„Ich bin süchtig nach Kirchen“
Reformationsbotschafterin Bettina Wulff versucht, direkten Kontakt zum Glauben zu halten
Die evangelische Kirche feiert 500 Jahre Reformation – und Bettina Wulff feiert mit. Denn sie hofft darauf, dass die Reformation nicht nur in der Kirche gefeiert wird, sondern auch draußen unter allen Menschen.
Frau Wulff, die evangelische Kirche feiert 500 Jahre Reformation. Warum feiern Sie mit?
Bettina Wulff: Meine Kinder sind es schon gewohnt, dass ich mich in der Kirche und auch für meinen Glauben engagiere. Religion und Glaube und auch lutherischer Glaube sind bei uns auch im Alltag relevant – beten vor dem Essen, gemeinsam in die Kirche gehen, Lieder singen. Gerade mit dem Kleinen mache ich das sehr gern, ihn so ein bisschen spielerisch heranzuführen. Mein älterer Sohn ist gerade Konfirmand. Der diskutiert im Moment gern und ausgiebig, und wir diskutieren darüber, was er denn aus seiner Sicht in der Kirche gern verändert sehen möchte, was er vielleicht auch selber verändern kann und was er gut findet, was er schlecht findet. Und so ist das bei uns im Moment wirklich sehr, sehr aktuell.
Was ist für Sie Reformation?
Wulff: Für mich persönlich ist es vor allen Dingen der Gedanke, selbstverantwortlich im Leben zu sein, bei allem, was ich tue, Dinge zu hinterfragen, Dinge nicht als gottgegeben hinzunehmen, sondern es selber in die Hand zu nehmen. Aber auch zu zeigen: Wenn ich etwas verändern möchte, dann muss ich das eben innerhalb dieses Rahmens tun. Ich kann mich nicht nur darüber beklagen, was mir alles nicht gefällt, und was alles nicht stimmt und nicht gut ist, sondern dann muss ich selber losgehen und es verändern wollen. Dazu braucht es Reflexion und Wissen. Dazu braucht man Informationen und das hat damals vor 500 Jahren das Weltbild von vielen, vielen Menschen ins Schwanken gebracht.
Wenn man für etwas Botschafterin wird, schaut man es sich genauer an. Wo sehen Sie Negatives an der Reformation?
Wulff: Ich betrachte kritisch, dass die Unterschiede in Glaubensrichtungen immer noch zu sehr betont werden im Vergleich zu den vielen Dingen, die ja eigentlich auf derselben Basis stehen. Und ich glaube, wenn wir 2017 die Reformation feiern, dann sollte das auch ein Anlass sein, sie mit allen gemeinsam zu feiern und andere Konfessionen und Menschen mit anderen Überzeugungen einzuladen, es sich wenigstens mit anzuschauen. Vielleicht muss man auch die Diskussion wieder mehr aufleben lassen, die es zwischen evangelisch-lutherischen Christen und katholischen Christen gibt, um wieder ein bisschen mehr Gemeinschaft möglich zu machen. Es ist wunderbar, Reformation zu feiern, aber es sollte keine geschlossene Gesellschaft sein, die sich feiert.
Worauf freuen Sie sich am meisten beim Reformationsjubiläum?
Wulff: Ich hoffe, dass es viele kleine Festivitäten und Anlässe geben wird, die mehr oder weniger offen auf der Straße stattfinden, zu denen man alle Menschen einlädt. Damit das Reformationsjubiläum nicht nur in geschlossenen Kirchen stattfindet, damit wir es auf die Straße tragen und vor allen Dingen auch für alle zugänglich machen. Es sollte auch etwas sein für junge Menschen, damit sie das Gefühl bekommen, dass es etwas mit ihnen zu tun hat, dass es einen ganz konkreten Bezug gibt: Nämlich sich seine Überzeugungen zu bilden und dafür auch zu stehen. Ich habe da eine große fröhliche Gemeinschaft im Kopf, die 2017 hoffentlich offen und weltoffen miteinander umgeht.
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Wer ist Martin Luther für Sie? Was fasziniert Sie an ihm?
Wulff: Mich fasziniert vor allen Dingen seine Art, Dinge rigoros in seinem Leben zu ändern. Es gab immer wieder Momente, wo er gesagt hat: Jetzt kann ich so nicht mehr weiter machen wie bisher, ich muss etwas ändern. Die Geschichte vom Blitzschlag, von dem er verschont wurde und dann Mönch wurde, zeigt, wie konsequent er gewesen sein muss, dass er so einen Anlass wirklich nutzt, um etwas zu verändern. Ich glaube, das ist sehr, sehr mutig. In dem Moment war ihm, glaube ich, auch wirklich egal, was andere Menschen über ihn gedacht haben. Und sich dann so in seinen Glauben zu vertiefen, sich so mit der Materie auseinanderzusetzen, um dann zu merken: Das muss ich den Menschen geben, ich muss ihnen die Möglichkeit geben, dass sie das selber lesen können, dass sie sich selber ein Urteil überhaupt bilden können, indem sie nämlich selber die Bibel lesen können und nicht vorerzählt bekommen – davor habe ich höchsten Respekt. Er muss eine sehr differenzierte Persönlichkeit gewesen sein.
Gibt es bei Ihnen auch Luther-Momente, solche Blitzeinschläge?
Wulff: Ich glaube, zwei solcher Blitzeinschläge gab es jeweils bei der Geburt meiner Kinder. Da habe ich tatsächlich gemerkt, es gibt da irgendwie etwas – Gewalten, die ich nicht mehr beeinflussen kann –und wo ich loslassen muss und das einfach in Gottes Hände gebe. Beide Male, glaube ich, hat mich das für das spätere Leben verändert. Es ist eine größere Dankbarkeit da, es ist das Hören auf kleine, leisere Töne, es lässt mich Dinge im Leben mit anderen Augen sehen. Das, würde ich sagen, sind bisher die beiden größten Luther-Momente in meinem Leben gewesen.
Wie sieht das bei Ihnen zu Hause aus, wenn Sie sagen: „Glaube spielt eine wichtige Rolle bei uns“?
Wulff: Es gibt immer wieder verschiedene Anknüpfungspunkte: Durch die Kinder mit Religionsunterricht und Konfirmandenunterricht, durch die Dinge, die mein Mann in seiner Kirche tut und die Dinge, die ich in der evangelischen Kirche begleite. So wie „Notruf Mirjam“, das ist ein Seelsorgetelefon, wo junge Mütter in Notsituationen anrufen können. Wenn ich da einen 24-Stunden-Dienst habe, habe ich dieses Telefon neben mir liegen, und wenn das nachts um drei Uhr klingelt, dann gehe ich da ran. Dann hat natürlich die ganze Familie auch was davon, weil sie eben wach wird. Das gehört zum täglichen Leben dazu. Wir versuchen auch regelmäßig, in Kirchen zu gehen, wann immer wir irgendwo in einer Stadt unterwegs sind. Ich bin sozusagen süchtig nach Kirchen! Ich möchte auf jeden Fall jede Kirche sehen, an der ich vorbeikomme, von innen betrachten, wahrnehmen, wie die Menschen sich darin bewegen. Da schaffe ich dann auch wieder einen direkten Kontakt zu meinem Glauben. Und ganz wichtig ist, religiöse Feste zu feiern und wirklich zu zelebrieren, mit den Menschen, die einem wichtig sind. So ist in der Familie Wulff Gott irgendwie immer dabei.
„Es lohnt sich einfach, sich mit Luthers Leben und seinem Tun auseinanderzusetzen.“
Was gibt Ihnen diese Form von Glauben?
Wulff: Es gibt mir eine innere Gelassenheit. Ich muss vor Aufgaben im Leben keine Angst haben, weil ich mich auf meinen Glauben, der in mir verwurzelt ist, verlassen kann. Das schafft eine bewusstere Wahrnehmung der Welt, nicht getrieben zu sein, sondern ein Stück zur Seite treten zu können, um sich Dinge erst einmal anzuschauen. In dem guten Wissen, dass ich geborgen bin. Hört sich manchmal etwas kitschig an, ist aber ein tiefes Gefühl, was über die Jahre immer mehr gewachsen ist. So eine Art Gottvertrauen ist für mich ein ganz großes Geschenk im Leben.
Auch das Reformationsjubiläum wird irgendwann zu Ende gehen. Was soll davon bleiben?
Wulff: Auf jeden Fall ein lang anhaltender Impuls, das Gespräch zwischen den Konfessionen weiterzuführen, noch intensiver Glauben gemeinsam zu feiern. Trotzdem kann jeder bei seinen Überzeugungen bleiben, das Eine schließt das Andere nicht aus. Vielleicht schaffen wir es auch, Luther wieder so ein bisschen mehr unters Volk zu bringen, im Wahrsten Sinne des Wortes. Ich wünsche mir, dass wieder ein bisschen mehr Luther gelesen wird und auch in den Schulen das Thema Luther im Religionsunterricht nicht nur so ganz am Rande behandelt wird. Es lohnt sich einfach, sich mit seinem Leben und seinem Tun auseinanderzusetzen. Zudem werden wir dann sicherlich auch tolle Beiträge, Filme und Publikationen haben: Die können wir wunderbar benutzen und weitertragen.
EKD/GEP