Eröffnungsvortrag zum Kulturpolitischen Gespräch der EKD zum Thema „Kulturträgerin Kirche. Zum kulturellen Klima der Republik“ in der Französischen Friedrichstadtkirche, Berlin
Eine „Kulturbibel“ sei der Enquete-Bericht „Kultur in Deutschland“, sagte kürzlich der Geschäftsführer des Deutschen Kulturrats Olaf Zimmermann. Gut gebrüllt, Zimmermann! Ich bin mir sicher, dass Sie uns mit diesem forschen Bild nicht dazu aufrufen wollen, das gewichtige Buch nun voller Ehrfurcht ins Bücherregal zu stellen, neben die anderen Klassiker, die einen als kulturkompetenten Zeitgenossen ausweisen. Nach Goldschnitt in Leder sieht mein Exemplar auch nicht aus, eher schon nach Arbeitsbuch, das zum Handeln auffordert.
Da wir Protestantinnen und Protestanten bekanntlich finden, dass man in der Bibel lesen sollte, gehe ich probehalber in diesem Sinne auf den gewagten Vergleich ein. Das mindert vielleicht die Ehrfurcht vor dem dickleibigen Arbeitsergebnis, das durch den großen parteiübergreifenden Konsens der Kulturpolitiker und Experten geprägt ist, die an ihm mitwirkten, führt aber dazu, dass die, die den Bericht studieren, sich auf Überraschungen gefasst machen können. In der Tat hat vor allem der große Beitrag der beiden Kirchen zur kulturellen Infrastruktur in unserem Lande in der Öffentlichkeit für Verblüffung gesorgt. Denn für die Enquete-Kommission des Deutschen Bundestages ist klar: Kaum eine andere Institution verfügt über ein derart weit gefächertes kulturelles Angebot, das darüber hinaus auch noch erreichbar, qualitätsvoll und erschwinglich ist. Gerade im ländlichen Bereich sind die Kirchen ja oftmals die einzigen Kulturträgerinnen am Ort. Und die robusten Kirchenmauern geben ein deutliches Signal: Wir ziehen uns nicht zurück, auch wenn der Konsum, die Tankstelle, die Schule und die Bibliothek schon geschlossen sind. In Gegenden mit dramatischen demographischen Entwicklungen, in denen schon Achtklässlern ihre Flucht aus dem Heimatort vor Augen steht, ist es manchmal nur noch die Kirche, der sich Anwohner im Sinne einer kulturellen Heimat verbunden fühlen. Hier ist der Kirchraum der letzte öffentliche Raum. Das klingt einleuchtend und keineswegs neu, war aber so bisher vielen Vertretern der Politik nicht hinreichend bewusst.
So kann es also gehen, wenn Selbstverständlichkeiten so selbstverständlich sind, dass sie unbemerkt bleiben. Es ist das Verdienst der Enquete-Kommission, in einer Zeit, in der viele Selbstverständlichkeiten fraglich werden, das kulturelle Engagement der Kirchen zu würdigen und damit in den Horizont kulturpolitischer Diskussionen zu führen. Wer den Bericht zu lesen weiß, weiß auch, dass sich mit diesem Ausweis auch eine handfeste Verpflichtung verbindet. Und zwar in mehrfacher Hinsicht: Zum einen in finanzieller, dann in personeller und räumlicher, zum anderen aber auch in ideeller und politischer Hinsicht. Denn kein Kulturträger kommt längerfristig ohne hinreichende finanzielle Ausstattung aus, die ihm genügend geschultes Personal und intakte Räume sichert. Und kein Kulturträger wird auf Dauer seine „Räume der Begegnung“ offen halten können, wenn er sich nicht zuvor über sein eigenes Selbstverständnis als Kulturträger verständigt und auf dieser Basis auch nach außen politisch agiert. Der Enquete-Bericht weist deshalb immer wieder auf die kirchenkulturpolitische Denkschrift „Räume der Begegnung“ aus dem Jahr 2002 hin. In ihr ist das kulturelle Selbstverständnis der evangelischen Kirchen in Deutschland sowie ein kirchenkulturpolitisches Programm formuliert, an dem die Kirche, sich messen lassen kann. Dass Kirche immer mehr und anderes ist als die Summe ihrer kulturellen Äußerungen, setzt der Bericht auf kluge Weise voraus. Kirche kann nicht ein Kulturträger unter anderen sein, Kirche ist es in spezifischer Hinsicht, und zwar gerade dann, wenn sie die Kommunikation des Glaubens ernst nimmt. Kultur macht die Kirche also nicht als Ausweichmanöver oder auf einem Sonderposten, sondern weil sie Kirche ist. Liest man beide Texte nebeneinander – das gewichtige Dokument der Enquete und die kleine, aber feine Denkschrift mit Manifestcharakter, wird deutlich, dass die Kirche in evangelischem Selbstverständnis gar nicht anders kann, als sich tatkräftig an der kulturellen Gegenwartsdeutung zu beteiligen, damit keine leeren Räume zurückgelassen werden. Das tut es schon längst mit ihrer Architektur, mit ihrer Sprache, mit ihrer Kunst und mit ihrer Musik, mit ihren Bildungsforen – und natürlich in exponierter Form mit ihrem Gottesdienst.
Doch leicht wird aus dem Trend in die Kultur eine Neigung zur Musealisierung – auch in der Außenwahrnehmung. Nicht nur die Politik redet gern von einer Kirche, die in Zeiten der metaphysischen Heimatlosigkeit und Werteverunsicherung für Ruhe, Ordnung und Werte sorgt. In der Kirche soll man sie noch erleben können, die gute alte Zeit mit ihren fraglosen Verbindlichkeiten und ihrem selbstverständlichen gesellschaftlichen Zusammenhalt. Vertraute Bilder, vertraute Klänge, vertraute Gerüche – ein Refugium vor den Zumutungen der Gegenwart. Ein Hauch von Kirchenromantik weht durch die Flure der Berliner Republik. Daran ist erst einmal nichts falsch. Im Gegenteil. Noch vor einigen Jahren hätte man sich für jeden Anflug öffentlich artikulierter Glaubenssehnsucht geschämt. Heute ist Kulturpolitik ein Ort geworden, wo vehement und oft kenntnisreich über die Rolle des Christentums gesprochen wird. Das schließt kontroverse Einschätzungen nicht aus, sondern ein. Wenn es um Kirche und Kultur geht, dann muss es auch darum gehen, kulturelle Werte zu pflegen, großartige Traditionen neu zu entdecken und, wo es geht, an die nächsten Generationen weiterzugeben. Hier wird die Einführung in den christlichen Glauben auch zur Frage kultureller Bildung und damit zum Fundament künftiger Orientierungen. Das ist die Mahnung, die neben der Kulturpolitik auch Galeristen, Musiklehrerinnen und Theaterregisseure augenblicklich an die Adresse der Kirchen richten. Denn der massive Gedächtnisverlust in Dingen des Christentums gefährdet auch kulturelle Prozesse. Museen bieten Einführungen ins christliche Bildgedächtnis an und in literaturwissenschaftlichen Proseminaren werden Bibeltexte studiert. „Ist das ne Kirche?“ fragten mich neulich vor dem Gottesdienst drei Jugendliche, die vor dem Portal herumlungerten. Ich habe sie dann mit rein genommen in den leeren Raum. Wortloses Staunen. „Wahnsinn, guck mal der Alte, der wird ja gefoltert. Krass.“ Die Überraschung war nicht gespielt. Diese Jugendlichen konnten kein Passionsbild mehr entziffern und hatten noch nie eine Kirche von innen gesehen. Ein Schreckensszenario am Rande, das die Normalsituation noch nicht widerspiegelt. Aber eines, das deutlich macht, welche Verantwortung sich mit dem kulturellen Engagement der Kirchen verbindet. Spätestens hier wird auch deutlich, dass das, was hier auf dem Spiel steht, nicht nur im Interesse der Kirchen liegt. Hier geht es um Orientierungsformen, um Fragen nach dem guten Leben, um Menschenbilder und Zukunftsvorstellungen, die die ganze Gesellschaft angehen.
Indes: Kirchen sind keine Museen und keine Kulturdenkmäler – auch nicht in übertragener Hinsicht, als Werteagenturen. Die größte Herausforderung liegt nicht in der Sicherung der Tradition, sondern in der Gestaltung der Zukunft auf dem Boden der Überlieferung, die in die Gegenwart zu sprechen in der Lage ist. Und dazu braucht es neben einem pflegsamen Umgang mit dem Hergebrachten und Ererbten auch die Auseinandersetzung mit den Künsten und Kulturformen der Gegenwart. Das ist nicht ohne Risiko, eröffnet aber auch neue Perspektiven. Bündnisse zwischen unterschiedlichen Kulturträgern vor Ort erleichtern das Gespräch mit den Gegenwartskünsten. Es ist deshalb für mich eine Konsequenz aus dem Enquete-Bericht, dass Kirche und andere Kulturträger sich da und dort zusammentun sollten, vor allem dort, wo die kulturelle Infrastruktur immer weniger selbstverständlich ist. Kirche und Kultureinrichtungen können sich befreunden und Bündnisse bilden, wo gemeinsame Anliegen verfochten werden. So bildet sich Vertrauen zwischen den örtlichen Kulturträgern, denen, einmal in bewährter Kooperation verbunden, nicht mehr so schnell das aufzukündigen ist, was im Augenblick immer wieder beschworen wird: Kultur als Bedingung der Möglichkeit einer humanen Gesellschaft. Die Kirchen gehören deshalb an die Runden Tische zur kulturellen Lage der Kommune, der Länder und des Bundes. Wenn die Kirchen in die Kulturentwicklungspläne der Kommunen und Länder von vorneherein mit eingebunden wären, müssten Kooperationen nicht im Nachhinein mühselig erarbeitet werden, sondern stünden von Anfang an im Rahmen eines Gesamtkonzeptes, das die unterschiedlichen Akteure vor Ort in ein ausgewogenes Verhältnis setzt und Kräfte bündelt.
Die Evangelische Kirche hat ein Interesse daran, dass es der Kultur in Deutschland gut geht, auch außerhalb der Kirchenmauern. Deshalb macht sie ihrerseits die Kirchenportale auf. Auf diese Weise entsteht ein Netz kultureller Kooperation, das in verschiedenen Milieus und Altersgruppen kulturelle Aufmerksamkeit anregt und fördert und für Fragen sensibilisiert, in denen es ums Ganze des Lebens geht. Und gerade dessen bedarf es ja, wenn in einem Ort ein lebendiges kulturelles Leben entstehen soll. Denn bevor jemand auch nur einen Fuß über die Schwelle eines Theaters, eines Konzerthauses oder einer Bibliothek setzt, muss er erst einmal neugierig geworden sein – und das jenseits aller medialen Ablenkungen dieser Tage. Da kann es nicht schaden, wenn die Pfarrerin am Sonntagmorgen in den Abkündigungen schon einmal auf die Veranstaltung des Theaters am Donnerstag hinweist, weil es dort ein Stück zum Thema „Erlösung“ gibt oder umgekehrt das städtische Theater für eine gemeinsame Diskussionsveranstaltung in der Stadtkirche wirbt. Es gibt viele Beispiele, wie diese Bündnisse gelingen. Und es gibt vor Ort viele Möglichkeiten zu entdecken, die noch brach liegen.
Diese Bündnisse vor Ort verlangen nach Unterstützung, die mehr als nur symbolisch ist. Das geht unter Umständen bis ins Steuerrecht. Im Denkmalschutz, zum Beispiel, steht das Steuerrecht einer effektiven Förderung bislang entgegen. Denn über die Umsatzsteuer, die die Kirche bei Sanierungen ihrer Kirchenräume bezahlt, geht das 19fache der staatlichen Förderung für den kirchlichen Denkmalschutz an den Staat zurück. Und wer sich in einem der unzähligen Fördervereine zur Erhaltung eines Kirchengebäudes im ländlichen Raum, gar als Vorsitzende, engagiert, die hat bislang mit Abschreibungsmöglichkeiten und Haftungsbedingungen zu rechnen, die dem ehrenamtlichen Engagement die gebührende Ehre allenfalls nominell zukommen lassen. Und vielleicht erinnert sich ja noch der eine oder andere daran: Bis 2003 wurden im Osten Deutschlands noch hunderte Kirchen durch das Denkmalschutzprogramm „Dach und Fach“ restauriert. Eine Neuauflage käme nicht nur im Osten Deutschlands ganzen Ortsgemeinschaften entgegen, die in der Kirche ihren Orts- und Lebensmittelpunkt haben.
Bei der Lektüre der Präambel zum Enquete-Bericht habe ich nicht schlecht gestaunt, als ich von den „Freiräumen für das Unverfügbare“ las, die zu erhalten die Kulturpolitik sich anschicken müsse. Hier kann ich ohne Not anknüpfen, denn an dieser Stelle ist die Nähe zwischen Künsten und Kirche geradezu theologisch geboten. Natürlich drängt sich bei den Freiräumen des Unverfügbaren das Bild von den großartigen Kirchen auf, die die Silhouette unserer Dörfer und Städte prägen und um deren Zukunft sich so manch einer Sorgen macht. Doch die Freiräume des Unverfügbaren erzeugen weiträumigere Resonanz. „Kultur ist der Spielraum der Freiheit“, hat Dietrich Bonhoeffer gesagt, zu einer Zeit, in der die Freiheit eine verbotene Sehnsucht war. Nicht: Kirche ist der Spielraum der Freiheit. Hier berührt sich das Anliegen der Enquete mit dem Anliegen, um das es auch der Kirche gehen muss. In der Perspektive des christlichen Glaubens hat die Rede von der Unverfügbarkeit eine doppelte Pointe. Sie bezieht sich nämlich auf Gott und den Menschen. Im Lichte Gottes kann der Mensch nicht auf die Summe seiner Zwecke verrechnet werden. Er ist immer mehr und anderes. Das ist nicht nur der Grund seiner Geschöpflichkeit, sondern der Grund auch seiner schöpferischen Tätigkeit, seiner „Arbeit an der Wirklichkeit“ (Hans Blumenberg).
Kultur in all ihren Spielarten ist der Veränderungsdynamik unserer Gesellschaft ausgeliefert. Die Ökonomisierungsprozesse sind selbst in den freien Szenen, den Festivals und bei den Kirchenchören angekommen. Selbst gut eingeführte Kulturinstitutionen kämpfen um ihre Existenzberechtigung. Deshalb ist keine kulturelle Errungenschaft in diesem Lande so selbstverständlich, wie viele immer noch glauben. Hier gilt es, mit kulturpolitischer Klugheit zu fragen, wie denn der Spielraum der Freiheit erhalten werden kann, damit den Künsten nicht die Luft ausgeht. Kultur ist schick. Das verführt dazu, sie zu benutzen. Oft, ohne dass sie es selbst bemerkt. Im Umgang mit den Künsten ist mittlerweile jede Instrumentalisierung erlaubt. Und viele Nutzungsmaßnahmen klingen auf den ersten Blick verführerisch. Kultur soll integrieren, sie soll für das Gute werben, sie soll Frieden stiften, eine humane Globalisierung sichern, sie soll klug machen, selbstständig und sozial, sie soll bilden, ja, sogar kritisieren soll sie, wo es sich rechnet. Auch die Kirchen sind in ihrem Umgang mit Künstlern und Künstlerinnen vor solchen Überlegungen nicht gefeit. Kulturelle Kompetenz und Kreativität gehören mittlerweile zu den gefragten Soft-Skills auf dem Arbeitsmarkt und dienen der Imagepflege von Organisationen und Unternehmen. Kultur soll angesichts der desintegrativen Tendenzen in unserer Gesellschaft als Kitt wirken, der das, was auseinanderdriftet, zusammenhält. Aus der Lebenskunst, die Menschen ihre innere Freiheit wiedergibt, wird so unter der Hand eine Kompetenz, die sich gewinnbringend vermarkten lässt. Kreativität und kulturelles Engagement gelten als die angesagten Kopfnoten. Das ist eine positive Entwicklung mit einem schwarzen Schatten. Sogar musikalische und künstlerische Bildung werden zunehmend funktionalisiert. Klavierunterricht ist gut für die Entwicklung der Gehirnhälften. Und Kinder, die malen, sind auch gut in Mathe. Warum nicht gleich malen nach Zahlen? Kirchtürme sichern den Zusammenhalt im Dorf. Singen macht gesund. Sonntage garantieren die Arbeitsleistung am Montag. Diese Aussagen sind alle nicht gelogen und verstellen doch zunehmend den Blick auf das, worum es geht, wenn – altertümlich emphatisch- von Kultur geredet wird.
Wer Kultur als Gut begreift, das sich permanent verändert und ins Offene führt, weil Kultur immer Bedeutung im Werden ist, der muss sich für Rahmenbedingungen einsetzen, in der auch das Unverfügbare, das Überraschende, ja, das Riskante, das Improvisierte, auf jeden Fall das Unverzweckte in den Künsten und in der Kultur wieder neu zur Geltung kommt. Wir brauchen solche Räume, in denen eingefleischte Überzeugungen als Vorurteile entlarvt, in denen Ungedachtes ausgesprochen und Ungeheuerliches ins Bild gesetzt werden darf. Und diese Räume dürfen nicht nur den Eingeweihten geöffnet werden. Mit der Emphase von den „Freiräumen der Unverfügbarkeit“ verbindet sich nämlich auch die Debatte nach den beschränkten oder offenen Zugängen. Nicht umsonst wird im Zuge des Enquete-Berichtes engagiert über das Thema „Teilhabegerechtigkeit“ debattiert und werden Formeln wie „Kultur für alle“ oder „Kultur von allen“ von der einen zur anderen Seite geworfen. Wie auch immer man sich in dieser Frage positionieren mag, eines ist jenseits aller parteipolitischen Bedenken zentral: Das Unverfügbare, die Freiheit der Kultur braucht zwar exklusive Räume, aber diese Räume müssen für alle offen sein. Erst wenn das gilt, können nicht nur Kirchen, sondern auch Museen, Kinos, Klassenzimmer und Ballettsäle, Foren und Abenteuerspielplätze unter bestimmten Bedingungen Freiräume des Unverfügbaren werden – auch im theologischen Vollsinn des Wortes.
In einer Zeit vor allem auf punktuelle Projektförderung angelegter Kulturfinanzierung – übrigens auch in der Kirche – braucht es meines Erachtens ein neues Nachdenken darüber, wie solche Freiräume des Unverfügbaren langfristig gesichert werden können. Über einen längeren Zeitraum angelegte Institutionenförderung, die einer Einrichtung Spielraum zur selbstverantwortlichen Nutzung der Fördermittel lässt, wäre da eine gute Möglichkeit. Dazu könnte gehören, dass staatliche und nichtstaatliche Kulturförderungen sich gegenseitig über die Schulter schauen. Denn das Miteinander unterschiedlicher Interessen steht von ganz alleine einem Zugriff einzelner Interessen und damit ungebrochener Funktionalisierung im Wege und verlangt geradezu nach einer kontroversen Begegnung, die als solche das Unverfügbare immer schon in sich trägt. Das geht nicht ohne Knoten im Kopf, weil es naturgemäß schwer ist, über das Unverfügbare zu verfügen. Aber das Problem stellt sich mit großem Ernst, weil selbst die Bereiche kultureller und musischer Bildung zunehmend unter den Druck der eigenen Funktionalisierung geraten. Ich bin gewiss, dass evangelische Schulen und Kindergärten an dieser Stelle ganz provokativ zeigen, dass Musik einfach gut tut und dass der Gang ins Museum offene Fragen erzeugt, wo vorher nicht mal eine Ahnung von Fraglichkeit war. Und dass es dann Räume der Begegnung gibt, in denen diese Fragen thematisiert werden können.
Wer eine Kultur der Freiheit will, darf sich nicht nur in Sicherheit wiegen wollen. Deshalb müssen wir auch kulturelle Kontroversen in Kauf nehmen, solange sie friedlich ausgetragen werden. Ohne Irritation gibt es keine Innovation. Die Freiheit der Künste und die Freiheit der Religion hängen als Verfassungsgut übrigens historisch aufs Engste miteinander zusammen. Das macht hoffentlich deutlich, dass die Zukunft unserer Kultur längst ein „hartes“ Thema geworden ist, um das zu ringen Christen wie Nichtchristen dringend aufgegeben ist.