Keine christliche Verpflichtung zur Organspende
Evangelische Kirche nimmt Stellung zu den Vorschlägen des Bundesgesundheitsministers
Berlin (epd). Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (CDU) hat vorgeschlagen, die Voraussetzungen für eine Organentnahme zu lockern und damit eine kontroverse ethische Debatte entfacht. Künftig solle jeder automatisch ein Spender sein, solange er oder seine Angehörigen nicht ausdrücklich widersprechen, sagte Spahn. Nur mit der Widerspruchslösung könne die Organspende zum Normalfall werden. In Deutschland gilt bislang die sogenannte Entscheidungslösung, so dass eine Entnahme nur möglich ist, wenn eine Zustimmung vorliegt.
Die Widerspruchslösung stelle zwar einen Eingriff des Staates in die Freiheit des Einzelnen dar, sagte Spahn der „Bild“-Zeitung". Doch seien alle bisherigen Versuche der Politik, die stark sinkende Zahl der Organspender wieder zu erhöhen, ohne Erfolg geblieben. „Deshalb brauchen wir eine breite gesellschaftliche Debatte über die Widerspruchslösung“, sagte der Minister.
Kritiker fürchten „Paradigmenwechsel“
Die Evangelische Kirche in Deutschland (EKD) erklärte, die Kirchen wollten auch weiterhin die Bereitschaft zur Organspende wecken und stärken. Eine christliche Verpflichtung zur Organspende gebe es jedoch nicht. Auch die Ablehnung einer Spende sei zu respektieren.
Der Vorsitzende des Deutschen Ethikrats, Peter Dabrock, lehnt die Widerspruchslösung ab. Mit einer solchen Regelung müsste man von „Organabgabepflicht“ statt von „Organspende“ sprechen, sagte der evangelische Sozialethiker dem Evangelischen Pressedienst. Das würde einen „fundamentalen Paradigmenwechsel“ darstellen.
Die katholische Kirche äußerte sich ebenfalls ablehnend. Wie die Deutsche Bischofskonferenz in Bonn mitteilte, hat sie erhebliche ethische Bedenken gegen die Widerspruchslösung. Außerdem zeige sich in anderen Ländern, dass allein die Umstellung auf die Widerspruchslösung nicht zu mehr Organtransplantationen führe. Auch beim Zentralkomitee der deutschen Katholiken (ZdK) stieß Spahns Vorschlag auf Kritik.
Der Vorstand der Deutschen Stiftung Patientenschutz, Eugen Brysch, warnte vor der Widerspruchslösung. Sie würde das Vertrauen in das Transplantationssystem weiter schwächen.
Parlament soll diskutieren
SPD-Vize-Fraktionschef Karl Lauterbach begrüßte dagegen Spahns Initiative. „Ich bin ein klarer Befürworter der Widerspruchslösung“, sagte Lauterbach der in Düsseldorf erscheinenden „Rheinischen Post“. Es sei eine Schande, dass zurzeit so viele Menschen unnötig litten, weil keine Organe für sie vorhanden seien. Die niedrige Zahl von Organspendern in Deutschland nannte der SPD-Politiker eine „medizinische Tragödie“.
Zustimmung kam auch von Bundestagsvizepräsident Thomas Oppermann (SPD). Er warb im Gespräch mit dem „RedaktionsNetzwerk Deutschland“ für einen Systemwechsel. Oppermann sieht Spanien, in dem die Widerspruchslösung gilt, als Vorbild: „Es werden dort wesentlich mehr dringend benötigte Organe gespendet und transplantiert als in Deutschland.“
Spahn sagte, er wolle keinen Gesetzentwurf zur Widerspruchslösung in den Bundestag einbringen. „Diese Diskussion sollten wir im Bundestag führen. Dort gehört das Thema hin.“ Es sei wichtig, diese Frage im Parlament zu diskutieren, sagte auch Regierungssprecher Steffen Seibert. Dann werde sich auch Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) dazu positionieren.
In den europäischen Ländern ist die Widerspruchslösung weit verbreitet. In einem Teil dieser Staaten können sich allerdings Hinterbliebene gegen eine Organentnahme aussprechen.