
Es gäbe eine lange Liste von Menschenrechtsverletzungen, auf die hinzuweisen ist. Welches Thema beschäftigt Sie gerade in besonderer Weise?
Die Verteidigung der Rechte von Frauen, der Hälfte der Menschheit. Es ist einfach beschämend, skandalös, dass wir noch immer – und offenbar immer deutlicher – klar machen müssen, dass Menschenrechte eben auch Frauenrechte sind! Weil nichts selbstverständlich ist, mehr noch, weil die Angriffe auf die Rechte von Frauen zunehmen: Das beginnt bei der Ungleichbehandlung im Arbeitsalltag und geht bis zu geschlechtsspezifischer Gewalt, also der Gewalt gegen Frauen, weil sie Frauen sind. Ich denke dabei nicht nur an Staaten wie Iran. Auch in Europa, auch in Deutschland ist jede dritte Frau mindestens einmal in ihrem Leben von Gewalt betroffen. Deswegen werden wir in der kommenden Zeit als Kirche besonders die Rechte von Frauen und Mädchen in den Blick nehmen. Wir planen eine Publikation und wollen auch mit Veranstaltungen auf das Thema aufmerksam machen.
Was kann die Kirche für die Verteidigung der Menschenrechte tun?
Wir können immer wieder ins Bewusstsein rufen, dass jeder Mensch als Ebenbild Gottes geschaffen und mit unverbrüchlicher Würde ausgestattet ist, dass wir alle vor Gott gleichermaßen geachtet sind. Jede Menschenrechtsverletzung ist damit ein Angriff auf das Heilige selbst.
In den letzten Jahren haben wir als EKD viele unterschiedliche Menschenrechte thematisiert – Pressefreiheit, das Recht auf Wohnen, Kinderrechte, Menschenrechte und Digitalisierung und vieles mehr. Und wir setzen nicht zuletzt auf Bildungsarbeit: seit Jahren tourt die EKD-Ausstellung „freiundgleich“ durch Deutschland und ist in Kirchengemeinden, Schulen und vielen Einrichtungen für junge Menschen und Erwachsene zu erleben. Hier zeigen wir, welche Rechte jeder und jede Einzelne hat, wie wichtig es für das Zusammenleben ist, die Rechte des/r anderen zu respektieren und wofür wir uns persönlich einsetzen können. Dass die Ausstellung so stark nachgefragt wird, zeigt, wie groß das Interesse an solcher Bewusstseinsbildung und dem Thema Menschenrechte ist.
Aber wie gehen Sie damit um, dass es, trotz vielfachen Einsatzes für Menschenwürde und Recht, immer wieder diese massiven Rückschritte gibt, dass die Mittel von Krieg und Gewalt offener immer stärker sind?
Dann geht es darum, Gegengeschichten zu erzählen, Geschichten vom sinnvollen, guten Leben, die es trotz allem, was geschieht, ja auch gibt. Nur, dass sie weniger wahrgenommen werden. Es geht darum, von Menschen zu erzählen, die sich nicht abbringen lassen, für Recht und Freiheit einzustehen. Es geht für uns als Kirche darum, uns zu vernetzen, Unterstützung zu geben, z.B. die Stimme derer zu sein, die mundtot gemacht werden. Es geht darum, die Menschen, die gebeugt werden und gebrochen werden sollen, wissen zu lassen: Wir sind an Eurer Seite. Wir lassen Euch nicht allein, gerade dann, wenn es schwierig wird. Ich denke in diesen Tagen besonders an Maria Kolesnikava: an diese starke, kluge, lebensfrohe Frau, die vom belarussischen Diktator so furchtbar gequält wird und die, gemeinsam mit vielen anderen Inhaftierten, dennoch nicht aufgibt!
Wir alle leben von Geschichten, die gut ausgehen, so, wie es die Menschen von Anfang an getan haben und wovon die Bibel so viel zu sagen hat. Umso wichtiger ist es, solche Erfahrungen weiterzugeben. Ich verstehe dies auch als Auftrag, den Gott uns gibt: Botschafter*innen des Lebens zu sein in einer Welt, in der so viel Gewalt geschieht, in der Menschen so viel Leid zugefügt wird. Die Adventszeit ist deshalb für uns eine starke Kraftquelle, denn sie zeigt, dass das Dunkel nicht das Ende und nicht das Letzte ist. Sondern dass Gottes Licht immer größer und stärker sein wird.
Infobox
Die ausleihbare EKD-Menschenrechtsausstellung „freiundgleich“
Die EKD-Menschenrechtsbroschüre für die Kinder- & Jugendarbeit
Weitere EKD-Materialhefte zum Thema Menschenrechte
Die EKD-Solidaritätsaktion mit den politischen Gefangenen in Belarus
Alle Materialien sind kostenlos erhältlich – sowohl digital wie auch gedruckt.