Wenn der Chatbot die Geheimnisse der Kirche verrät
Schüler entwickeln eine Kirchenführung per Smartphone für die St. Katharinenkirche in Hamburg
Langsam schlendern zwei Damen mittleren Alters durch das Mittelschiff der Hamburger Hauptkirche St. Katharinen. Sie lassen ihre Blicke schweifen, unterhalten sich in gedämpftem Ton. Ihre volle Aufmerksamkeit gilt dem beeindruckenden Gebäude. Ganz im Gegensatz zu der jungen Frau, die mit Kopfhörern im Ohr immer wieder auf ihr Smartphone schaut, bevor sie den Kopf in den Nacken legt und hoch an die Decke starrt. Neugierig, was es da zu sehen gibt, folgen die alten Damen dem Blick, doch sie erkennen nichts außer vielen kleinen Punkten.
Schließlich fassen sie sich ein Herz und sprechen die junge Frau darauf an. „Da in der Mitte der Decke kann man den großen Wagen erkennen“, erklärt sie ihnen freundlich. Jetzt, wo die beiden Frauen wissen, wonach sie suchen müssen, verstehen sie gar nicht mehr, warum es ihnen nicht sofort aufgefallen ist.
„Ich hätte es auch nicht bemerkt, wenn mich der Chatbot nicht darauf hingewiesen hätte“, tröstet die junge Frau die anderen beiden. Was denn ein Chatbot sei, fragen die beiden Älteren und so kommen sie ins Gespräch. „Der Chatbot ist quasi wie ein Audioguide im Museum – nur halt fürs Smartphone. Sie tippen eine Nummer ein und dann bekommen sie Informationen“, erklärt die junge Frau.
Kirchenführung per Smartphone
Sie zeigt ihnen, wie sie auf die Seite des hellokatharinen-Chatbots kommen und wie der Chatbot funktioniert. Die beiden Frauen sind begeistert und verbringen gut eine halbe Stunde damit, durch die Kirche zu laufen und sich die verschiedenen Sehenswürdigkeiten anzuschauen, die der Chatbot hellokatharinen ihnen erklärt. „Ohne die Informationen wären wir wahrscheinlich nach fünf Minuten schon wieder mit der Kirche durch gewesen“, erzählen die beiden der jungen Frau und bedanken sich nochmal für den Tipp, bevor sie gut gelaunt die Kirche verlassen.
Verantwortlich für die Kirchenführung per Smartphone sind Friederike Wenisch und Ines Woermann. Wenisch ist zu dem Zeitpunkt Religionslehrerin am Gymnasium in Hamburg Altona und Woermann ist Mitbegründerin des Startups „helloguide“, das sich auf Chatbots spezialisiert hat. Durch Zufall lernen sich die beiden Frauen kennen und ihnen wird schnell klar, dass sie ein gemeinsames Chatbot-Projekt für eine Kirche realisieren wollen.
In St. Katharinen finden sie eine Kirche, die ihr Vorhaben unterstützt, und so steht Ines Woermann schon im November 2018 vor Friederike Wenischs Oberstufenkurs und erklärt den Schülerinnen und Schülern, wie ein Chatbot und die dahinterliegende Technik funktioniert. „Ich fand es echt faszinierend, zu erfahren, was da alles hinter steckt und wie viel Arbeit es macht, so etwas zu kreieren“, erinnert sich Franca, eine von Friederike Wenischs Schülerinnen in dem Reli-Kurs.
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Aus religionspädagogischer Sicht ist die Erstellung des Chatbots quasi eine Praxisanwendung des Unterrichtsthemas „Christologie“. „Wir haben über Jesus-Bilder in Kunst und Literatur gesprochen sowie über die Jesus-Bilder in den Evangelien. Und Kirchen sind ja quasi steingewordene Christologie“, sagt Wenisch. Sie ist ein großer Fan davon, mit ihren Schülerinnen und Schülern auf Exkursionen Dinge vor Ort zu erleben und im persönlichen Gespräch zu erfahren. Deswegen besucht sie kurze Zeit später mit ihrem Kurs die St. Katharinenkirche und lässt die Schülerinnen und Schüler die Kirche zuerst für sich entdecken.
„Ich finde es besonders spannend“, so Ines Woermann, „wenn man die Jugendlichen mal selbst entscheiden lässt, was sie an einer Kirche interessiert, ohne von vornherein zu sagen, welches die theologisch bedeutendsten oder historisch wertvollsten Gegenstände sind.“ So könne man womöglich eine Auswahl an Themen erhalten, die auch andere Jugendliche interessiere. Denn die Interessen von Jugendlichen und Erwachsenen gingen ja doch manchmal auseinander.
Später kommt mit Inge Hansen eine Kirchenpädagogin hinzu, die den Kurs durch das Gotteshaus führt und den Schülerinnen und Schülern Rede und Antwort zu den Gegenständen steht, die sie sich für den Chatbot ausgesucht haben. Bei Franca ist es das Weihnachtsfenster. „Ich finde Kirchenfenster generell einfach sehr interessant, weil sie für mich so richtig den Charakter einer Kirche ausmachen. Die schönen Farben und die Motive sind etwas ganz Besonderes“, erzählt die Abiturientin.
Vielfalt der Formen und Methoden
Mit den Informationen, die sie von Inge Hansen bekommen haben, und weiteren Recherchen im Internet fangen die Schülerinnen und Schüler an, die Inhalte für den Chatbot zu gestalten. „Sie haben dann überprüft, welche Geschichten aus der Bibel den Fenstern, dem Altar oder den Türen zugrunde gelegt sind und haben mit den Methoden, die wir im Unterricht behandelt haben, nochmal das Leben Jesu stärker unter die Lupe genommen“, erzählt Friederike Wenisch. Die Präsentationsformen im Chatbot reichen von reinen Textinhalten über Bilder und Text bis hin zu kleinen Präsentationen samt Sprechtext.
Besondere Kenntnisse im Programmieren braucht Friederike Wenisch für die Arbeit dank der ausgeklügelten Plattform von „helloguide“ nicht, stattdessen sind andere Fähigkeiten gefragt: Audio- und Videoschnitt zum Beispiel, da die Einreichungen der Schülerinnen und Schüler je nach Motivation qualitativ recht unterschiedlich sind. Grundsätzlich ist sie mit dem Ergebnis und dem Lerngewinn ihrer Schülerinnen und Schüler sehr zufrieden. „Ich glaube zum einen, dass sie gelernt haben, verschiedene Medien zu nutzen und Wissen auf verschiedenen Kanälen zu transportieren“, sagt Wenisch, „und zum anderen glaube ich, dass sie ein eigenes Verständnis für Kirchengebäude entwickelt haben und jetzt verstehen, dass alles in einer Kirche mit Symbolik und tiefergehendem Sinn aufgeladen ist.“
Aus Schülersicht findet Franca diese moderne Umsetzung des Unterrichtsthemas Christologie gut: „Es hat mir viel mehr Spaß gemacht, die Sachen selbst zu entwickeln, die man sich auch selbst ausgesucht hat, statt im Frontalunterricht einfach etwas vorgesetzt zu bekommen. Und ich habe auch mehr gelernt und es bleibt mehr hängen, weil ich mir das Ganze selbst erarbeitet habe.“ Außerdem sei die Vorstellung, dass fremde Touristen aus ganz Deutschland sich am Ende ihr Video ansehen und von ihr lernen, eine große Motivation gewesen. „Es ist cool und ich bin total stolz auf das, was wir da geleistet haben“, erzählt Franca.
Geschichten hinter den Gegenständen entdecken
Das kann sie auch sein, schließlich ist der Chatbot sogar mit dem „Andere Zeiten“-Missionspreis ausgezeichnet worden. „Das Projekt ist ein hervorragendes Beispiel dafür, fremdes Territorium wie eine Kirche jugendgemäß zu erschließen und zugänglich zu machen“, lobt Jurymitglied Barbara Viehoff auf der „Andere Zeiten“-Homepage.
Die Kritik, dass ein Chatbot niemals das persönliche Gespräch ersetzen könne, lässt Ines Woermann ziemlich kalt. Denn aus ihrer Sicht ist das gar nicht das Ziel des „hellokatharinen“-Chatbots. Er soll eher ein Angebot für die Gelegenheiten sein, bei denen niemand anwesend sei, um die Fragen der Besucher zu beantworten. „In der Regel sieht man die Geschichten nicht, die hinter diesen bedeutsamen Gegenständen und der Kirche als Ganzes stehen“, sagt Ines Woermann und ergänzt, dass man immer nur das sehe, was man schon wisse oder was einem jemand anderes vor Ort sage. „Mit einem Chatbot kann man viel über Kirchen erfahren, auch wenn gerade niemand da ist, der es einem erzählt.“ So müsse es dann nicht mehr vorkommen, dass Besucher eine Kirche genauso ratlos verlassen, wie sie sie betreten haben.
Lena Christin Ohm (evangelisch.de)