Ex-Bundesministerin: „Patriarchaler Ton doch noch sehr präsent“

Präses der EKD-Synode, Irmgard Schwaetzer, über Gleichberechtigung in Politik und Kirche

Vor fast 30 Jahren wurde Irmgard Schwaetzer für die FDP Bauministerin im Kabinett des damaligen Bundeskanzlers Helmut Kohl (CDU). Zum 100. Jahrestag des Frauenwahlrechts erklärt sie im Gespräch mit dem Evangelischen Pressedienst (epd), wie das war, ob sie für eine Quote in Parlamenten ist und wie es um die Gleichberechtigung in der evangelischen Kirche bestellt ist, für die sie sich heute engagiert. 

Irmgard Schwaetzer, Präses der Synode der EKD

Die Präses der EKD-Synode und frühere Bundesministerin, Irmgard Schwaetzer.

Frau Schwaetzer, als Sie Bundesministerin im vierten Kabinett von Kanzler Helmut Kohl (CDU) waren, gehörten Sie mit Ministerinnen wie Angela Merkel (CDU) und Sabine Leutheusser-Schnarrenberger (FDP) zu einer absoluten Minderheit. Wie war das?

Irmgard Schwaetzer: Im Kabinett selbst habe ich in keiner Weise Ungleichbehandlung erlebt. Dort zählte der sachliche Beitrag. In Koalitionsgesprächen oder bei anderen Gelegenheiten war ein eher patriarchaler Ton aber doch noch sehr präsent. Der äußerte sich in Ungeduld, wenn ich als Frau noch einmal hart verhandeln wollte.

Kanzlerin Merkel hat bezogen auf ihre Person und ihr Amt gesagt, eine Schwalbe mache noch keinen Sommer. War die erste Bundeskanzlerin also kein Meilenstein für die Gleichberechtigung?

Schwaetzer: Ich denke, ihre Kanzlerschaft wird sich auswirken. Die Wirkung wird langfristig zum Zuge kommen. Angela Merkel hat als Frau das Amt der Bundeskanzlerin ausgefüllt und geprägt ohne ihr Frausein ins Spiel zu bringen. Das gleiche gilt auch für den Osten: Viele Frauen im Osten lehnen diese Kanzlerin ab, weil sie sich nicht als Ost-Frau positioniert. Genau das wird aber in meinen Augen auf lange Sicht zu der Einsicht beitragen, dass Frauen ein Amt anders führen können als Männer, aber genauso gut.

Für die Regierung gilt heute Parität bei der Besetzung der Ministerposten. Sollte das auch für Wahllisten und Parlamentsmandate gelten?

Schwaetzer: Ich bin seit langer Zeit eine Befürworterin der Quote bei der Besetzung politischer Ämter. Während sich durch das Auftreten der Grünen und Linken die Chancen für Frauen erhöht hatten, erleben wir gegenwärtig wieder, dass konservative Politikansätze dazu beitragen, dass Frauen schlechtere Chancen haben. Das kann man nur überwinden, indem man klare Quoten vorschreibt auf den Wahllisten der Parteien. Ich glaube, anders geht es nicht.

Aktuell engagieren Sie sich vor allem in Ämtern der evangelischen Kirche. Wie gut ist es dort um die Gleichberechtigung von Frauen bestellt?

Schwaetzer: Es ist in den einzelnen Bereichen sehr unterschiedlich. Das Forschungszentrum der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD) für Genderfragen hat dazu geforscht. Ergebnis: Vor allem in den Synoden und auf der Gemeindeebene ist die Mitbestimmung von Frauen deutlich gewachsen. Gut genug ist es dennoch nicht. Nur in der EKD-Synode haben wir tatsächliche Parität mit einem Anteil von 47,8 Prozent.

Woran liegt das?

Schwaetzer: Es gibt vor allem ein Problem in der evangelischen Kirche: Bei vielen Männern, auch Frauen, sind alte Rollenbilder noch wirksam. Die Frage, ob eine Frau zur Kandidatur antritt, wird sehr davon bestimmt, wie sie das mit ihrer Familie vereinbaren kann. Die Frau wird immer noch als diejenige gesehen, die als erste Verantwortung für die Familie trägt. Ein zweites Problem besteht darin, dass es für die allermeisten Ämter Gremien gibt, die Vorschlagslisten aufstellen. Dort sind laut unserer eigenen Forschung die alten Rollenbilder besonders wirksam. Es werden also schon weniger Frauen vorgeschlagen als möglicherweise bereit wären zu kandidieren, ganz sicher aber weniger, als qualifiziert wären.

epd-Gespräch: Corinna Buschow


Der 2. Ergänzungsband zum „Atlas zur Gleichstellung von Frauen und Männern in der evangelischen Kirche in Deutschland“ steht unten zum Download bereit. Gedruckte Exemplare können im Studienzentrum für Genderfragen unter info@sfg.ekd.de bestellt werden. Rückfragen an Antje Buche, Studienzentrum der EKD für Genderfragen, Tel. 0511/554741-39.

Cover “Frauenwahlrecht in der Kirche – Ergänzungsband 2“

Frauenwahlrecht in der Kirche

Ergänzungsband 2 zum Atlas zur Gleichstellung von Frauen und Männern in der evangelischen Kirche in Deutschland