Erste Ost-West-Vereinigung evangelischer Landeskirchen vor 30 Jahren

Die Vereinigung der durch den Mauerbau getrennten Evangelischen Kirche in Berlin-Brandenburg (EKiBB) verlief nicht konfliktfrei

Der Ratsvorsitzende der EKD, der Berliner Bischof Martin Kruse, dirigiert im Hof des Residenzschlosses Ehrenburg in Coburg das Coburger Jugendorchester, dass anlässlich eines Empfangs der bayerischen Landesregierung am 29.6.1991

Der heute 91-jährige Martin Kruse war von 1991 bis zu seinem Ruhestand 1994 Bischof der wiedervereinigten Landeskirche. Das Foto zeigt ihn als Dirigent des Coburger Jugendorchesters im Hof des Residenzschlosses Ehrenburg in Coburg anlässlich eines Empfangs der bayerischen Landesregierung am 29. Juni 1991

Berlin (epd). Die Kirche hatte Vorsorge getroffen: Jahre vor dem Mauerbau 1961 und Jahrzehnte vor der Wiedervereinigung hatte die berlin-brandenburgische evangelische Kirche 1952 einen Grundsatzbeschluss zur Unaufgebbarkeit ihrer Einheit gefasst auch im Fall einer möglichen Trennung durch die politischen Umstände. Die Trennung kam. Dann passierte rund 30 Jahre später, womit niemand ernsthaft gerechnet hatte: Die Mauer fiel und die deutsche Einheit kam. Und auch die West- und die Ostregion der Landeskirche mussten wieder zueinander finden.

Unterschiedliche Mentalitäten trafen aufeinander

Die Wiedervereinigung der Evangelischen Kirche in Berlin-Brandenburg (EKiBB) ist nicht ohne Konflikte abgelaufen. Kontroversen gab es über die Anpassung der Ostregion an das westliche System, über die Kirchensteuer mit staatlichem Einzug und deren Vollstreckbarkeit vor Gericht, über den staatlichen Religionsunterricht und über die Militärseelsorge in der Bundeswehr Konflikte über Staatsferne oder vermeintliche Staatsnähe. Unterschiedliche Mentalitäten trafen aufeinander.

Es kann weder nach der Weise gehen, dass wir einfach übernehmen, was etwa in West-Berlin bisher war, noch etwa, dass die West-Berliner übernehmen, was wir bisher so großartig gemacht haben“, mahnte der Bischof der Ostregion, Gottfried Forck, bei der ersten gemeinsamen Synodentagung im März 1990. „Wir können gleichberechtigt miteinander umgehen“, betonte sein West-Berliner Bischofskollege Martin Kruse: „Wir können jetzt mit Gelassenheit und Entschiedenheit an die gemeinsame Arbeit gehen.“

Der Vereinigungsprozess zerrte dennoch bei vielen an den Nerven. „Gelebt und gearbeitet haben wir in verschiedenen Welten“, hat die frühere theologische Abteilungsleiterin für Kinder- und Jugendarbeit im Ost-Berliner Konsistorium, Rosemarie Cynkiewicz, die Mauerzeit einmal beschrieben. Bei Begegnungen mit West-Berliner Kollegen habe sie dann erstaunt bemerkt, wie säkularisierend die 68er-Bewegung auch in die Kirche hineingewirkt habe.

„Vorsicht! Jetzt kommen die Frommen aus dem Osten“

Beschäftigte aus dem Kinderdiakonenseminar der Ostregion seien im West-Berliner Oberlin-Seminar für Erzieher Anfang der 90er mit einem kritischen Plakat empfangen worden, erinnert sich Cynkiewicz. Sinngemäß habe darauf gestanden: „Vorsicht! Jetzt kommen die Frommen aus dem Osten und wollen uns bekehren.“

Auch in Kirchengemeinden gab es ein großes Fremdeln zwischen Ost und West. Gelegentlich seien verdeckte Aggressionen und eine „Wut auf Wessis“ zum Vorschein gekommen, steht im Bericht einer kirchlichen Kommission über Gemeindebesuche vom September 1990. Die West-Berliner seien „immer etwas fauler“ gewesen als Partner in Westfalen, habe es in einer Ost-Berliner Gemeinde geheißen. Die West-Berliner hätten gekontert, dass man eine Form der Partnerschaft, die sich „im Wesentlichen auf Gruppenreisen mit touristischem Charakter und damit verbundenen Geschenkaktionen beschränkte“, abgelehnt habe.

Das Verständnis dafür, dass er und seine Frau ihr kleines Kind gelegentlich zu Pfarrkonventen mitbrachten, sei dort bei einigen „nicht so ausgeprägt“ gewesen, hat der aus dem Westen stammende heutige Superintendent des Kirchenkreises Oderland-Spree, Frank Schürer-Behrmann, über seine Vikarszeit Anfang der 90er Jahre in Potsdam geschrieben. Auch dass sie ihr Kind in eine staatliche Krippe geben wollten, sei auf Unverständnis gestoßen.

Wir nannten uns Bruder und Schwester, was die West-Berliner lange irritierte“, schreibt der Ost-Berliner Theologe und langjährige Berliner Generalsuperintendent Martin-Michael Passauer in einem Beitrag über die Zeit. Für die West-Berliner sei es wichtig gewesen, „ein wenig Distanz zur Kirche zu halten“.

Eine Zäsur kam im Sommer 1990: Der Chefjurist der Ostregion der Landeskirche, Konsistorialpräsident Manfred Stolpe, ging in die Politik. Am 16. August 1990 wurde er wegen seiner Kandidatur für ein politisches Amt von der Kirche beurlaubt, am 14. Oktober gewann er mit der SPD die erste Landtagswahl nach der Wiedervereinigung in Brandenburg. Am 1. November wurde er zum Ministerpräsidenten gewählt.

Bis die Wiedervereinigung der EKiBB abgeschlossen war, sollte es noch etwas dauern: Im Januar 1991 kam in Berlin die neue Gesamtsynode der Landeskirche zusammen. Ende 1994 schließlich beschloss die Landessynode eine neue, gemeinsame Grundordnung als Kirchenverfassung.

Zusammenschluss zur EKBO

Zum Jahresbeginn 2004 schlossen sich die EKiBB mit rund 1,25 Millionen Mitgliedern und die damalige Evangelische Kirche der schlesischen Oberlausitz (EKsOL) mit rund 62.000 Mitgliedern zur neuen Evangelischen Kirche Berlin-Brandenburg-schlesische Oberlausitz (EKBO) zusammen. Ihr zweiter Bischof war ab 2009 Markus Dröge. Die Landeskirche hat heute rund 900.000 Mitglieder in Berlin, Brandenburg und Ostsachsen sowie einigen Gemeinden in angrenzenden Bundesländern. Seit November 2019 ist Christian Stäblein Bischof der EKBO.

Ivonne Jennerjahn (epd)