Nah an Gott sein, ohne Hass
Nach Bürgerkrieg und Flucht finden die äthiopischen Oromo in ihrer Frankfurter Gemeinde Halt
Betty hat eine feine Nase, dunkle Augen mit tiefen Ringen darunter und krauses Haar. Mit Betty stellt sie sich der Einfachheit halber vor. Als Assefa Belaynesu ist sie nach Europa gereist. Es war ein weiter Weg aus dem Dorf in Äthiopien, in dem sie und andere Oromo wohnen. Nach zermürbenden Bürgerkriegen hat die äthiopische Verwaltung ihnen zwar erlaubt, ihre Sprache zu sprechen. Aber zugleich seien sie in die weniger erschlossenen Randgebiete verdrängt worden, erzählt Betty. Wer sich jetzt für die Unabhängigkeit der Oromo einsetzt, wird verfolgt. Und Betty, die Lehrerin, berichtete in der Schule von den Ungerechtigkeiten, die Oromo in ihrer Vergangenheit erfahren haben, bis auch sie abgeholt und unter Druck gesetzt wurde. Sie erzählt vom Marsch durch den afrikanischen Kontinent, vom Warten auf ein Boot. Wie sie da zusammengepfercht saßen, so sehr, dass sie ihre Haltung kaum wechseln konnte, tagelang ging das. Die Füße schliefen ihr ein, sie bekam Druckstellen. Das Boot aber, das merkten sie nach ein paar Stunden, hatte ein kleines Loch. Betty betete. Sie hörte nicht auf, bis Matrosen sie von dem schon ganz schlotteringen Gummiboot auf ein größeres Schiff zogen.
Geflohene haben sich neue Existenzen aufgebaut
Sonntags in der Christus-Emanuel-Kantkirche in Frankfurt singt sie nun aus vollem Hals die Dankeslieder mit: „Danke, dass du uns gerettet hast!“, „Danke, dass du das Böse von uns genommen hast“, „Danke“. Und etwa fünfzig weitere Oromo singen mit ihr, gekleidet in feinem Zwirn, die Frauen tragen Federohrringe oder Kreolen, die Älteren Hüte und farbige Blusen. Die Oromo in Deutschland haben viel Grund, Gott dankbar zu sein. Die Volksgruppe lebt in Somalia und Kenia, vor allem aber in Äthiopien. Mehrere Generationen sind seit den 60ern von dort vor Bürgerkriegen und Verfolgung nach Europa geflohen, durften bleiben, haben sich mit viel Fleiß kleine Existenzen aufgebaut. „Wir sind der Beweis dafür, dass Gott es gut mit uns meint“, sagen die deutschen Oromo. Auch wenn hier, im modernisierten, grellen Europa andere Gefahren drohen: gulegule zu verfallen, der Rastlosigkeit, der kopflosen Rennerei.
Die Oromo-Gemeinde in Frankfurt gibt es seit 1997. Sie trifft sich zu Gottesdiensten, Feiern, Ausflügen. Geleitet wird die Gemeinde von den Ältesten, Frauen wie Männern, hauptsächlich Frauen. „Die haben bei uns die Power“, erklärt Hirut, die den Gottesdienst den deutschen Besuchern ins Ohr flüsternd übersetzt. Bei den Oromo gingen die Männer arbeiten, flüstert die gelernte Automechanikerin. „Die Frauen organisieren die ganze Familie. Also haben sie das Sagen.“
In der Frankfurter Gemeinde geben die Kirchenältesten den Oromo in der Diaspora Halt. Mit Gebeten und Beratungen, durch Zuhören. Die Zahl der zu betreuenden Flüchtlinge hat wieder zugenommen. Viele kommen traumatisiert von der Reise oder depressiv. Die Äthiopier untereinander vertragen sich in ihrer Heimat zwar mittlerweile leidlich (wenn Oromo ihre Sprache und Herkunft ignorieren). Nun aber drängen korrupte chinesische und indische Unternehmer ins Land, die die Arbeiter ausbeuten und äthiopische Unternehmer unter Druck setzen. Da die Politiker ähnlich korrupt sind, gibt es kaum Schutz. Martha, die mit ihren Töchtern in der zweiten Reihe sitzt, ist deswegen mit ihrer jüngeren Tochter weggegangen. Ohne ihren Mann. Er sei zu alt für die Reise, sagt sie. Sie ist ältlich, hat eingesunkene Schultern, scheue Augen und spricht gebrochen, aber sehr geduldig Deutsch. Ihre älteste Tochter Yordanos ist zu Besuch. Sie kommt mit ihrem kleinen Supermarkt in der Hauptstadt Adis Abeba noch gut über die Runden. Oromo verstehen beide Töchter kaum mehr. Ruth, die Jüngere, weil sie mehr als die Hälfte ihres Lebens in Deutschland verbracht hat. Sie ist Anfang Zwanzig. Deutschland sei ihr Zuhause, sagt sie und erzählt, wie ihre Ausbildung zur Kindergärtnerin sie ausfüllt. Yordanos, Anfang 30, weil sie sich für die besseren Chancen entschieden hat. In der Hauptstadt ist nur die Amtssprache Amharisch akzeptiert.
Eine gute Predigt ist eine gebrüllte
Den Gottesdienst eröffnet der Chor, fünf Frauen in blauen Wallegewändern, einige haben die eleganten Schuhe abgestriffen und wiegen sich barfuß hin und her, die Augen geschlossen, die Hände nach oben geöffnet. „Du bist in meinem Herzen“, singen sie, dass der Schall sich auch ohne Mikro bis in den hintersten Winkel presst. „Ich hätte einen anderen Weg genommen, ohne dich.“ Dann eröffnet eine der Ältesten den Gottesdienst.
Sie beginnt leise zu sprechen, aber bald schon brüllt sie, gestenreich, ruft einen Satz nach dem anderen. Gebet ist Versenkung und im Gottesdienst kommt es nicht selten vor, dass der heilige Geist in einen fährt, dann brüllt man eben. Oder andersrum gesagt: Eine gute Predigt ist eine gebrüllte. Die Dauer ist nicht so sehr Maßstab. „Oromo-Gottesdienste dauern so lange, weil in der Oromo-Sprache alles mehrmals gesagt wird“, erklärt Hirut, erklären an diesem Tag noch viele – und kichern. An das prägnante Deutsch haben sich die Oromo so gewöhnt, dass sie es erheiternd finden. Aber die Sprache funktioniert eben so.
Diesmal ist ein guter Tag für die Predigt. Der Prediger ist ein junger, hochaufgeschossener Mann mit gutmütigem Gesicht. Er erinnert die Gemeinde daran, dass die Bibel nicht nur eine Geschichte ist, dass sie Regeln für die Praxis enthält: Nah an Gott zu sein, ohne Hass. Dabei steigert sich seine Lautstärke beständig. „Wir machen so viele Fehler“, ruft er. „Dann stehen wir schuldbewusst irgendwo in der Ecke und trauen uns nicht mehr vor Gott zu treten. Dadurch treiben wir immer weiter weg und irgendwann geht die Tür zu ihm nicht mehr auf. Ist einmal der Teufel in der Seele, macht er uns oberflächlich und rasend, gulegule.“ Er wiederholt das Gesagte zweimal. „Komm nach und du bist geheilt“, brüllt er ins Mikro, dass im Verstärker ein metallisches Echo entsteht und alles vibriert. Dann lächelt er still in die Runde. Einen Moment lang. Weiter geht’s: „Seid gute Menschen. Aber wenn ihr einen Fehler begangen habt, entschuldigt euch immer mit ganzem Herzen, stellt euch nie schüchtern in die Ecke. Gott gibt uns die innere Ruhe. Ich bin ruhig bei ihm! Amen.“
„Amen“, quäkt eine helle Babystimme hinten im Saal.
Sabine Oberpriller (für evangelisch.de)
Der Text ist erstmals erschienen am 27. September 2017 auf evangelisch.de.
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