Bischof Huber: Mord an Hatun Sürücü war kollektives Verbrechen

Berlin (epd). Der Berliner Bischof Wolfgang Huber hat den Mord an der Deutsch-Türkin Hatun Sürücü als "ein kollektives Verbrechen einer ganzen Familie" angeprangert. Das Wort "Ehrenmord" nehme er in diesem Zusammenhang "nicht einmal in Anführungszeichen in den Mund", sagte der Ratsvorsitzende der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD) der "Bild"-Zeitung (Mittwochausgabe). Das habe mit Ehre nichts zu tun. Das individuelle Strafrecht antworte nur sehr unzureichend auf ein kollektives Verbrechen.

Das Berliner Landgericht hatte in der vergangenen Woche den jüngsten Bruder von Hatun Sürücü wegen Mordes zu neun Jahren und drei Monaten Jugendhaft verurteilt. Er hatte die junge Frau wegen ihres westlichen Lebensstils erschossen. Zwei mitangeklagte Brüder wurden aus Mangel an Beweisen freigesprochen. Die beiden Brüder treffe in jedem Fall eine moralische Schuld, sagte Huber: "Dass sie an dieser Tat beteiligt waren steht für mich fest."

Forderungen der Familie Sürücü nach dem Sorgerecht für das Kind des Opfers erteilte der EKD-Ratsvorsitzende eine klare Absage. Die Sorgeberechtigte für den sechsjährigen Sohn sei die Mutter gewesen. "Und der Gedanke, dass erst die Mutter ums Leben gebracht wird und dass dann die Angehörigen das Sorgerecht beanspruchen, ist ein derartiger Zynismus, dass mir die Worte fehlen", fügte Huber hinzu.

Zu den Folgen des "Ehrenmordes" für das Zusammenleben von Christen und Muslimen sagte der Bischof, weder der Mord noch das damit zusammenhängende Familienbild habe zwangsläufig mit dem Islam zu tun. "Aber wir müssen die Unterschiede deutlich beim Namen nennen und für unsere eigenen Werte überzeugend einstehen."

19. April 2006


Das Gespräch mit der BILD im Wortlaut:

„Ein Zynismus, daß mir die Worte fehlen“

Bischof verurteilt Ehrenmord-Familie

Von HILDBURG BRUNS

Berlin – Die Familie der ermordeten Hatun († 23) läuft lachend durch Berlin, will sogar das Sorgerecht für Söhnchen Can (6) beantragen. Nur Bruder Ayhan (20), der Mörder, sitzt im Gefängnis.

In Deutschland wächst die Empörung. In BILD spricht der Berliner Bischof Wolfgang Huber (53), Ratsvorsitzender der Evangelischen Kirche Deutschland (EKD), Klartext.

BILD: Was haben Sie bei den Bildern der triumphierenden Familie gedacht?

Der Bischof: „Ich bin innerlich aufgewühlt und empört darüber, daß auch noch in diesen Bildern so deutlich zum Ausdruck kommt, daß es hier wirklich eine Art Hinrichtung der Familie gewesen ist. Das ist unakzeptabel.“

BILD: Empfinden Sie das Urteil als gerecht?

Der Bischof: „Nein, Gerechtigkeit gibt es im Fall eines Mordes nicht. Kein Mord läßt sich durch einen irdischen Richter ausgleichen. In dem Fall muß man zusätzlich annehmen, daß es sich um ein kollektives Verbrechen einer ganzen Familie handelt. Darauf antwortet unser individuelles Strafrecht nur sehr unzureichend.“

BILD: Glauben Sie, daß die freigesprochenen Brüder unschuldig sind?

Der Bischof: „Nein, eine moralische Schuld trifft sie in jedem Fall. Daß sie an dieser Tat beteiligt waren, steht für mich fest. Aber ich habe Respekt gegenüber der Justiz, die eindeutige Beweise braucht. Jetzt ist Revision eingelegt worden, man muß sehen, ob das Verfahren neu aufgerollt wird.“

BILD: Darf diese Familie, in deren Mitte ein ‚Ehrenmord‘ geplant und durchgeführt wurde, das Kind des Opfers aufziehen?

Der Bischof: „Darf ich zunächst einmal klar sagen, daß ich das Wort ‚Ehrenmord‘ nicht einmal in Anführungszeichen in den Mund nehme – das hat mit Ehre nichts zu tun. Die Sorgeberechtigte für das Kind war die Mutter. Und der Gedanke, daß erst die Mutter ums Leben gebracht wird und daß dann die Angehörigen das Sorgerecht beanspruchen, ist ein derartiger Zynismus, daß mir die Worte fehlen.“

BILD: Halten Sie es für richtig, daß der Junge nie wieder Kontakt zu seinen Großeltern, Onkeln und Tanten bekommt?

Der Bischof: „Mir ist zunächst das wichtigste, daß der Junge unbelastet von diesen Vorgängen aufwachsen kann. Deshalb gilt mein größter Respekt der Pflegefamilie.“

BILD: Erschwert dieser Fall das Zusammenleben von Christen und Moslems?

Der Bischof: „Weder die Mordtat noch das Familienbild hängen zwangsläufig mit dem Islam zusammen. Aber wir müssen die Unterschiede deutlich beim Namen nennen und für unsere eigenen Werte überzeugend einstehen. Dann könnte sich aus diesem schrecklichen Vorgang doch noch eine positive Entwicklung ergeben.“

Quelle: BILD vom 19. April 2006