Aachener Friedenspreis an Nahost-Initiativen verliehen
Aachen (epd). Der Aachener Friedenspreis ist am Montag an den Bethlehemer Pfarrer Mitri Raheb, die israelische Fraueninitiative MachsomWatch und den Frankfurter Politologen Andreas Buro verliehen worden. Die Auszeichnung für Raheb und MachsomWatch solle die Friedenskräfte in Israel und Palästina im Nahostkonflikt unterstützen, sagte der Vorsitzende der Friedenspreisinitiative, Otmar Steinbicker, in Aachen. Buro, der als herausragende Persönlichkeit der Friedensbewegung gilt, werde für seine Entwicklung der zivilen Konfliktbearbeitung geehrt.
MachsomWatch ist eine 2001 gegründete Freiwilligenorganisation israelischer Frauen. Sie beobachtet und dokumentiert an rund 30 der mehr als 600 Kontrollposten der israelischen Armee das Verhalten von Soldaten und Polizisten im Umgang mit Palästinensern. "Wir dürfen es nicht zulassen, dass wir der Politik der Angst verhaftet bleiben", sagte MachsomWatch-Mitglied Roni Hammermann in Aachen. Mit ihrer "gewaltlosen Intervention" setzten sich die mutigen Frauen immer wieder für die Rechte der palästinensischen Grenzgänger ein, würdigte der Vorsitzende der Gewerkschaft ver.di, Frank Bsirske, die Initiative in seiner Laudatio.
Der Pastor an der evangelisch-lutherischen Weihnachtskirche in Bethlehem, Mitri Raheb, verkörpere eine "einzigartige Vision vom künftigen Frieden in Nahost", sagte Bsirske. Der in Bethlehem geborene evangelische Pfarrer studierte und promovierte an der Universität Marburg. Mit seiner Gemeinde baute der Theologe Bildungseinrichtungen, ein Begegnungszentrum und touristische Betriebe für internationale Gäste auf. "Wir wollen heute, trotz Besatzung, den Traum von Morgen vorleben", sagte Raheb. "Zu warten, bis die Zeit des Friedens anbricht, können wir uns nicht leisten."
Andreas Buro sei so etwas "wie das personifizierte Geschichtsbuch der bundesdeutschen Friedensbewegung", sagte Steinbicker. Der 80-jährige Politikwissenschaftler war vom Beginn der Ostermärsche in den 50er Jahren über Kampagnen gegen den Vietnamkrieg bis zu den Protesten gegen den zweiten Golfkrieg dabei. Ausgezeichnet werde er für seinen Beitrag zur Entwicklung der zivilen Konfliktbearbeitung als Alternative zu Militäreinsätzen, sagte Steinbicker. Buro forderte ein Ende des "unheilvollen Interventionskriegs" in Afghanistan und schlug eine zivile Strategie mit Deutschland als Vermittler vor.
Der Aachener Friedenspreis wird seit 1988 an Menschen verliehen, die sich an der Basis für Frieden und Völkerverständigung einsetzen. Verliehen wird die symbolisch mit 1.000 Euro pro Preisträger dotierte Auszeichnung traditionell am 1. September, dem Antikriegstag.
01. September 2008
Der Hoffnungsträger aus Bethlehem
Palästinensischer Pfarrer Mitri Raheb mit Aachener Friedenspreis ausgezeichnet
Von Holger Spierig
Bethlehem/Aachen (epd). Bedrohung, Besetzung und Schikanen gehören zum Alltag von Mitri Raheb. Doch der palästinensische Pfarrer will sich mit dem zunehmenden Hass nicht abfinden. Palästinenser und Israelis brauchen eine Vision, wie sie gemeinsam leben können - so lautet das Credo des evangelischen Theologen, der seit 20 Jahren Pfarrer der Weihnachtskirche in Bethlehem ist. Für sein langjähriges Engagement für das friedliche Zusammenleben im Nahen Osten erhielt Raheb am Montagabend den Aachener Friedenspreis.
Raheb sei heute einer der Hoffnungsträger in der Region, begründete der Friedenspreis-Verein die Wahl. Der Theologe erhielt den Preis gemeinsam mit der israelischen Friedensorganisation MachsomWatch. Die Auszeichnung sieht der 46-jährige Theologe als "eine Ermutigung, dass unsere Arbeit gerade in Deutschland wahr- und ernstgenommen wird".
Neben seinen Aufgaben als Pfarrer entwickelte Raheb nach und nach auf dem Kirchenareal ein weitgefächertes Angebot an Bildungszentren, Betrieben und touristischen Einrichtungen für internationale Gäste. So gibt es dort inzwischen ein Internationales Begegnungszentrum, eine Schule und ein Zentrum für Kunsthandwerk.
Nachdem das Gelände im Jahr 2002 von der israelischen Armee besetzt und zu großen Teilen zerstört wurde, setzte sich Raheb unermüdlich für einen Wiederaufbau ein. Die richtige Antwort auf eine Kultur der Gewalt, so argumentierte er, sei die Macht der Kultur. "Der Krieg kann uns nicht unsere Vision rauben, in Frieden mit unseren Nachbarn zusammenzuleben", verkündete er denn auch im ersten Gottesdienst nach dem Ende der Besetzung.
Krieg und Terror prägten Rahebs Leben bereits früh. "Die ersten Klänge, die mir im Gedächtnis geblieben sind, stammen von israelischen Flugzeugen, die über unsere Stadt fliegen", erinnert sich der Pfarrer an seine frühe Kindheit während des Sechs-Tage-Krieges 1967. Der 1962 in Bethlehem geborene Raheb studierte evangelische Theologie an der Universität Marburg, wo er auch promovierte. Heute unterhält er zahlreiche Kontakte nach Deutschland, Europa und in die USA.
Mit Leidenschaft streitet der Theologe für eine gemeinsame Zukunft von Palästinensern und Israelis. Dabei macht er aus Rückschlägen und Enttäuschungen keinen Hehl. Für eine Feier sehe er keinen Anlass, erklärte er mit Blick auf das 60. Jubiläum der Staatsgründung Israels in diesem Jahr. Das Projekt Israel sei schon aufgrund der Besatzung und das Projekt Palästina am Konflikt zwischen den Organisationen Fatah und Hamas gescheitert.
Nach Rahebs Ansicht muss sich auch Europa stärker seiner Verantwortung für den Nahen Osten stellen. Denn die heutigen Spannungen und Konflikte seien der Preis, den die Region für die Schuld Europas zahlen müsse, betont er mit Blick auf den Holocaust. "Denn wir sind die Opfer der Opfer", ist Raheb überzeugt.
Auch wenn der Pfarrer derzeit einem eigenständigen Palästinenserstaat kaum Chancen einräumt, schöpft er immer wieder neue Hoffnung. Etwa, wenn er das Engagement von Friedensinitiativen wie MachsomWatch sieht. Die Freiwilligeninitiative israelischer Frauen prangert Menschenrechtsverletzungen der israelischen Kontrollposten gegenüber Palästinensern an.
"Das sind für mich Israels neue Propheten, die Israel ins Gewissen rufen", würdigt Raheb die Initiative. Denn wirklich weise sei, so schreibt der Theologe in seinem jüngsten Buch "Bethlehem hinter Mauern", wer aus Feinden Nachbarn mache und nicht aus Nachbarn Feinde.
01. September 2008