Predigt im Eröffnungsgottesdienst der Synode der EKD in St. Stephan in Würzburg
Ratsvorsitzender Heinrich Bedford-Strohm
Es gilt das gesprochene Wort.
Die Gnade unseres Herrn Jesus Christus, und die Liebe Gottes und die Gemeinschaft des Heiligen Geistes sei mit euch allen!
2. Kor 3,17: „Der Herr ist der Geist und wo der Geist des Herrn ist, da ist Freiheit.“
Liebe Schwestern und Brüder,
ich habe einmal junge Leute gefragt, woran sie denken, wenn sie die Worte Geist und Freiheit hören. Da kam alles Mögliche vor: mehr als Materialismus, Ideale, die Sinn geben, das Wunder der Kreativität, Gestaltungsspielraum, der Wert von Aufmerksamkeit und Anerkennung.
Das Wort Kirche kam bei den Antworten nicht vor. Mit Kirche verbinden viele junge Leute erstmal eine Institution, die ziemlich behäbig ist, die eher staatlichen Amtsstrukturen ähnelt als geistgewirkte Freiheit auszustrahlen, wo man erstmal ziemlich viele Regeln beachten muss, v. a. Regeln, die eher von grau- bis weißhaarigen Leuten gemacht sind. Und an Spaß denken die meisten auch nicht als erstes, wenn sie das Wort Kirche hören.
Bei mir klingt noch nach, was Jonathan gesagt hat, der selbst nicht Mitglied in der Kirche ist, sich aber bei der Studierendengemeinde engagiert. Kirche, das ist für ihn erstmal eine
Institution, mit der er, so habe ich es jedenfalls rausgehört, nicht viel anfangen kann. Wo er Feuer fängt, ist die Liebe. Das Doppelgebot der Liebe beeindruckt ihn. Und das, lieber Jonathan, das verbindet uns: Dass Gott lieben und den Nächsten lieben untrennbar zusammengehören, das gehört zu meinen tiefsten Glaubensüberzeugungen.
Und genau weil das zu meinen tiefsten Glaubensüberzeugungen gehört, liebe ich meine Kirche. Und das nicht nur, weil ich darin so viele wunderbare Menschen kennengelernt habe, die aus der Kraft des Glaubens die Suche nach dem persönlichen Glück mit dem Engagement für andere verbinden. Sondern auch, weil es diese Kirche war und ist, die die wunderbare Botschaft des Evangeliums von der Liebe Gottes durch all die Jahrhunderte hindurch bis heute weitergegeben hat.
Oft genug hat sie ihren Auftrag verraten. Genau heute vor 100 Jahren ist der 1. Weltkrieg zu Ende gegangen. Viel zu viele in Kirche und Theologie haben in den nationalistischen Taumel eingestimmt, der ihn eingeläutet hat, haben die Waffen gesegnet, die zu so vielen Millionen Toten geführt haben. Und haben ihren Irrtum viel zu spät oder auch nie erkannt. Aber durch alle manchmal bestürzende Fehlbarkeit, durch alle schrecklichen Irrtümer, durch alle Unzulänglichkeit der Kirche hindurch hat die Botschaft von der Liebe Gottes über zwei Jahrtausende in der Kirche und durch die Kirche gewirkt. Die Kirche hat Menschen getröstet, den Schwachen aufgeholfen und Menschen Segen gespendet und mit in ihren Alltag gegeben. In den Mauern der Kirchengebäude sind all diese Segensgeschichten eingeschrieben. Und für mich können auch die größten Fehler und Irrtümer sie nicht ausradieren.
Deswegen stehe ich gerne für diese Kirche. Und deswegen lasse ich mich immer wieder von neuem von diesem Satz aus dem 2. Korintherbrief inspirieren, den ich mir zu Beginn meiner Bischofszeit als Bischofsspruch gewählt habe: „Der Herr ist der Geist und wo der Geist des Herrn ist, da ist Freiheit.“ Erst viele Monate später habe ich in der Zeitung gelesen, wie der Bischofsspruch meines katholischen Bruders Kardinal Reinhard Marx lautet: „Der Herr ist der Geist und wo der Geist des Herrn ist, da wirkt Freiheit.“ Schon damals habe ich es als gutes ökumenisches Omen gesehen.
Ich habe diesen Spruch gewählt, weil ich das größte Gefühl der Freiheit nicht habe, wenn ich zehn Optionen habe, zwischen denen ich wählen kann. Freiheit empfinde ich, wenn ich Christus in mir spüre, wenn die Liebe sich in mir ausbreitet, wenn ich eine innere Kraft spüre, die mich trotz meiner Fehlbarkeit mit mir im Reinen sein lässt, weil Gott mit mir im Reinen ist. Dann entsteht in mir das Gefühl der Freiheit, weil ich mich nicht vom Urteil der Anderen abhängig machen muss. Nur so kann ich als Bischof in der Öffentlichkeit stehen und ohne Angst meinen eigenen Überzeugungen folgen. Das ist für mich Freiheit. Und ich spüre sie, wenn ich den Geist Gottes in mir spüre. Ja, der Herr ist der Geist und wo der Geist des Herrn ist, da ist Freiheit. Ich glaube, dieses Gefühl hat Martin Luther genau gemeint, wenn er von der „Freiheit eines Christenmenschen“ gesprochen hat, dieser Freiheit, die untrennbar verbunden ist mit der Liebe. Jeden Tag sind unzählige Menschen in unserem Land ein lebendiger Kommentar zu dieser Freiheit eines Christenmenschen. Indem sie Kranke besuchen. Indem sie für ihre pflegebedürftigen Eltern da sind. Indem sie Menschen beistehen, die in Armut leben. Indem sie Geflüchtete begleiten und ihnen bei der Integration helfen, indem sie sich für weltweite Gerechtigkeit politisch engagieren.
Oder indem sie sich in unserer Kirche engagieren oder mit ihr auseinandersetzen, so wie die vier jungen Leute, die wir eben gehört haben. Jonathan engagiert sich für Andere, indem er Essen vor dem Wegschmeißen rettet und es für ein Catering für Geflüchtete verwendet. Jana versucht, durch ihren Videoblog, anderen jungen Leuten einen Einblick darin zu geben, wie der Glaube nichts Abstraktes ist, sondern schlicht eine große Kraft für den Alltag, eine feste Basis für die guten und für die weniger guten Tage im Leben. Und Julia und Christiane haben ihr Talent, ihre architektonische Kompetenz für eine Kirchengemeinde zur Verfügung gestellt, die jetzt nicht zuletzt deswegen Gemeinschaft vielleicht neu erlebt, weil der äußere Rahmen die Gemeinschaft nicht bremst, sondern ermutigt. Das sehen wir heute. Am Anfang standen ein Garten, der Wunsch nach einem Blog und eine alte Kirche. Und junge Menschen mit Ideen. Mich als einen, der in der Kirche leitet, erinnern die Berichte der jungen Menschen: neue Ideen brauchen Platz und Vertrauen. Am Anfang kann nicht immer schon klar sein, was das Ergebnis sein soll.
Es ist für mich so inspirierend, zu sehen, wie Menschen sich aus der Kraft ihres Glaubens oder auch aus einer klaren Intuition, dass sie etwas Sinnvolles tun wollen, engagieren. Ich nehme es als Bestätigung und Verpflichtung für uns, wenn Jonathan sagt: Alle Menschen suchen in ihrem Leben nach einem Sinn und das kann die Kirche vielen Menschen bieten.
„Der Herr ist der Geist und wo der Geist des Herrn ist, da ist Freiheit.“ Das ist mein Traum: dass wir als Kirche diesen Satz auch in unserer institutionellen Gestalt selbst ausstrahlen. Dass Menschen, die uns als Kirche erleben, spüren: Das ist ein Ort, an dem der Geist der Freiheit wirkt. Das ist ein Ort, an dem die Kraft des Glaubens die Menschen bewegt. Das ist ein Ort, an dem die Liebe Reden und Handeln prägt und jeder Mensch als kostbares Geschöpf Gottes wahrgenommen und angenommen wird. Das ist ein Ort, an dem der nüchterne Blick auf die Realitäten genau deswegen möglich ist, weil der Grundton die Hoffnung ist. Und es ist ein Ort, an dem man spürt, wie die Glaubensfreude zugleich zur Lebensfreude wird.
Und natürlich ist es ein Ort, an dem weder die normative Kraft der Grauhaarigen herrscht noch irgendein bemühter Jugendkult verbreitet wird, sondern schlicht und einfach das Volk Gottes in allen seinen Altersgruppen gemeinsam ihre Kirche gestaltet. Das ist mein Traum. Und ich wünsche mir, dass wir auf dieser Synode Schritte tun, damit davon etwas wahr wird.
„Der Herr ist der Geist und wo der Geist des Herrn ist, da ist Freiheit.“ Viele, gerade junge Menschen, finden vielleicht die Begriffe „Geist“ und „Freiheit“ richtig gut. Doch in der Rechnung ihres Lebens kommt Gott nicht vor und sie vermissen Gott nicht. Viele haben hohe Ideale und suchen nach Möglichkeiten sich sinnvoll zu engagieren. Dem christlichen Glauben stehen sie eher distanziert gegenüber. Vielleicht auch, weil sie in der Kirche, die sie kennen, diesen Geist, diese Begeisterung, nicht spüren.
Ich möchte, dass sich das ändert. Ich wünsche mir, dass wir als Kirche den Geist der Freiheit selbst neu entdecken und uns aus der Kraft dieses Geistes als Junge und Alte gemeinsam auf den Weg machen. Dass die Skeptiker Lust bekommen, mitzumachen. Weil sie spüren: Ja, es ist Lust, ein Christ oder eine Christin zu sein. Denn ich kann mit Psalm 139 zu Gott, der mich geschaffen hat, sagen: Ich danke dir, Gott, dass ich wunderbar gemacht bin. Es ist buchstäblich erlösend, dass ich vor meinen dunklen Seiten nicht davonlaufen muss, weil Christus mit seiner Liebe alles wegnimmt, was mich von Gott trennt und ich eine tiefe Einheit mit Gott spüren darf. Und weil ich auch in einer verrückten und bedrohten Welt hoffen darf, hemmungslos hoffen darf! Denn ich weiß: Gott hält diese Welt in seiner Hand und er wird es am Ende auch zeigen, so dass kein Leid und kein Schmerz mehr sein wird und alle Tränen abgewischt sind.
Das ist der christliche Glaube. Eine richtig starke Botschaft. So dass es nichts Schöneres gibt, als aus seiner Kraft zu leben. Diesen Satz des Paulus täglich erfahren zu dürfen: „Der Herr ist der Geist und wo der Geist des Herrn ist, da ist Freiheit!“
Und der Friede Gottes, der höher ist als alle unsere Vernunft, bewahre Eure Herzen und Sinne in Christus Jesus.
AMEN
5. Tagung der 12. Synode der EKD vom 11. bis 14. November 2018 in Würzburg