Der reformatorische Wortakrobat
Martin Luther und sein bewegtes Leben: Ein Porträt
Dem Volk aufs Maul schauen – das war ein Erfolgsrezept von Martin Luther. So wurde er vom Sohn eines Bergbauunternehmers zu dem Mann, dessen Lehren eine neue Kirche begründeten, die Gesellschaft in Aufruhr versetzten und die Sprache bis heute prägen.
Perlen vor die Säue werfen und der Wolf im Schafspelz, das Machtwort und die Feuertaufe – mit diesen und vielen weiteren Redewendungen prägt Martin Luther die deutsche Sprache bis heute. Die Sprache – in Verbindung mit der Druckerpresse – war eines seiner mächtigsten Werkzeuge, mit dem er seine Kirchenkritik in die Welt trug und die Gründung einer neuen Kirche auslöste. Er schrieb Tausende von Briefen und Abhandlungen, hielt Hunderte von Predigten und Reden.
Dabei drückte sich der Sohn eines vom Bauernkind zum Bergbauunternehmer aufgestiegenen Vaters nur selten vornehm aus. Das war ihm bewusst: „Ich bin dazu geboren, dass ich mit den Rotten und Teufeln muss kriegen und zu Felde liegen, darum meine Bücher viel stürmisch und kriegerisch sind.“
Worte, die Gehör finden
Zu seinen berühmtesten Worten gehören die 95 Thesen, die der fast 34-jährige Mönch und Professor am 31. Oktober 1517 in Wittenberg veröffentlicht. Er wettert gegen den Ablasshandel, mit dem der Papst den Petersdom in Rom finanzierte. Als unbestritten gilt heute, dass er die Thesen nicht schwungvoll an die Tür der Schlosskirche nagelte. Das Plakat, vielleicht sogar gedruckt, wurde wohl an mehrere Kirchentüren geklebt, nicht vom Professor selbst, sondern vom Pedell.
Die Worte finden schnell ihren Weg in die Öffentlichkeit. Befeuert auch davon, dass Luther in dieser Zeit endlich die Antwort auf seine quälende Frage nach einem gnädigen Gott findet, in der Auslegung des Römerbriefs des Paulus (1,17): Der Mensch wird nicht durch Werke, sondern allein aus Glauben gerecht. Ein Christ ist allein seinem Gewissen und der Bibel verpflichtet, nicht aber einer kirchlichen Autorität.
„Gott helf mir“
Viele Menschen reagieren begeistert auf die neue Freiheit des Geistes, Kirche und Kaiser hingegen mit Drohungen und Prozessen. Im Sommer 1518 wird der römische Prozess gegen Luther eröffnet. Im Oktober 1520 verbrennt er öffentlich die Bulle, in der der Papst ihm mit dem Kirchenbann droht.
Auch dem Kaiser muss er Rede und Antwort stehen, doch seine Reise zum Reichstag in Worms im April 1521 gleicht einem Triumphzug. In Worms beharrt Luther auf seinen Ansichten. Die berühmten Worte "Hier stehe ich und kann nicht anders" sind die Frucht späterer Luther-Heldenlegenden. Doch überliefert ist ein festes: „Gott helf mir! Amen.“
Auf der Suche nach einem gnädigen Gott
Dabei sind Theologie und Wortgewandtheit dem kleinen Martin nicht in die Wiege gelegt, als er am 10. November 1483 in Eisleben geboren wird. Seine Eltern sind weder besonders fromm noch gebildet. Doch der Sohn soll was Besseres werden. Ab 1501 absolviert der lebenslustige 17-Jährige in Erfurt ein geisteswissenschaftliches Grundstudium und steigt ins Jura-Studium ein, auf Befehl des Vaters.
Doch Luther, der später die Ehrung von Vater und Mutter betont, widersetzt sich und tritt im Juli 1505 ins Augustinerkloster Erfurt ein. Und so sehen heute viele Biografen das berühmte Blitzerlebnis kurz zuvor samt Ausruf „Hilf du, Sankt Anna, ich will ein Mönch werden“ als Reaktion auf den Streit mit dem Vater.
Doch im Kloster quält ihn die Frage „Wie kriege ich einen gnädigen Gott?“. Er wird Priester, studiert Theologie, wird 1512 Professor für Bibelauslegung in Wittenberg – ein wortgewandter Gesprächspartner.
Worte als Waffen
Mit dem Wormser Edikt verbietet Karl V. 1521 die Schriften Luthers, untersagt dessen Unterstützung und erklärt ihn für vogelfrei. Doch da befindet sich Luther schon in Sicherheit auf der Wartburg bei Eisenach. Als „Junker Jörg“ schreibt er in zehn Monaten Hunderte Briefe, schaltet sich in Debatten ein. Und er übersetzt im Winter in wenigen Wochen das Neue Testament ins Deutsche – nicht als Erster, aber als Wortgewaltigster.
Worte bleiben seine Waffen. Und die setzt der Reformator nicht nur gegen Kirchenleute und Fürsten ein. Voller Hass hetzt er auch gegen Juden, Muslime, aufständische Bauern und auch sogenannte Hexen.
Privat bricht er mit der Kirche im Juni 1525: Der ehemalige Mönch und die geflohene Nonne Katharina von Bora heiraten. Im einstigen Augustinerkloster in Wittenberg führen sie ein offenes Haus. Von ihren sechs Kindern sterben zwei Mädchen, Luther wird als liebevoller, aber auch harter Vater beschrieben. Geschlagen mit Verdauungsstörungen, Nierenleiden, Fettleibigkeit und einem fast blinden linken Auge stirbt er am 18. Februar 1546 auf der Durchreise in seinem Geburtsort Eisleben.
Wiebke Rannenberg (epd)