Erfolgsgeschichte des Protestantismus - Viele Christen und Politiker lesen jeden Tag die biblischen Losungen
München (epd). Viele Christen beginnen jeden neuen Tag mit einem Blick in die "Herrnhuter Losungen". Diese Sammlung von prägnanten Bibelversen für jeden Tag begleitete schon den Reichskanzler Otto von Bismarck und den Theologen und NS-Widerstandskämpfer Dietrich Bonhoeffer. Heute gehört, wie es heißt, die Sammlung der Bibelverse zur täglichen Lektüre von Finanzminister Wolfgang Schäuble und der Grünen-Politikerin Katrin Göring-Eckardt.
Neben diesen Losungen für jeden Tag soll die Jahreslosung eine Orientierungs-Hilfe für ein ganzes Jahr sein. Für 2016 haben die christlichen Kirchen das Bibelwort "Gott spricht: Ich will euch trösten, wie einen seine Mutter tröstet" aus dem alttestamentarischen Buch des Propheten Jesaja (66,13) ausgewählt.
Die Praxis der Losungen stammt von der Herrnhuter Brüdermeine in der sächsischen Oberlausitz. 1728 wählte der Begründer dieser geistlichen Gemeinschaft, Ludwig Graf von Zinzendorf (1700-1760), zum ersten Mal einen Bibelspruch für die Mitglieder der Herrnhuter aus. Inzwischen werden die Losungen in über 50 Sprachen und in einer Millionenauflage auf allen Kontinenten verbreitet.
Die Losungen liegen in Blindenschrift, als Comic oder Bildschirmschoner vor, mehr als 100.000 Menschen erreicht die "Losungen-App". Damit seien die "Herrnhuter Losungen" zum "größten Medienerfolg des Protestantismus" geworden und ein Beispiel, wie aus einer kleinen und sehr lokalen Idee ein globaler Erfolg werden kann, überschreibt die Monatspublikation "Nachrichten der Evangelisch-Lutherischen Kirche in Bayern" einen Artikel zu den Losungen.
Bis heute verläuft die Ziehung der Losungen nach einem eingeführten Ritual: Jeweils im Frühling wird im barocken Vogtshof in Herrnhut eine silberne Schale aufgestellt, in die eine Protokollantin viele kleine Papier-Schnitzel legt, auf denen jeweils ein Bibelvers vermerkt ist. Um den Tisch ist das "Kollegium", die Kirchenleitung der Gemeinschaft, versammelt, die Lose selbst werden von vier Mitgliedern abwechselnd gezogen.
Die Bibelstellen werden auf diese Weise immer in einem Vorlauf von drei Jahren ermittelt, weil sie vor Veröffentlichung noch redigiert und redaktionell ergänzt werden müssen. Es gehört aber zu den festen Regeln der Gemeinschaft, dass vor der offiziellen Verbreitung der Losungen nichts nach außen dringt.
Die Jahreslosung folgt zwar der Praxis der Herrnhuter, wird aber nicht von dieser Gemeinschaft ermittelt, sondern von der Ökumenischen Arbeitsgemeinschaft für Bibellesen (ÖAB). Sie gehen zurück auf den Kirchenkampf im Dritten Reich. Initiator war der Pfarrer und Liederdichter Otto Riethmüller (1889-1939), der Mitglied der Bekennenden Kirche war. Als Direktor des Reichverbandes der evangelischen Jugend wollte er den NS-Schlagworten Bibelverse entgegen stellen. Deshalb begründete er 1934 die Tradition der Jahreslosungen.
30. Dezember 2015