Predigt im ökumenischen Gottesdienst zur Eröffnung der bundesweiten „Woche für das Leben 2022“
Franz-Josef Bode, stellvertretender Vorsitzender der Deutschen Bischofskonferenz, am 30. April 2022 in der Nikolaikirche in Leipzig
Es gilt das gesprochene Wort
Liebe Schwestern und Brüder,
ich freue mich sehr, Sie hier in der Nikolaikirche in Leipzig sowie an den Bildschirmen zu Hause im Namen der Deutschen Bischofskonferenz und der Evangelischen Kirche in Deutschland begrüßen zu dürfen.
Die Nikolaikirche ist wie kaum ein anderer Ort zum Symbol der Friedlichen Revolution von 1989 geworden. Hier kamen Menschen zu Friedensgebeten zusammen, die sich durch Mauern und gesellschaftliche Machtverhältnisse nicht beeindrucken ließen. Sie hielten unbeirrt an der Wirksamkeit des Gebetes fest. Der Glaube an die verändernde Kraft des Gebetes trägt auch uns. Wir treten heute erneut vor Gott mit der Bitte um Frieden und schließen die vielen Opfer des Krieges in der Ukraine in unser Gebet ein.
An Ostern feiern wir, dass Gott die Menschen aus den Dunkelheiten dieser Welt herausholt und zu neuem Leben führt. Wir feiern das Leben heute angesichts einer Krankheit, die uns zunächst erschüttern kann, nämlich der Demenz. Aber gerade in dieser herausfordernden Lage will Gottes Heilswille aufleuchten.
Die Woche für das Leben 2022 stellt Menschen mit Demenz in den Mittelpunkt. Sie will die Entfernung zwischen ihnen und uns überwinden. Sie holt Menschen in die Mitte der Gesellschaft, die sich scheinbar immer mehr in eine eigene Welt zurückziehen; die sich nicht mehr mit einer leistungsstarken Selbstsicherheit durchs Leben bewegen; deren Erinnerungsvermögen schwindet und deren Persönlichkeit sich zunehmend verändert. Wenn wir der Demenz begegnen, stoßen wir schnell darauf, dass die sonst so selbstverständlichen Logiken unserer Welt nicht mehr tragen. Es geht nicht mehr um immer mehr – um immer besser, schneller und größer zu sein als andere. Eigenschaften, die viele einem gelingenden, würdevollen Leben zuschreiben, sind immer weniger greifbar. Da kann es entlasten und trösten zu wissen, dass die Würde des Menschen nicht von seiner Gesundheit, seiner Geisteskraft oder seiner Fähigkeit zur Selbstbestimmung abhängt, sondern unverlierbar ist. Sie gründet darin, dass Gott den Menschen gewollt und in einer Ähnlichkeit zu ihm selbst geschaffen hat und ihn in jedem Moment seines Lebens bejaht, so schwach seine Konstitution auch sein mag. Gott ist der Garant der Würde des Menschen. Seine Eigenschaften – vor allem sein unerschöpflicher Beziehungswille und seine Liebe – zeigen auf, worin der Mensch die Kraft seines Lebens finden kann: in der mitfühlenden Begegnung, in der Gemeinschaft, im Gegenüber zu Gott. Diese Perspektive kann Lebensqualität und Hoffnung vermitteln.
Menschen mit Demenz haben einen Platz in unserer Mitte. Sie sind wertvolle Glieder unserer Gemeinschaft und sie sollen – mit ihren Angehörigen – am gesellschaftlichen Leben teilhaben dürfen. In diesen Anliegen wissen wir uns als Kirchen eng verbunden mit der „Nationalen Demenzstrategie“ der Bundesregierung, in der sich seit 2020 viele Akteure für den stetig wachsenden Anteil von Demenzbetroffenen in unserem Land engagieren.
Der Glaube ist nicht primär ein intellektueller Vorgang, sondern vor allem eine Haltung des Herzens. Als solcher bleibt er für viele Menschen mit Demenz eine wichtige Stütze. Mit ihnen und für sie wollen wir heute diesen ökumenischen Gottesdienst feiern. Ich danke der Landeskirche Sachsen, besonders Ihnen, lieber Bischof Tobias Bilz, für die herzliche Aufnahme und die Vorbereitung dieser bundesweiten Eröffnung der Woche für das Leben, sowie dem Bistum Dresden-Meißen mit Dir, lieber Mitbruder Bischof Heinrich Timmerevers, für die vielfältige Unterstützung. Möge der Herr selbst diesen Tag und die ganze Woche segnen.