Hauptsache gemeinsam
Die finnische Gemeinde in Köln ist eine Oase der Heimat
Aufgeregt rückt Riikka die Stühle hin und her. Sollen sie in zwei Reihen stehen? Nein, doch besser alle in einer. Niemand soll sich zurückgesetzt fühlen, wenn sie gleich der Dorfgemeinschaft die frohe Botschaft verkündet und von ihrem Glauben an Jesus und Gott erzählt. Einmal kurz probesitzen, sie rutscht hin und her: Gut, sie können kommen.
Es ist lange her, dass in Finnland eine Szene passiert sein könnte, wie sie sie in der finnischen Kirchengemeinde in Köln gerade proben. Das Christentum fand um 1200 den Weg in den hohen Norden. 1527 bestätigte der finnische Reichstag die Reformation und ersetzte kurzerhand das katholische Glaubensbekenntnis durch das evangelische.
Noch heute sind etwa drei Viertel der Finnen evangelisch getauft, auch wenn der Glaube ähnlich wie in Deutschland an Bedeutung verloren hat. Die Kirche hat es nicht, sie ist weiter mitten im sozialen Leben verankert. In Deutschland treffen sich christliche Auswanderer aus Finnland fast schon genauso lange, wie es den finnische Staat gibt. Dieses Jahr feiert er hundertjähriges Jubiläum. Natürlich feiert die finnische Kirche in Deutschland mit.
Grenzen überschreiten
„Riikka“ war eben noch Sari Karjialainen. Direkt von der Arbeit ist die Chemikerin zur Probe in den Gemeinderaum gesaust. Buntes Patchwork und Handarbeiten der Kindergartenkinder zieren die Wände der hellen Räume. Die Stühle taten eben noch im Gemeinderaum ihren Dienst. Auf einem hat sich Regisseurin Nella Turkki zusammengefaltet und beobachtet konzentriert „Riikka“-Sari und Tuulia Hokkanen, die ihre härteste Widersacherin spielt. Heute proben die Hauptdarstellerinnen alleine, sehr ernsthaft. Das Musical „Die Flammen“ ist eine ziemlich große Sache für die Finnische Kirche in Deutschland. Im Oktober werden gut sechzig Sänger, Musiker und Schauspieler aus vier Gemeinden auf der Bühne stehen.
Und Sari hat die Hauptrolle. „In dem Stück geht es darum, Grenzen zu überschreiten“, sagt sie. „Und das passt.“ Sie lacht. Zierlich ist sie, hat dunkle Knopfaugen und dichtes, blondes Haar. Dass sie im Zentrum der Aufführung steht, bedeutet für sie, ständig Grenzen zu überschreiten. Vor allem eigene, denn im Mittelpunkt steht sie eigentlich nicht gerne. Zum Kirchenchor ist sie gestoßen, nicht so sehr, weil ihr die Kirche fehlte, sondern weil sie gerne singt – und kaum Gelegenheit hat, Finnisch zu sprechen, seit sie vor mehr als zehn Jahren nach Deutschland kam. Da traf sie die Pfarrerin Anna-Maari Tölle und die begeisterte sie für den Gemeindechor. „So ist aber auch die Kirche, so sollte sie sein“, sagt sie. „Sie sollte Grenzen zu anderen Menschen überwinden.“ Es klappt. Die Kölner sind wie eine große Familie, Freunde, die sich auch außerhalb der Gemeinde zu allen Gelegenheiten treffen – ausgehend von den Frauen, erzählt Sari. Und in Deutschland ist die finnische Kirche zur Anlaufstelle für etwa 8.200 aller 13.000 gemeldeten Finnen geworden.
Vielleicht, weil kirchliche Riten nicht unbedingt im Vordergrund stehen. Glaube, der Weg dahin führt über die Gemeinschaft. Dass die sehr betriebsam ist, davon zeugen auf der Website die zahlreichen Berichte über gemeinsame Aktivitäten: Chorprojekte, Ausflüge, Stammtische, Sonnwendfeiern, Kochabende, abenteuerliche Konfirmandencamps in den finnischen Wäldern, Sporttage… Die Liste ist lang. Für die Kölner Finnen ist ihre Gemeinde eine Heimatoase. Das Bücherregal mit finnischen Klassikern, das Schnabulierregal mit finnischem Bier, Knabberzeug und dem „oralen Gedächtnis“, wie sie es nennen, den Vollmilchriegeln von Karl Fazer, die Sauna im Kirchenkeller… Es gibt viele Gründe zu kommen. Hauptsache zusammen sein, zusammenhalten. Das ist wichtig.
„Was macht das mit Menschen, wenn sie glauben?“
Im Musical hat es die gläubige Riikka natürlich nicht recht einfach, die Heiden zu überzeugen, zumal sie nicht die erste Missionarin am Ort ist und sich der Vater ihrer Widersacherin selbst umgebracht hat, aus Enttäuschung über die Dorfmitglieder, die sich für das Christentum vom alten Feuergott abgewandt haben. Regisseurin Nella hat den Schwerpunkt des Stücks verlagert, nicht das Missionieren steht im Vordergrund, sondern das Überwinden von menschlichen Hürden. „Die Frage ist doch, welche Rolle Religion in der heutigen Zeit spielt“, sagt sie. „Was macht das mit Menschen, wenn sie glauben? Glaube beseelt sie, er macht sie wunderschön.“ Sie studiert Schauspiel und Tanz und beschäftigt sich mit Regie, seit sie denken kann, mit der finnischen Kirche in Deutschland bisher überhaupt nicht.
Tuulja spielt die hasserfüllte Widersacherin. Sie ist groß, kräftig, blond, kann wütend die Gemeinde-Theater-Stühle herumschubsen, die Sari so sorgsam aufgereiht hat, „roskat“ – „Blödsinn“ – brüllen und böse schauen. Aber gewohnt ist sie das nicht. In Finnland hat sie die kirchliche Volleyballjugend trainiert. Um den Hals trägt sie eine feine Kette mit einem zarten Yin-Yang aus zwei Fischen. Sie war schon immer in der Kirche aktiv. „Glaube, das ist so persönlich“, sagt sie. „Das ist etwas, das man hat, auch in schwierigsten Zeiten, aber nichts, worüber man viel redet. Kirche ist Gemeinschaft und diese Gemeinschaft ist wunderbar.“
Umso besser, wenn dann einige auch in den Gottesdienst finden. Das Mammut-Projekt „Die Flammen“, eben noch so eine Idee von Pfarrerin Anna-Maari Tölle, hat die Runde gemacht, bei den finnischen Auswanderern. Viele sind dazu gestoßen, die gerne mitmachen wollen und bleiben, auch wenn sie letztlich doch keine Rolle im Musical bekommen haben. Einige kommen jetzt öfter, „auch in den Gottesdienst“, sagt die Pfarrerin froh.
Sabine Oberpriller (für evangelisch.de)
Dieser Artikel ist auf evangelisch.de erstmals erschienen am 23. August 2017
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