Die Wächter der Kirche

Küster – ein vielseitiger Beruf mit Tradition

Kuester Lutz Pesler saugt den Altarraum der Dresdner Frauenkirche

Küster Lutz Pesler saugt den Altarraum der Dresdner Frauenkirche. In vielen Orten können sich nur noch Schwerpunktkirchen in Großstädten hauptamtliche Küster leisten.

Sie halten Kirchen sauber, stellen Blumen auf den Altar und führen kleine Reparaturen aus. Wenn eine Kirche einladend wirkt, ist das oft auch der Küsterin oder dem Küster zu verdanken. Doch es gibt unter ihnen immer weniger Hauptamtliche.

Lothar Püster gehört zu den Menschen, deren Augen leuchten, wenn sie über ihre Arbeit sprechen. Der Mittfünfziger ist Kirchenvogt – oder Küster oder Mesner, wie der Beruf in anderen Gegenden genannt wird. Seit kurzem ist er in St. Andreas tätig, einer Kirche im Zentrum von Braunschweig, deren Bau um 1160 begann. Zuvor hatte Püster eine von zwei Vollzeit-Stellen am Dom der niedersächsischen Stadt inne.

Kirchenvögte halten die Kirche in Ordnung. Außerdem nehmen viele von ihnen Aufgaben im Gottesdienst wahr. Lebhaft erinnert sich Lothar Püster an den Gottesdienst in der Osternacht 2018. Er beginnt traditionell um 23 Uhr. Im Dom war es dunkel und still. Hunderte Augenpaare folgten Püster, während er, begleitet vom Gesang des Domchores, die Osterkerze hineintrug. Mit Hilfe einer langen Bambusstange entzündete er den siebenarmigen Leuchter, der wohl aus dem Jahr 1190 stammt. Um das hinzubekommen, hatte er vorher geübt und musste sich nun sehr konzentrieren. Das Erlebnis sei „unbeschreiblich“ gewesen, sagt der Familienvater und zitiert aus der Bibel: „Jesus Christus spricht: Ich bin das Licht der Welt.“ Bewegt fährt er fort: „Solche Emotionen kann man, glaube ich, nur in ganz wenigen Berufen haben.“

Küster ist ein Beruf mit Tradition, von der Lothar Püster, der Erster Vorsitzender des Deutschen Evangelischen Küsterbundes ist, kundig berichten kann. Das Wort Küster geht auf das lateinische Substantiv „custos“ (Hüter, Wächter) zurück. „Wir sind morgens die Ersten, die die Kirche aufschließen, und abends die Letzten, die gehen“, sagt Lothar Püster.

Im 19. Jahrhundert war es vielerorts üblich, dass Küster gleichzeitig Schulunterricht erteilten. In manchen Regionen waren sie auch als Organisten tätig. „Nach dem Zweiten Weltkrieg waren es fast ausschließlich Männer, die den Beruf ausübten, und sie konnten davon ihre Familien ernähren“, sagt Püster. „Doch seit Beginn der siebziger Jahre ist zu erkennen, dass die Arbeitsstunden immer weniger werden.“

Dr. Christopher Kumitz-Brennecke betreut die Kirchenvögte in der Evangelisch-lutherischen Landeskirche in Braunschweig fachlich und ist ihr Gesprächspartner in geistlichen Fragen. Mit „weniger als ein Dutzend“ beziffert der Pfarrer die Zahl der Hauptamtlichen in seiner Landeskirche. Viele Küster arbeiten Teilzeit, oft weniger als zehn Stunden pro Woche. Auf dem Land sind es vielerorts sogar Ehrenamtliche, die das Kirchengebäude pflegen, Faltblätter auslegen und ähnliche Aufgaben erledigen. Wieviel Küsterinnen und Küster es bundesweit überhaupt gibt, darüber kann die Evangelische Kirche in Deutschland (EKD) keine Angaben machen. Lothar Püster sagt über seine Kolleginnen und Kollegen in der Landeskirche in Braunschweig: „Zwei Drittel sind Frauen. Das Altersspektrum reicht von Mitte Zwanzig bis Mitte Fünfzig.“

Häufig erste Ansprechpartner für Kirchenbesucher

Eine oder sogar zwei Vollzeitstellen für Küster leisten sich vielerorts nur noch Schwerpunktkirchen in Großstädten, in die viele Touristen strömen. Vollzeit oder Teilzeit – die Küster haben alle Hände voll zu tun. Neben der Reinigung der Kirchenräume führt Lothar Püster Besucherinnen und Besucher durch St. Andreas und auf den Kirchturm. Er pflegt den Pfarrgarten, übernimmt Verwaltungsgänge für die Gemeinde und handwerkliche Tätigkeiten im Kindergarten von St. Andreas. Außerdem hat er noch Aufgaben in der Liberei, einer Bibliothek aus dem 15. Jahrhundert, und bei Veranstaltungen in der Stadt.

Die Kirchenvögte treffen immer häufiger auf Besucherinnen und Besucher, denen das Christentum kaum noch vertraut ist. Oft genug sind sie die ersten Personen, denen diese in einer Kirche begegnen, und sollten auch bereit sein, auf Fragen zu antworten. Lothar Püster findet es in Ordnung, wenn Menschen nach dem Einkaufsbummel mit vollen Taschen einen Zwischenstopp in einem Gotteshaus einlegen: „Was sollen sie denn machen? Erst die Tüten nach Hause bringen und dann wiederkommen?“ Ob sie sich nur ausruhen oder tatsächlich ein Gebet sprechen, sei auch gar nicht wichtig: „Entscheidend ist, dass sie das Gebäude wahrnehmen, und dass wir Mitarbeiter da sind und das ermöglichen.“ Dass die Kirchen für einen großen Teil der Bevölkerung immer noch wichtig seien, spüre er ja nach Katastrophen. Da würden sich die Bänke füllen. „Nicht umsonst heißt es ja: Wenn die Not am größten ist, hilft dir der liebe Gott am meisten“, sagt der Kirchenvogt.

Im sonntäglichen Gottesdienst sitzen immer mehr ältere Menschen. Sie wollen, dass Heizung und Akustik gut funktionieren – beides Aufgabe der Küster. „Wenn eine Lautsprecheranlage nicht gut eingestellt ist, sagen viele Seniorinnen und Senioren: Da schau ich mir lieber zu Hause den Fernsehgottesdienst an“, sagt Fachreferent Kumitz-Brennecke. In allen Altersgruppen seien die Ansprüche an die Ästhetik gestiegen: „Wir können nicht mehr Gottesdienst feiern mit Staub und vertrockneten Blumen auf dem Altar. Die Menschen nehmen das ganzheitlich wahr.“ Da könne die Predigt noch so mitreißend sein, in einem heruntergekommenen Gebäude würde die Botschaft verhallen. Wie das gelungene Gottesdiensterlebnis in der gut geheizten, schön geschmückten Kirche angesichts der sinkenden Zahl der Vollzeit-Küster künftig zu bewerkstelligen ist, ist eine Frage, die nicht nur Kumitz-Brennecke umtreibt.

Praktisches Geschick ist gefragt

Der klassische Weg in den Beruf ist eine Ausbildung im Handwerk mit anschließender Fortbildung bei der Landeskirche. In den Seminaren geht es um geistliche und praktische Fragen: Wie werden Paramente – im Kirchenraum verwendete Textilien – aufbewahrt, so dass sie keinen Schaden nehmen? Welcher Blumenschmuck passt zu welchem Feiertag im Kirchenjahr? Lothar Püster ist Heizungsbauer und hat eine Zeit lang als Hausmeister für die Diakonie gearbeitet. Als der damalige Kirchenvogt des Braunschweiger Doms nach 37 Jahren in dieser Position in Rente ging, bewarb er sich um die Stelle. Das war im Jahr 2000, und damals interessierten sich 49 Personen für den Job. Heute würden sich höchstens noch ein oder zwei Menschen auf so eine Ausschreibung bewerben, meint Lothar Püster.

Der Beruf ist körperlich anstrengend. Die Kirchenglocken werden vielerorts per Knopfdruck geläutet. Doch Kirchenvögte müssen mit meterlangen Staubwedeln hantieren, um Wände von Spinnweben und Staub zu befreien. Sie warten Lampen in luftiger Höhe, halten jahrzehntealte Heizungsanlagen auf Trab, schippen Schnee und sorgen mit dafür, dass bei Veranstaltungen die Technik funktioniert. Und was tun, wenn kurz vor einem Orgelkonzert der Strom ausfällt wie an jenem Tag im Braunschweiger Dom, an den sich Lothar Püster noch gut erinnert? „Kühlen Kopf bewahren, Werkzeug holen“ und das Problem schnell lösen. Und das alles im guten Anzug und vor 600 Zuschauern.

Josefine Janert (für evangelisch.de)