Predigt des EKD-Ratsvorsitzenden, Landesbischof Heinrich Bedford-Strohm, zum Sterbetag Luthers in Eisleben
Es gilt das gesprochene Wort!
Evangelium und Predigttext: Mt 11,25-30: „25 Zu der Zeit fing Jesus an und sprach: Ich preise dich, Vater, Herr des Himmels und der Erde, dass du dies Weisen und Klugen verborgen hast und hast es Unmündigen offenbart. 26 Ja, Vater; denn so hat es dir wohlgefallen. 27 Alles ist mir übergeben von meinem Vater, und niemand kennt den Sohn als nur der Vater; und niemand kennt den Vater als nur der Sohn und wem es der Sohn offenbaren will. 28 Kommt her zu mir, alle, die ihr mühselig und beladen seid; ich will euch erquicken. 29 Nehmt auf euch mein Joch und lernt von mir; denn ich bin sanftmütig und von Herzen demütig; so werdet ihr Ruhe finden für eure Seelen. 30 Denn mein Joch ist sanft, und meine Last ist leicht.“
Liebe Gemeinde,
„In deine Hände befehle ich meinen Geist; du hast mich erlöst, HERR, du treuer Gott.“ So haben wir vorhin mit Psalm 31 gebetet, ein Wort, das jede und jeder von uns mit seinen Ohren heute Morgen hört und auf das bezieht, was sie und ihn gerade bewegt. In der spätmittelalterlichen Frömmigkeit diente der Psalmvers als Sterbegebet. Es ist überliefert, dass auch Martin Luther genau dieses Wort heute vor 473 Jahren an seinem letzten Lebenstag wiederholt gebetet hat, bevor er am frühen Morgen des 18. Februar 1546 verstarb. In seinem eigenen Sterben wird sichtbar, was für die reformatorische Frömmigkeit zentral war. Die Erfahrung, dass die wunderbaren Worte der Bibel ein fester Grund für Leben und Sterben sind. Und die Erfahrung, dass am Ende nicht sakramentale und priesterliche Vermittlung das Entscheidende sind, so hilfreich und tröstlich sie sein können. Dass nicht die letzte Ölung, die letzte Beichte oder auch das letzte Abendmahl entscheidend sind für ein Sterben in der Gegenwart Gottes, sondern allein das Vertrauen in Gottes Gnade. Und dann die Erfahrung für Luther, dass die Zusage dieser Gnade trägt, dass sie zur Gewissheit wird, dass sie einen tiefen Frieden schenkt, der stärker ist als alle Angst und aller Zweifel: „In deine Hände befehle ich meinen Geist; du hast mich erlöst, HERR, du treuer Gott.“
Wie sehr diese Gewissheit ihn immer wieder von neuem mitten ins Leben hineingestellt hat, zeigen sogar noch seine letzten Lebenstage. Luther hatte sich überreden lassen, Streitigkeiten zwischen den Mansfelder Grafen zu schlichten. Geschwächt, aber im Kopf klar und immer noch voll derben Humors. Zu der beschwerlichen Überfahrt über die Saale unkt er, dass der Teufel ein „fein wolgefallen“ hätte, wenn er in „dem Wasser ersöff“. Und seiner Käthe schreibt er vom „gut Torg(au)isch bier und Rheinischen wein“; sie solle sich nicht sorgen, sondern auf den „bessern sorger“ da oben vertrauen. Und er unterschreibt den Brief an seine Käthe mit: „Ewer heiligkeit williger diener M.L.“. Und den Sorgen der Eislebener Gesellschaft um seine Gesundheit wirft er schließlich schroff, aber auch mit einer gehörigen Portion Selbstironie entgegen, dass er sich erst in Wittenberg „in die Sarck schlaffen legen und den würmern einen guten feisten doctor zu verzeren geben“ wolle.
So redet jemand, der die Angst vor dem Tod überwunden hat.
Und: Er nimmt seinen Aufenthalt in Eisleben noch einmal wahr, um hier vier Mal zu predigen. Der letzten Predigt am 15. Februar 1546 legte er genau das Evangelium zugrunde, das wir vorhin aus dem Matthäusevangelium im 11. Kapitel gehört haben.
Es ist mir eine Freude und Ehre, liebe Gemeinde, dass ich heute, fast genau 473 Jahre später, und von so vielem inspiriert, was Luther uns geschenkt hat, hier auf dieser Kanzel stehen und zu eben diesem Text aus dem Matthäusevangelium predigen darf.
„Das ist ein schön Evangelium und hat viel Dings in sich begriffen.“ So beginnt Luther seine Predigt. Und er hat Recht damit. Gerade in den letzten Lebensjahren waren die Predigten des Reformators oft auch geprägt von Polemiken gegen Andersdenkende geprägt, die uns heute befremden. Und wo die Polemik sich gegen die Juden richtet, erfüllt sie uns heute mit tiefer Scham. Es sind die leiseren Passagen, die etwas von seiner persönlichen Frömmigkeit und Glaubenspraxis zum Ausdruck bringen, was auch für uns heute eine Quelle der Inspiration sein kann.
Dazu gehört bestimmt das, was Luther uns zur Kindertaufe mitgegeben hat. „Ich preise dich, Vater, Herr des Himmels und der Erde, dass du dies Weisen und Klugen verborgen hast und hast es Unmündigen offenbart“, so beginnt der Bibeltext. Luther empfand sich zeit seines Lebens als Kind Gottes und er brachte dies auf den kurzen prägnanten Satz: „Ich bin getauft“. In schweren Stunden im Stillen gesprochen oder mit Kreide auf den Tisch geschrieben, erfand er eine ganz existentielle und persönliche Form des Taufgedächtnisses.
Ich bin sicher, dass er auch bei seinem letzten Aufenthalt hier in Eisleben immer wieder an seine eigene Taufe in der hiesigen St. Petrikirche am 11. November 1483 gedacht hat. Und er immer wieder gespürt hat, wie wunderbar es ist, getauft zu sein und damit einen Anker im Leben zu haben, der auch dann trägt, wenn der Glaube wegzubrechen droht. Wenn meine inneren Gewissheiten ins Wanken geraten, dann weiß ich trotzdem: Ich bin getauft und damit für alle Zeiten mit Gott verbunden. Das kann mir niemand nehmen.
In der Taufe werden wir ja nicht erst Kinder Gottes; das sind wir schon als Menschen. Aber mit der Taufe wird es uns bewusst: Zuerst stellvertretend durch das Gottvertrauen der Eltern, Paten und der Gemeinde und dann später auch durch den eigenen Glauben. Es ist der Glaube an einen Gott, der schon zu dem unmündigen Kind sagt: Ich bin mit Dir. Ich begleite Dich durchs Leben, durch Tiefen und über Höhen. Dieser väterlich und mütterlich liebende Gott ist es, der uns in Jesus von Nazareth begegnet. Jesus hat die Menschen so fasziniert, weil sie in ihm die Liebe und Barmherzigkeit Gottes gespürt haben wie bei niemand anderen. „Kommt her zu mir, alle, die ihr mühselig und beladen seid; ich will euch erquicken.“ Jesus hat diese Zusage selbst ausgestrahlt und er strahlt sie für uns heute genauso aus wie für die Menschen damals.
Die Taufe ist für Luther kein magischer Akt ist, sondern – wie er in der letzten Predigt sagt – eine ‚Stärkung und Kräftigung des Glaubens‘. Gewissheit kommt aus der unmittelbaren Beziehung zu Gott. Und die Taufe steht als äußeres Zeichen dieser Gottesbeziehung. Das ist auch der tiefste Kern von Luthers Gedanken vom Priestertum aller Getauften, das im Kern ein Priestertum aller Glaubenden ist: Im Glauben bin ich mit Gott in Beziehung und er mit mir; und dass Gott für mich da ist, ist mir bewusst durch meine Taufe.
Weil die Taufe so zentral für uns ist, deswegen, liebe Gemeinde, ist es für mich eine so große Freude, dass Sie hier in Eisleben in der Reformationsdekade 2012 in St. Petri das Zentrum Taufe eröffnet haben. Ich habe ja die wunderschöne Neugestaltung der Kirche mit dem großen Taufbecken schon vor einigen Jahren sehen können. Und war sehr beeindruckt davon. Und die hervorragende Vorstellung des Zentrums auf der Webseite, besonders auch der Panoramablick auf die Kirche – macht Lust, sie einmal mit eigenen Augen zu sehen und kennenzulernen. Und damit so etwas die je eigene persönliche Tauferinnerung zu erleben. Ich kann Ihnen zu diesem Taufzentrum nur gratulieren. Ich hoffe, dass viele Menschen es für sich entdecken.
Dass wir, liebe Gemeinde, heute auch das Abendmahl miteinander feiern, liegt ganz auf der Linie der Hochschätzung der Taufe, die wir bei Martin Luther finden. Denn auch das ‚Sakrament seines Leibs und Bluts‘, wie Luther das Abendmahl in seiner letzten Eislebener Predigt nennt, gilt der Stärkung des je eigenen Glaubens, aber nun zusammen in Gemeinschaft mit anderen: Vergewisserung der eigenen Beziehung zu Christus und eine Bestärkung in der Gemeinschaft der Gemeinde als dem Leib Christi. Wenn wir heute das Abendmahl in diesem Gottesdienst feiern, dann spricht darin auch der Vers aus dem heutigen Evangeliumstext zu uns: „Kommt her zu mir, alle, die ihr mühselig und beladen seid; ich will euch erquicken.“ (V. 28)
Immer wieder von Neuem ist es für mich faszinierend, wie wir als Menschen, die so unterschiedlich sind, die vielleicht sonst gar nichts miteinander zu tun haben, in der Gegenwart Christi im Abendmahl zu einer Gemeinschaft werden. Wie wir Brot und Wein miteinander teilen, die durch den Heiligen Geist für uns zum Leib und zum Blut Christi werden. Wie wir den gekreuzigten und auferstandenen Christus in ganz sinnlicher Weise in uns aufnehmen, wie er sich in uns ausbreitet. Wie wir ihn in uns spüren. Wie wir Frieden finden. Wie Christus all das, was uns von Gott trennt mitnimmt ins Grab und es im Grab lässt und aufersteht und uns mitnimmt ins Licht. Und wie wir dann spüren, dass der Ruf Jesu aus dem Matthäusevangelium wahr wird: „Kommt her zu mir, alle, die ihr mühselig und beladen seid; ich will euch erquicken.“
Taufe und Abendmahl sind Orte, an denen wir verdichtet erfahren, was so zentral ist für unseren Glauben: nicht wir geben uns das Leben, sondern Gott schenkt es uns. Jeden Tag von neuem. Nicht wir sind die Herren unseres Lebensplans, sondern Gott führt und leitet uns, in den guten und in den schweren Tagen. Wie tragfähig diese Basis für unser Leben ist, hat Dietrich Bonhoeffer einmal in Worten ausgedrückt, die seither viele Menschen begleitet haben: „Ich glaube, dass Gott aus allem, auch aus dem Bösesten, Gutes entstehen lassen kann und will. Dafür braucht er Menschen, die sich alle Dinge zum Besten dienen lassen. Ich glaube, dass Gott uns in jeder Notlage so viel Widerstandskraft geben will, wie wir brauchen. Aber er gibt sie nicht im Voraus, damit wir uns nicht auf uns selbst, sondern allein auf ihn verlassen. In solchem Glauben müsste alle Angst vor der Zukunft überwunden sein.“
Diese Gewissheit, die Bonhoeffer in der Gefängniszelle – schon im Angesichte des Todes - aufgeschrieben hat, ist es gewesen, die auch Martin Luther ziemlich genau 400 Jahre vorher getragen hat, als es aufs Sterben zuging.
Ganz zum Schluss, als Luther weiß, dass alles geschrieben, gesagt und getan ist, vieles auch vergeblich, schreibt er: „Wir sind pettler: hoc est verum“: ‚Wir sind Bettler, das ist wahr‘. Nach aller Lebensleistung, nach allem Ringen, nachdem er abertausende Seiten vollgeschrieben, hunderte Predigten gehalten und viele Kämpfe ausgefochten hat – nun am Ende eine große Demut. Auch darin steht ihm der Jesus vor Augen, wie er sich in unserem Evangeliumstext zu verstehen gibt: „[D]enn ich bin sanftmütig und von Herzen demütig; so werdet ihr Ruhe finden für eure Seelen.“ Am Ende getrost und getröstet zurückblicken und wissen, dass alles, was gut war, auch Geschenk war; dass aber auch was schwer und eine Last war, mitgetragen wurde von einem Gott, der uns das Joch sanfter und die Lasten des Lebens leichter macht. Eine solche Demut ist nicht ein Lob der Passivität. Sie ist vielmehr das tiefe Vertrauen, dass wir bei aller eigenen Verantwortung und Lebensaktivität, bei allem, was wir im Leben auch schaffen und vollbringen müssen, wie Bettler Beschenkte sind. Diese lebensbejahende Demut ist eine Tugend, die uns im Leben und Sterben guttut. In diesem Geist Jesu aktiv das Leben gestalten, Verantwortung für sich, für andere und in der Gesellschaft zu übernehmen und bei alledem zu wissen, zu wem wir kommen dürfen, wenn wir mühselig und beladen sind, das ist die tragfähigste Grundlage für unser Leben, die ich mir vorstellen kann.
Liebe Gemeinde, Lasst uns sein wie Bettler und genau deswegen jeden Tag wahrnehmen, wie reich uns Gott beschenkt! Dafür loben wir Gott von einer Ewigkeit in die andere.
Und der Friede Gottes, der höher ist als alle unsere Vernunft, bewahre Eure Herzen und Sinne in Christus Jesus. Amen.