Wie Gemeinden heute Taufe feiern
Die Taufe ist eins der ältesten Rituale der evangelischen Kirche. Und trotzdem kann sie ganz unterschiedlich und sehr persönlich gestaltet werden.
Katharina Gralla ist Strandpastorin in der Nordkirche. Die meiste Zeit ihrer Arbeit verbringt sie am Timmendorfer Strand an der Ostsee zwischen Dünen und Wellen. Auch Taufen feiert sie hier, denn viele Eltern suchen hier den Ort, an dem der Glaubensweg ihrer Kinder beginnen kann: unter einem weiten Himmel, direkt am Wasser, „denn das Meer ist für alle da“, sagt Gralla.
Die meisten Taufen in der evangelischen Kirche allerdings finden ganz klassisch statt: Unter dem Dach einer Kirche, im sonntäglichen Gemeindegottesdienst, werden Eltern, Pate oder Patin und Täufling rundum den Taufstein gruppiert. Damit will die evangelische Kirche betonen, dass der persönliche Glaube in der Gemeinschaft erfahrbar wird, in der Gemeinde vor Ort. Mit der Taufe wird eine Person in die Kirche und eben auch diese Kirchengemeinde aufgenommen. Die Taufe ist eines der ältesten Rituale in der christlichen Kirche. Auch in der evangelischen Kirche gilt sie als Sakrament: eine sichtbare Handlung, in der Gott im Unsichtbaren wirkt. Das Übergießen mit Wasser bedeutet in dem Moment die Vergebung der Sünden und den Empfang eines neuen Geistes. Nach evangelischem Verständnis macht die Taufe damit die bedingungslose Annahme vor Gott sichtbar, die grundsätzlich jedem Menschen gilt.
Auch wenn die inhaltliche Bedeutung bestehen bleibt, haben sich die Gestaltungsmöglichkeiten der Taufe und Tauffeiern in den evangelischen Landeskirchen im Laufe der Zeit geändert. Es werden mittlerweile immer mehr Taufen nachgefragt, die außerhalb des Gotteshauses gefeiert werden. Regina Sommer, Theologin an der Universität Marburg, ist Expertin für die Veränderungen in der evangelischen Taufpraxis. In einer qualitativ-empirischen Studie führte sie Interviews mit Tauffamilien und fragte diese nach ihren Erfahrungen mit der Taufe ihres Kindes. Welche Vorstellungen und Wünsche Eltern mit der Taufe ihres Kindes verbinden, erfuhr Sommer ebenfalls aus diesen Gesprächen.
Demnach wünschten sich immer mehr Familien eine Feier, die sich ganz auf den Anlass und ihr persönliches Erleben einstelle. Vielen Eltern sei es wichtig, dass Pfarrerinnen und Pfarrer im Taufgottesdienst auf die Veränderungen eingehen, welche die Geburt eines Kindes für ihre Partnerschaft und Familie bedeute, und auf die künftigen Herausforderungen, die das Elternsein mit sich bringe. Um die Anreise aller Familienmitglieder zu erleichtern, gebe es zunehmend auch Tauffeiern an Samstagnachmittagen.
Tauffeste individuell gestalten
Auch die Kirchengemeinden spürten den Wunsch nach einer besonderen Gestaltung von Kindertaufen und versuchten mit neuen Angeboten darauf zu reagieren, berichtet Regina Sommer. Die Ortsgemeinden möchten den jungen Familien Heimat bieten und den Alltag der Heranwachsenden begleiten. In vielen Landeskirchen haben sich deshalb neue Modelle für Tauffeste eingebürgert. Regina Sommer erzählt von immer mehr Gemeinden, die aktiv für gemeinsame Tauffeste werben und evangelische Familien ungetaufter Kinder dazu einladen. Dahinter stehe die Idee, einen zentralen Taufgottesdienst anzubieten und diesen für die Beteiligten stimmig zu gestalten.
Dabei können ganz unterschiedliche Formen entstehen, sagt Doris Joachim-Storch. Sie hat für das Zentrum Verkündigung der Evangelischen Landeskirche in Hessen-Nassau eine Broschüre für interessierte Gemeinden mit erarbeitet. Sie berichtet von Tauffesten im Kloster Loccum, am Langener Waldsee und von Gemeinden im Dekanat Darmstadt, die im Naturfreibad Großer Woog ein großes Tauffest ausrichten.
Auch in der Evangelischen Landeskirche in Württemberg sind seit 2019 Taufen im Schwimmbad, Fluss und See möglich – mit Untertauchen für Erwachsene und Heranwachsende. Das Untertauchen ist sonst eher in der orthodoxen Kirche und in einigen Freikirchen verbreitet. In der evangelischen Christuskirchengemeinde Bad Vilbel hat die Ganzkörpertaufe aber schon länger Tradition. Bereits im Jahr 2004 hatte Gemeindepfarrer Klaus Neumeier die Taufe in der Nidda initiiert. „Heute in der evangelischen Kirche durchaus üblich, waren Taufen in Flüssen 2004 völliges Neuland und haben durchaus für kirchenleitende Rückfragen gesorgt.“ Für den Pfarrer geht es bei dem Untertauchen um ein spirituelles Erlebnis: „So wird Glauben erfahrbar: Ich lasse mich durch den Glauben halten und in Gott hineinfallen.“ Im Jahr 2019 haben sich 14 Jugendliche und Erwachsene bei einem Tauffest der Christuskirchengemeinde taufen lassen.
In demselben Jahr wurden rund 500 Täuflinge in der Elbe getauft. Bei einem der größten Tauffeste in der Geschichte der evangelischen Kirche wurden im Jahr 2019 Babys, Kleinkinder und Erwachsene getauft, hier mit einer Hand voll Wasser. 92 Pfarrerinnen und Pfarrer waren beteiligt, 5.000 Menschen feierten das besondere Ereignis.
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Gottes Gegenwart spüren
Aber nicht alle Eltern, die sich für die Taufe ihres Kindes einen besonderen Ort wünschen, können sich eine solche Großveranstaltung vorstellen. Denn der Ort bestimmt das Erleben der Taufe für den Täufling, wie auch für die Angehörigen. Nicht jeder Ort sei daher gleich gut geeignet, sagt Katharina Gralla. Er sollte würdig sein und nicht von dem ablenken, worum es in der Taufe geht: Dass Gott sich eines Menschen annimmt. Hinter der Taufe unter freiem Himmel stehe oft die Sehnsucht, Gottes Gegenwart zu spüren, gerade in der Begegnung mit der Natur.
Diese, gibt Katharina Gralla zu bedenken, bleibe aber letztlich unverfügbar und könne nicht eingeplant oder hergestellt werden.
Kristian Fechtner, Professor der praktischen Theologie an der Universität Mainz, nennt drei Kriterien dafür, ob sich ein Ort für eine Taufe eignet. Das erste Kriterium sei die Öffentlichkeit des Taufgottesdienstes. Ein evangelischer Gottesdienst, und somit auch eine Taufe, sei ein Ort der öffentlichen Verkündigung und keine Privatveranstaltung, sagt Fechtner. Zweitestens solle der Taufort in einem sinnvollen Bezug zur Taufhandlung stehen – wie etwa ein Fluss, der lebendiges, lebensspendendes Wasser mit sich führt und das Taufgeschehen erlebbar macht. Wichtig ist Fechtner auch, dass der Ort ein Ort der Erinnerung für den Getauften werden könne – ein Ort, der den Beginn des Weges mit Gott markiert, und zu dem dieser Getaufte auch zurückkehren und sich seiner Zugehörigkeit vergewissern könne.
Regina Sommer rät Eltern, die sich für eine alternative Form der Taufe interessieren, sich zuerst mit dem Pfarrer oder der Pfarrerin vor Ort in Verbindung zu setzen. Im Gespräch könnten die Eltern ihre Wünsche äußern und gemeinsam einen gangbaren Weg für die Taufe ihres Kindes finden. Sie wünsche sich von Gemeindepfarrern eine Offenheit für die Wünsche von Taufeltern. Denn auch wenn die Taufe eine jahrhundertealte kirchliche Tradition ist, ist sie gleichzeitig ein ganz persönliches Erlebnis für die Beteiligten.
Maike Weiß
(Die ursprüngliche Fassung dieses Beitrages erschien 2018 auf evangelisch.de)