Kirche steht vor „Generationenaufgabe“

Interview mit Professor Raffelhüschen

Das Forschungszentrum Generationenverträge (FZG) der Albert-Ludwigs-Universität
Freiburg hat unter der Leitung von Professor Bernd Raffelhüschen erstmals eine koordinierte Mitglieder- und Kirchensteuervorausberechnung für die evangelische und katholische Kirche in Deutschland erstellt. Für die 20 evangelischen Landeskirchen und 27 römisch-katholischen (Erz-)Diözesen in Deutschland wurde ermittelt, wie sich Kirchenmitgliedschaftszahlen und Kirchensteueraufkommen langfristig bis zum Jahr 2060 entwickeln werden. Das zunächst katholische Forschungsprojekt wurde Mitte des Jahres 2017 auf die evangelischen Landeskirchen ausgeweitet und wird auch von der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD) unterstützt.

Drei Fragen an…

Prof. Dr. Bernd Raffelhüschen ist Direktor des Forschungszentrums Generationenverträge und des Instituts für Finanzwissenschaft und Sozialpolitik der Albert-Ludwigs-Universität Freiburg.

Herr Professor Raffelhüschen, Ihr Forschungszentrum hat untersucht, wie sich Kirchenmitgliedschaft und Kirchensteueraufkommen der beiden großen Kirchen in Deutschland bis 2060 entwickeln werden. Wie sicher ist eine solche Vorausberechnung bis über die Mitte des Jahrhunderts hinaus?

Nun ja, Projektionen wie diese basieren natürlich auf Annahmen. Im Prinzip spiegeln wir die heutigen Verhältnisse in die Zukunft. Bei Sterbefällen und Geburten ist das relativ einfach. Schwieriger wird es bei Migration und kirchenspezifischen Einflüssen. Unsere Projektionen gehen davon aus, dass das Tauf-, Austritts- und Aufnahmeverhalten von Kirchenmitgliedern in den letzten Jahren auch für die Zukunft repräsentativ ist. Wenn sich dieses allerdings langfristig verändert, werden auch die Ergebnisse andere sein.

„Ich hoffe, dass unsere Projektion der evangelischen Kirche hilft, differenziert auf die Gründe des Mitgliederrückgangs zu blicken.“

Prof. Dr. Bernd Raffelhüschen,
Prof. Dr. Bernd Raffelhüschen Direktor des Forschungszentrums Generationenverträge und des Instituts für Finanzwissenschaft und Sozialpolitik der Albert-Ludwigs-Universität Freiburg

Was ist aus Ihrer Sicht die eindrücklichste Erkenntnis dieser Studie?

Was wir alle intuitiv erwartet haben, zeigen auch unsere Ergebnisse: Die Mitgliederzahl der evangelischen Kirche wird sich bis zum Jahr 2060 in etwa halbieren. Das liegt – und das ist die neue Erkenntnis – aber nur zu knapp der Hälfte am demografischen Wandel – also dem Überhang von Sterbefällen über die Geburten sowie dem Wanderungssaldo. Mehr als die Hälfte des Mitgliederrückgangs beruht auf Tauf-, Austritts- und Aufnahmeverhalten.

 

Inwiefern kann diese auf Annahmen basierende Vorausberechnung hilfreich sein?

Ich hoffe, dass unsere Projektion der evangelischen Kirche hilft, differenziert auf die Gründe des Mitgliederrückgangs zu blicken. Wenn mehr als die Hälfte des Rückgangs auf die zurückgehende Bindungskraft der Institution verweist, ist für den Mitgliederverlust nicht allein der zweifellos unumkehrbare demografische Wandel verantwortlich. In diesem Sinn ermutige ich dazu, unsere Ergebnisse nicht als Untergangsprophetie zu lesen, sondern nach Zusammenhängen zu suchen, auf die Einfluss genommen werden kann. Hier liegt eine echte Generationenaufgabe. Und das meine ich durchaus auch positiv. Denn unsere Analyse macht deutlich, dass die Kirche gerade in den kommenden zwei Jahrzehnten weiterhin über Ressourcen zur Umgestaltung verfügt.