Lebenshilfe-Vorstand Sebastian Urbanski über das Leben mit Down-Syndrom
„Menschen mit Behinderungen sollen sehen, dass es einen Weg gibt“
Sebastian Urbanski ist seit Januar 2019 das erste Mitglied im Lebenshilfe-Vorstand mit Down-Syndrom. Der Theaterschauspieler möchte Menschen mit Behinderung Mut machen, ihren Weg zu gehen.
Herr Urbanski, was wollen Sie erreichen im Vorstand?
Sebastian Urbanski: Dass mehr Wohnungen für Behinderte gebaut werden. Bezahlbarer Wohnraum, Wohnungen, die geeignet sind für Behinderte, die Finanzierung spielt hierbei natürlich eine große Rolle. Auch die richtigen Betreuer sind wichtig, sie sollen qualifiziert sein, sodass sie sich dieser Leute gut annehmen können und sie im Alltag und in der Freizeit richtig unterstützen. Überhaupt sollten mehr Behinderte mitreden und sagen, was sie brauchen und was sie wollen.
Müsste sich auch die Gesellschaft ändern?
Urbanski: Ja, die Denkweise der Gesellschaft, ihr Umgang mit Behinderten. Die Gesellschaft sollte diese Leute nicht immer in den Schatten schieben, nach dem Motto: „Lass mal den Papa machen“, so ungefähr, sondern sie sollte sie so akzeptieren, wie sie sind. Sie muss die Augen aufmachen. Alle brauchen Unterstützung, die Mütter und Väter genauso wie die Behinderten.
Sie sind gegen die Bluttests in der Pränatal-Diagnostik?
Urbanski: Speziell gegen den Test auf Down-Syndrom. Den gibt es ja leider schon. Aber die Diskussion geht natürlich weiter. Die werdenden Mütter müssen meiner Meinung nach eine bessere Beratung erhalten. Denn wenn sie die falsche Beratung kriegen, dann bekommen sie Panik und Angst und denken: „Oh Gott, behindertes Kind, bloß nicht, bloß abtreiben!“ Da muss es ein Programm geben, das man mit den Müttern gemeinsam aufstellt, wie sie den Kindern dann helfen können. Es geht darum, ihnen Mut zu machen. Deshalb habe ich ja auch mein Buch geschrieben, „Am liebsten bin ich Hamlet. Mit dem Downsyndrom mitten im Leben“, das ist auch sozusagen ein Mutmach-Buch, das noch einmal klarstellt, was ich für ein schönes Leben habe, als Behinderter. Mein Rat an die Mütter ist: Habt Mut! Sie sollen sich auch selber gegen die Bluttests wehren und ihr Kind aufnehmen, so wie es ist.
Wie haben Sie reagiert, als die Lebenshilfe Sie für den Vorstand vorschlug?
Urbanski: Ich erfuhr davon im Dezember und dachte: „Oh das passt ja, genau zur Weihnachtszeit so eine große Meldung“, da war ich hin und weg, als ob das jetzt Vorsehung oder Prophezeiung wäre. Ich habe sofort Ja gesagt. Das ist meine Chance, endlich in Deutschland – mit den Worten des ehemaligen Bundespräsidenten Roman Herzog – den großen Ruck anzustoßen.
Hilft das Theaterspielen bei Ihrem Auftreten im Vorstand?
Urbanski: Im Theater gibt es extra Textproben, wir haben Vorstellungen, da fördert es mich schon in dem Punkt, gut vorbereitet zu sprechen.
Leben Sie in einer betreuten WG?
Urbanski: Jetzt nicht mehr, ich bin ausgezogen. Einerseits wegen der Betreuer, andererseits auch wegen der Bewohner, es hat nicht ganz funktioniert. Ich wurde krank, das war so eine Art versteckter Hilferuf. Den haben meine Eltern, Freunde und Kollegen im Theater wahrgenommen und haben mir geholfen, sodass ich wieder zurück nach Hause gezogen bin.
Wie nehmen das andere auf, dass Sie bei Ihren Eltern wohnen?
Urbanski: Das ist eigentlich kein Thema. Ich wohne sehr gerne bei meinen Eltern, ich bin hier geboren und groß geworden, in Pankow. Es ist eher ländliches Gefilde, was mir auch sehr gut gefällt. Wenn ich wieder in ein betreutes Wohnen oder eine WG ziehen würde, müsste das dann im Pankower Raum sein.
Können Sie eine Situation beschreiben, in der Sie das Gefühl hatten, nicht als gleichberechtigtes Mitglied der Gesellschaft wahrgenommen, beziehungsweise aufgenommen zu werden?
Urbanski: Ich war einmal mit einer Freundin unterwegs und wollte mit ihr in die Straßenbahn steigen, da kamen ein paar junge Leute auf uns zu und haben gefragt, warum meine Freundin keine Haare hat. Ich habe geantwortet: „Das ist eben so, das hat Gott so gewollt, und meine Freundin ist trotzdem eine sehr schöne Frau, attraktiv.“ Obwohl sie behindert ist, nehme ich sie als normal wahr, weil ich auch von mir selber sage: Das steht ja so nur auf dem Behindertenausweis. Da sehe und merke ich es, aber dann sage ich mir: Nein, das stimmt nur zur Hälfte, weil ich mich selber als Normaler sehe. Wenn mir jemand blöd kommt, dann sage ich: „Nein, ich bin nicht behindert, ich fühle mich nicht so, ich bin ein stinknormaler Mensch.“
Sind Sie misstrauisch, was andere wirklich über Sie denken?
Urbanski: Ich sehe meist darüber hinweg. Für mich sind die drei Leitsätze aus dem Film „Me too - Wer will schon normal sein?“ maßgeblich: Ich bin ein Mann und ich kann machen, was ich will, wie jedermann. Wir sind verdammt noch mal alle Menschen. Und auch ein kleines Wort mit großer Bedeutung: „weiter“. Das spornt mich immer wieder an. Ich wollte immer weiterkommen.
Was ist Ihre bisher größte Leistung oder der bisher größte Auftritt?
Urbanski: Vor der Berufung in den Vorstand war mein allergrößter Auftritt im Bundestag, als ich den Brief von Herrn Putzki* vorgetragen habe. Da stand ich in dem großen Plenarsaal des Bundestages, und es saßen die Größten aller Größten vor mir. „Bloß keine Fehler machen“, dachte ich, aber ich habe mir gesagt: „Fass dir ein Herz, du schaffst das.“ Dann bin ich nach vorne und habe meinen Auftritt bravourös gemeistert.
Spielt Glaube für Sie eine Rolle?
Urbanski: Ich sage immer, ich bin „freiwilliger“ Katholik. Zwar nicht in der Kirche, aber ich glaube trotzdem an Gott, aus freien Stücken. Die Geschichten über Gott und Jesus faszinieren mich, es gefällt mir. Und manchmal denke ich wirklich, dass es ihn gibt. Auch im Urlaub war es so, wir sind in den Bergen gewandert, und an der allerschmalsten Stelle, wo ich mich an die Felswand gedrückt habe und dachte „bloß nicht runtersehen!“ – habe ich plötzlich warme Hände gespürt. Da war niemand, aber ich hatte das Gefühl, da ist jemand hinter mir und hält mich fest. Hinterher habe ich gesagt, mein Opa Gerhard war da, er war als Gott hinter mir und hat mich auf den richtigen Weg gebracht. Er war ja eigentlich schon tot, aber an dem Punkt kam er zurück, um mir zu helfen. Das war ein Gefühl, das ich danach sofort erzählen musste.
Was können Sie als Vorstand anderen Menschen mit Behinderungen mitgeben?
Urbanski: Man muss an sich glauben. Menschen mit Behinderungen sollen sehen, dass es einen Weg gibt, und dass sie auf diesem Weg weiterlaufen können. Mein Buch kann ihnen helfen, das zu sehen. Sie sollen immer den Leitsätzen und dem kleinen Wort „weiter“ folgen.
Johanna Bergner (für chrismon)
*Anmerkung der Redaktion: Sebastian Urbanski verlas anlässlich des Tags des Gedenkens an die Opfer des Nationalsozialismus am 27. Januar 2017 bei der Gedenkstunde im Deutschen Bundestag den Brief eines „Euthanasie“-Opfers.