Osterlieder müssen laut gesungen werden

Warum gibt es so wenige populäre Lieder zum Osterfest? Der Tübinger Kirchenmusiker Ingo Bredenbach gibt Auskunft

Obwohl Ostern das wichtigste Fest im Kirchenjahr ist, gibt es verhältnismäßig wenig bekannte Lieder dazu – ganz anders als zu Weihnachten. Warum ist das so? Einer der es wissen muss, ist der Tübinger Kirchenmusiker Ingo Bredenbach. Achim Stadelmaier hat mit ihm gesprochen.

Kirchenchor

An Ostern werden in den Kirchen wieder hunderttausendfach Osterlieder gesungen. Obwohl es einige bekannte gibt, stehen sie den Weihnachtsliedern in der Popularität weit nach. (Symbolbild)

Herr Bredenbach, warum gibt es so wenig richtig bekannte Osterlieder?

Ingo Bredenbach: Der Eindruck täuscht ein bisschen. Es gibt durchaus einige Osterlieder, die zumindest in kirchlich geprägten Kreisen auch bekannt sind. Zum Beispiel „Christ ist erstanden“ oder „Gelobt sei Gott im höchsten Thron“. Aber gegen Weihnachten hat Ostern liedmäßig tatsächlich keine Chance.

Warum ist das so? Eigentlich ist Ostern doch das wichtigere Fest?

Bredenbach: Ich denke, es hängt mit dem Geheimnis von Ostern zusammen. Die Auferstehung eines Toten kann man sich nur schwer vorstellen. Man kann sie nicht naturwissenschaftlich beweisen, sondern nur glauben. Weihnachten dagegen hat einen Sitz im Leben. Die Geburt eines Kindes ist eine, sagen wir mal, ziemlich normale Sache. Das Thema von Ostern ist viel schwieriger zu fassen.

Gibt es neben diesem inhaltlichen Grund noch einen anderen?

Bredenbach: Ja, Ostern fehlt das Volkstümliche von Weihnachten. Es gibt kaum Rituale, die mit dem Ostergeschehen zu tun haben. Und selbst über den Osterhasen oder das Eiersuchen gibt es nur wenige Lieder. Im Gegensatz dazu sind vor allem im 19. Jahrhundert viele volkstümliche Weihnachtslieder entstanden, die den heimeligen Weihnachtsabend oder den leuchtenden Weihnachtsbaum besingen und die das Fest jenseits aller Theologie tief im Bewusstsein verankert haben.

Welches Lied gehört für Sie zum Ostergottesdienst unbedingt dazu?

Bredenbach: „Christ ist erstanden“ ist für mich gesetzt. Es ist das älteste uns überlieferte Osterlied und geht auf den lateinischen Gesang „Victimae paschali laudes“ zurück. Die Melodie stammt aus dem 12., 13. Jahrhundert. Dieses Lied eröffnet nahezu jeden Ostergottesdienst, weil es einen sehr festlichen und Glaubenszuversicht ausdrückenden Charakter hat. Es zählt zu der Gruppe der sogenannten „Leisen“, weil an jeder Strophe ein „Kyrieleis“, ein „Herr, erbarme dich“ angehängt ist.

Das heißt also nicht, dass man es leise singen muss.

Bredenbach: Nein, nein, es muss sogar richtig laut gesungen werden!

Gibt es eigentlich musikalische Merkmale, die Osterlieder klar kennzeichnen?

Bredenbach: Osterlieder sind oft von einem triumphierenden Dreierrhythmus geprägt. Zum Beispiel „Gelobt sei Gott im höchsten Thron“ oder das berühmte Lied von Paul Gerhardt „Auf, auf, mein Herz, mit Freuden“. Eine ähnliche Rhythmik gibt es bei Weihnachts- und Adventsliedern zwar auch, aber dort ist sie sanfter und wird eher mit dem „Kindelwiegen“, ein bayrischer Ausdruck, in Verbindung gebracht. Zum Beispiel „Macht hoch die Tür“ oder „Nun singet und seid froh“. Osterlieder zeichnen sich außerdem durch eine häufige Verwendung des Wortes „Halleluja“, also „Lobet den Herrn“, aus. Das findet man in Weihnachtsliedern kaum.

Wir haben jetzt viel über traditionelle Osterlieder gesprochen. Wie sieht es denn mit neuerem Liedgut aus?

Bredenbach: Da kommen wir zu einem Problem. Wir haben seit den 1960er Jahren zwar eine große Liedproduktion in der evangelischen Kirche, aber es ist auffällig, dass viele der Kirchenfeste nicht mehr mit Liedern bedacht werden. Es gibt nahezu keine neuen Lieder zum Thema Himmelfahrt und nur wenige zum Thema Passion. Und das betrifft auch Ostern. Es sind kaum neue Lieder zu Ostern entstanden. Also selbst innerhalb der Kirche wird das Fest liedmäßig zu wenig gewürdigt.

Ist das ein Spiegelbild für die abnehmende Bedeutung von Ostern allgemein?

Bredenbach: Ostern ist ein Frühlingsfest geworden, die Auferstehung spielt nur noch eine geringe Rolle. Die alten Choräle erzählen häufig in mehreren Strophen die Ostergeschichte nach. Wie die Frauen ans leere Grab kommen und der Auferstandene ihnen begegnet. Und diese Geschichte scheint heute immer weniger von Belang zu sein. Dazu kommt eben, dass es keine populären volksliedartigen Lieder zu Ostern gibt, ganz anders als an Weihnachten.

Also eher düstere Zukunftsaussichten für das musikalische Osterfest?

Bredenbach: Das ist schwer zu sagen. Positiv stimmt mich, dass in den Kirchen im Land jeden Sonntag hunderttausendfach gesungen wird. Und ohne dieses regelmäßige Singen wären viele traditionelle Lieder, auch die Osterlieder, schon längst ausgestorben. In den Kirchen wird man noch viele Jahre Osterlieder singen.

Achim Stadelmaier (für evangelisch.de)


Kirchenmusikdirektor Ingo Bredenbach, geboren 1959 in Wuppertal, ist seit 2010 Kantor der Tübinger Stiftskirche und Bezirkskantor im Evangelischen Kirchenbezirk Tübingen. Von 1998 bis 2009 war er Professor und Rektor der Hochschule für Kirchenmusik in Tübingen.