Verhandlung über „Judensau“ geht in die nächste Instanz
Was mit der „Judensau“-Skulptur an der Wittenberger Stadtkirche geschieht, soll jetzt das Landgericht klären
Wittenberg (epd). Über den Fortbestand eines umstrittenen mittelalterlichen, antisemitischen Reliefs an der Wittenberger Stadtkirche wurde am 7. Mai vor dem Amtsgericht der Lutherstadt verhandelt. Im Rahmen einer Zivilklage fordert ein Mitglied einer jüdischen Gemeinde aus Berlin von der Wittenberger Kirchengemeinde die Entfernung der als „Judensau“ bekannten Schmähskulptur. Zur Begründung hieß es, das mehr als 700 Jahre alte Relief beleidige und diffamiere jüdische Mitbürger. Da die Kirchengemeinde die Entfernung der „Judensau“ bislang abgelehnt habe, gebe es keine andere Möglichkeit als den Klageweg. Dabei stützt sich der Kläger unter anderem auf das Antidiskriminierungsgesetz.
Richter Thomas Tilch erklärte das Amtsgericht mit Verweis auf den zu hohen Streitwert für nicht zuständig. Damit gab der Amtsrichter dem Antrag des Klägeranwalts statt, das Verfahren an das Landgericht Dessau-Roßlau zu überweisen. Zuvor war der Versuch eines Vergleichs zwischen den Streitparteien gescheitert.
Zu hoher Streitwert
Tilch erklärte, das Amtsgericht dürfe nur Streitwerte von bis zu 5.000 Euro verhandeln. Im Fall der „Judensau“ liege er jedoch in etwa doppelt so hoch. Zuvor hatte Klägeranwalt Ludwig Benecke erklärt, ein Steinmetz habe ihm gegenüber die Kosten für eine eventuelle Entfernung des Reliefs auf rund 10.000 Euro beziffert.
Das Sandsteinrelief aus dem Jahr 1305 zeigt einen Rabbiner, der einem Schwein unter den Schwanz schaut und Juden, die an den Zitzen der Sau trinken. Im Mittelalter wurden durch solche Abbildungen, die auch an anderen Kirchen in Deutschland zu finden sind, Juden geschmäht. Die Debatte um die Wittenberger „Judensau“ hatte im vergangenen Jahr zum 500. Reformationsjubiläum erneut an Schärfe zugenommen.
Gemeinde will Skulptur als Mahnmal erhalten
Wer die Juden ihrer Menschenwürde beraube, beraube jeden Menschen seiner Menschenwürde, sagte Kläger Michael Düllmann nach der Verhandlung. „Wenn die Juden zu Schweinen erklärt werden können, kann jeder Mensch zu einem Schwein erklärt werden.“
Die Stadtkirchengemeinde hatte sich in der Vergangenheit für den Verbleib des historischen Reliefs an der Außenfassade ihrer Kirche ausgesprochen. Stadtkirchenpfarrer Johannes Block bekräftigte nach der Verhandlung die Position der Gemeinde, mit dem Originalobjekt am Originalschauplatz verantwortlich der Geschichte gedenken zu wollen. Zugleich äußerte der Pfarrer Verständnis für die Position des Klägers. Natürlich handele es sich bei der „Judensau“ um ein verspottendes Schmähobjekt, und „es wäre fatal, wenn so eine Plastik keine Erschütterung auslösen würde", sagte Block.
Es gehe jedoch auch um die Frage der Gedenkkultur, fügte der Pfarrer hinzu. Die Gemeinde sei davon überzeugt, dass Geschichte zugegeben werden müsse und nicht verborgen werden dürfe. Man müsse mit der „negativen Geschichte so umgehen, dass etwas Positives daraus wird“. Die Stadtkirchengemeinde hatte bereits 1988 ein Mahnmal eingeweiht, das sich unter anderem kritisch mit der Schmähplastik befasst. Auch der Stadtrat sprach sich für einen Erhalt der Skulptur aus.
Reformator Martin Luther (1483-1546) hetzte besonders in seinem Spätwerk gegen Juden. Die evangelische Kirche setzte sich anlässlich des Reformationsjubiläums 2017 wiederholt mit dieser Schattenseite des Reformators auseinander. Der Überlieferung nach veröffentlichte Luther am 31. Oktober 1517 an der Wittenberger Schlosskirche seine 95 Thesen mit Kritik an der Kirche seiner Zeit. Der Thesenanschlag gilt als Auslöser der weltweiten Reformation, die die Spaltung in evangelische und katholische Kirche zur Folge hatte.