Normalfall Sonntagsgottesdienst?
Symposion zur Zukunft des Gottesdienstes angesichts einer Sonntagskultur im Umbruch
Am 1. und 2. Dezember veranstaltete die „Gemeinsame Arbeitsstelle für gottesdienstliche Fragen der EKD“ (GAGF) ein fachwissenschaftliches Symposion im Kirchenamt der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD). Lutz Friedrichs, Leiter der GAGF, und Kristian Fechtner, Professor für Praktische Theologie an der Universität in Mainz, luden zu einem offenen Fachgespräch ein, in dem dreißig Vertreterinnen und Vertreter der akademischen Theologie – darunter auch Vertreter der katholischen Liturgiewissenschaft – und der kirchlichen Institute für gottesdienstliche Fortbildung und Ausbildung über die Herausforderungen des sonntäglichen Gottesdienstes diskutierten. Die Teilnehmerinnen und Teilnehmer richteten ihr Augenmerk auf die Umbrüche der Sonntagskultur, die veränderten Formen der Gottesdienstteilnahme, die Potenziale der liturgischen Zeiten, die Kennzeichen evangelischer Predigt und die homiletisch-liturgischen Anforderungen an die Pfarrerinnen und Pfarrer.
Auf dem Hintergrund seiner Studie „Zur Bedeutung des Gottesdienstes für evangelisch getaufte Menschen“ bescheinigt der Nürnberger Soziologe Martin Engelbrecht den Kirchen eine dogmatische Krise. Von dem Gottesdienst als kulturellem Geschehen sei der Gottesdienst als Diskurs zu unterscheiden. Hierbei bedürfe es größerer Anstrengungen, mit den Gemeindegliedern einen Dialog über Glaubensfragen auf Augenhöhe zu führen und auch liturgisch umzusetzen.
Die aktuelle Kirchenmitgliedschaftsuntersuchung der EKD zeige, so Jan Hermelink, Professor für Praktische Theologie aus Göttingen, dass für die Befragten der Sonntagsgottesdienst wesentlich zur evangelischen Kirche dazugehöre, obgleich er von ihnen selbst nicht regelmäßig besucht werde. Zudem erwarten die evangelischen Kirchenmitglieder vom Gottesdienst vor allem eine gute Predigt und zeitgemäße Sprache. Aus katholischer Perspektive stellte der Bonner Liturgiewissenschaftler Friedrich Lurz heraus, dass eine lebendige „eigene“ Gottesdienstfeier erst aus dem Wechselspiel zwischen einem vorgegebenen gottesdienstlichen Geschehen und dem persönlichen, kreativ-liturgischen Handeln der Gläubigen hervorgehe. Die sonntägliche Predigt, bei der es nach Ansicht des Baseler Theologen Albrecht Grözinger um eine zeitgenössische Inszenierung der biblischen Texte gehe, verlange der Predigerin Respekt, Innovationslust und Intellektualität ab.
In den Impulsreferaten und anschließenden Gruppengesprächen wurden die Spannungsmomente in der theologisch wie empirisch keineswegs eindeutigen Lage herausgearbeitet: Die gegenwärtigen Veränderungen der religiösen und kulturellen Praxis können als krisenhafter Umbruch oder als chancenreicher Aufbruch gedeutet werden. Insofern seien eine weitere Ausdifferenzierung der Gottesdienstpraxis wie eine Konzentration auf den „klassischen“ Sonntagsgottesdienst zu bedenken und dabei auch regionale Unterschiede zwischen Stadt und Land zu berücksichtigen. An einem Praxismodell, den Ludwigsburger Nachteulen, ist deutlich geworden, dass es mehr denn je den Mut braucht, gegenwärtiger evangelischer Spiritualität auch in neuen Formen Raum zu geben.
Notwendig sei es, so das Fazit der Tagung, im Gespräch zwischen den theologischen Disziplinen eine evangelische Theologie des Gottesdienstes und des Sonntags weiter zu entwickeln. Die Kirche habe gute Gründe, den kulturellen Wert des Sonntags als „Platzhalter“ für die gemeinsame, unverzweckte Zeit öffentlich herauszustellen. Denn der Wechsel von Arbeitszeit und Ruhetag (Sabbat) diene letztlich einer humanen Lebenskultur. Die Ergebnisse der Tagung werden nun zur Publikation vorbereitet. „Der gelungene Dialog zwischen Kirche und wissenschaftlicher Theologie“ so Lutz Friedrichs, „ist für die Arbeitsstelle Anlass, nach Möglichkeiten zu suchen, diese Veranstaltungsform zur weiteren Vertiefung liturgischer Gegenwartsfragen im zweijährigen Abstand fortzuführen.“
Hannover, 04. Dezember 2006
Pressestelle der EKD
Christof Vetter