Vom Obrigkeitstreuen zum Regimegegner
Vor 150 Jahren wurde der erste EKD-Ratsvorsitzende Wurm geboren
Theophil Wurm (1868-1953) war von Herkunft und Prägung her ein obrigkeitstreuer Theologe. Der württembergische Kirchenpräsident begrüßte 1933 zunächst die Machtübernahme in Deutschland durch Adolf Hitler und duldete die regimetreuen „Deutschen Christen“. Er wandelte sich bald aber zum Gegner der NS-Diktatur und wurde nach dem Krieg zum ersten Vorsitzenden des Rates der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD) gewählt. Am 7. Dezember jährt sich Wurms Geburtstag zum 150. Mal.
Von 1945 bis 1949 stand Wurm an der Spitze des deutschen Protestantismus. Die Führungsrolle war ihm auf Grund seines zähen Widerstandes gegen das Nazi-Regime fast von alleine zugefallen. Der Pfarrersohn aus Basel wurde 1929 mit 61 Jahren zum württembergischen Kirchenpräsidenten und späteren Landesbischof gewählt. Seine Amtszeit war stark geprägt vom Kirchenkampf.
Nach einem längeren, für ihn bitteren Lernprozess hatte sich Wurm zum Gegner der NS-Führung gewandelt und war bei der „Bekennenden Kirche“ von Anfang an dabei. Im Gegensatz zu anderen kirchlichen Regimegegnern wie etwa Martin Niemöller setzte der Bischof aber fast bis zuletzt auf Verhandlungen mit dem NS-Staat.
1933: Hausarrest und Absetzung, dann Freilassung
1934 gelang es Wurm, die Eingliederung der württembergischen Landeskirche in die NS-nahe Reichskirche zu verhindern. Württemberg blieb eine der sogenannten „intakten Kirchen“. Wurm nahm auch Männer wie Helmut Thielicke oder den späteren sächsischen Landesbischof Hugo Hahn auf, die in anderen Landeskirchen mit Rede- oder Berufsverbot belegt waren.
Auf Wurms Widerstand reagierte die Stuttgarter NS-Führung bereits 1933 mit Hausarrest und Absetzung. Nach öffentlichen Demonstrationen von Pfarrern und Gemeindemitgliedern wurde er jedoch mit Rücksicht auf das Ausland wieder freigelassen und blieb im Amt. Die Auseinandersetzungen, etwa mit dem württembergischen Reichsstatthalter Wilhelm Murr, gingen aber weiter. Damals entstand das Bonmot: „Murr wurmt es, dass Wurm murrt.“
Auch in der Berliner NS-Führung fiel Wurm wegen seiner Denkschriften unangenehm auf. Er wandte sich mehrfach persönlich an Hitler und protestierte etwa gegen die Vernichtung sogenannten lebensunwerten Lebens. Ihm wird es mit zugeschrieben, dass das 1940 verfügte Euthanasie-Programm zur Tötung behinderter Kinder und Erwachsener wieder eingestellt wurde.
Das „Stuttgarter Schuldbekenntnis“ vom Oktober 1945 wurde maßgeblich von Wurm formuliert
Von seiner theologischen Grundüberzeugung her lehnte Wurm den gewaltsamen Widerstand gegen das Regime ab. Wegen seiner mutigen Proteste genoss er dennoch das Vertrauen der Widerstandskreise und war in groben Zügen über das Attentat vom 20. Juli 1944 informiert. Wäre der Umsturz geglückt, sollte Wurm über den Rundfunk eine Proklamation an das deutsche Volk verlesen.
Nach Kriegsende genoss der nun 76-jährige Wurm als anerkannter Sprecher des Protestantismus in Deutschland hohes Ansehen. Das „Stuttgarter Schuldbekenntnis“ vom Oktober 1945 wurde maßgeblich von ihm formuliert. Darin klagen sich evangelische Christen an, während der NS-Zeit „nicht mutiger bekannt“, „treuer gebetet“ und „brennender geliebt“ zu haben.
Die Evangelische Kirche in Deutschland wurde auf Wurms beharrliches Drängen hin im hessischen Treysa neu gebildet. Der Bischof trat Übergriffen der Besatzungsmächte entgegen und rief das „Evangelische Hilfswerk“, das heutige Diakonische Werk, ins Leben. Am 7. Dezember 1948, dem Tag seines 80. Geburtstages, trat Wurm vom Bischofsamt zurück, am 28. Januar 1953 starb er in Stuttgart.
Hans-Dieter Frauer (epd)