Konfirmandenunterricht per WhatsApp
Torsten Heinrich reist als evangelischer Seelsorger für Schausteller und Circusleute durch Deutschland
Frankfurt a.M. (epd). Torsten Heinrich ist fast immer unterwegs. Seine Gemeinde findet der evangelische Pfarrer in ganz Deutschland: auf Jahrmärkten, Volksfesten, in Zirkussen und bei Puppenspielern. Dort tauft, konfirmiert und traut er, dort hat er ein offenes Ohr für Gespräche. Der 55-Jährige ist Leiter der „Evangelischen Circus- und Schaustellerseelsorge“.
60.000 Kilometer im Jahr
„An rund 200 Tagen im Jahr bin ich mit insgesamt 60.000 Fahrtkilometern bundesweit unterwegs“, erzählt der geborene Leipziger. Rund 23.000 Gläubige zähle seine Gemeinde auf dem Papier. Aber ob jemand, mit dem er spreche, evangelisch sei, spiele letztlich in seinem Seelsorgeralltag keine Rolle. Jetzt im Herbst reiht sich ein Volksfest an das andere: Zuletzt leitete er auf dem Münchner Oktoberfest mit seinem katholischen Kollegen im Festzelt den traditionellen Wiesn-Gottesdienst, weiter geht es ins hessische Neustadt zum Autoskooter-Gottesdienst.
Beim Gang über den historischen Teil von „Pützchens Markt" in Bonn blickt der Mann mit dem schwarzen Hut als Erkennungszeichen regelmäßig aufs Smartphone. Hier sind alle Kontaktdaten seiner Gemeinde erfasst. Im Vorbeigehen schwärmt Heinrich von pittoresk bemalten Karussells und Zuckerwatteständen. Hier ein Händedruck mit einem Schausteller, den er von anderen Kirmesorten kennt, dann ein fast jungenhafter Blick hinüber zu den Autoskootern. Jetzt muss erst einmal Chefin Astrid Müller an der Kasse begrüßt werden.
Vom Turner zum Theologen
„Direkt auf der Kirmes hat Pfarrer Heinrich letztens ein Kind getauft. Das war richtig bewegend“, erzählt Müller, während sie die Elektroautos auf eine neue Tour schickt. „Auch wir brauchen Gottes Segen.“
Torsten Heinrich lächelt. Für die Taufe sei er mit seinem mobilen, zerlegbaren Taufbecken angereist. „Ich taufe auch im Zirkuszelt und auf der Puppenspielerbühne.“ Er komme für jede kirchliche Amtshandlung auf jede Kirmes der Republik: Eine Nachricht über die sozialen Medien oder direkt vor Ort im Zelt, und er organisiert den Termin.
In seiner Jugend sei er DDR-Meister im Geräteturnen gewesen, erzählt der drahtige Mann. Als er 15 war, habe man ihn plötzlich aus politischen Gründen „abserviert“ und aus der Mannschaft entfernt: Bei der kaderpolitischen Untersuchung sei seine entfernte Verwandtschaft aus dem Ruhrgebiet aufgefallen. Für ihn selbst habe es aber eine gute Wendung bedeutet. „Denn aufgefangen hat mich eine ganz andere Welt: die der evangelischen Kirche. Da habe ich neue Freunde und Halt gefunden. Da habe ich die Lust am Denken und das Gitarrespielen entdeckt.“
20 Jahre lang war Heinrich Gemeindepfarrer und sechs Jahre Leipziger Stadtjugendpfarrer. Um dann 2015 noch einmal neu durchzustarten: Die evangelische Bundespfarrstelle für Schausteller und Circusleute war frei geworden. „Das hat mich gereizt: mich auf unkonventionelle Lebensweisen einzustellen, kommunikationsfähig, authentisch und beweglich zu sein.“
Druck und Ängste nehmen zu
Frank Hakelberg, Hauptgeschäftsführer des Deutschen Schaustellerbunds, weiß die Arbeit der evangelischen und katholischen Pfarrer zu schätzen: „Für unsere rund 5.000 Schaustellerunternehmen, an denen ganze Familienverbände und viele Saisonarbeiter dranhängen, ist die verständnisvolle Seelsorge enorm wichtig.“ Heutige Schausteller müssten, der starken Konkurrenz im Freizeitsektor wegen, ungemein flexibel bleiben. „Es gibt natürlich Nöte, Ängste, Krankheit und Verlust. Und die Pfarrer können sich in sie hineinversetzen.“
Sie habe keine Telefonnummer „zum Herrn da oben“, so sagt es die Schaustellerin Astrid Müller in Bonn, während Heinrich dann doch freudig eine Autoskooter-Runde dreht. „Wem soll ich meine Probleme denn sonst anvertrauen als dem Pfarrer, der zu uns kommt?“
Hochzeit auf dem Riesenrad
Torsten Heinrich hat sich seine Zentrale im geografischen Mittelpunkt Deutschlands aufgebaut, im nordhessischen Witzenhausen. Die Menschen, die er aufsuche, bewegten besonders die Bildungschancen ihrer Kinder, erzählt er: „Ich höre oft: Was mute ich meinen Kindern zu, wenn sie die Schulen dauernd wechseln müssen?“ Dann bastele er mit den Familien an individuellen Lösungsmöglichkeiten: Die EKD etwa betreibe zwei mobile Zirkusschulen. Oder die Großeltern sprängen ein.
Überhaupt spricht Heinrich mit Hochachtung vom großen Familienzusammenhalt in seiner verstreuten Gemeinde. Die Jungen erhielten eine gute Erziehung und lernten, schon früh Verantwortung zu übernehmen. Der Pfarrer berichtet von würdevollen Beerdigungen mit 300 Trauernden und vom lebhaften Konfirmandenunterricht – etwa für die Geschwister Romi und Andi per WhatsApp, die von ihm so vieles zum Glauben erfahren wollten. Dann glänzen seine Augen.
Die Welt der Achterbahnen, Marionetten und Clowns ist für den Pfarrer auch seine eigene geworden. In diesem Sommer hat er geheiratet. Die Trauung von Torsten Heinrich und Kerstin Krause, einer Pfarrkollegin aus Hessen, fand sozusagen zwischen Himmel und Erde auf der Weltausstellung Reformation in Wittenberg statt: in der Gondel eines Riesenrads in 30 Metern Höhe.
Ebba Hagenberg-Miliu (epd)