Glauben entdecken
Konfirmandenarbeit und Konfirmation im Wandel
3. Kirche und Gottesdienst in der Konfirmandenzeit
Die Konfirmandenzeit läuft auf das Ereignis des Konfirmationsgottesdienstes zu, mit dem sich bei allen positive Erwartungen verbinden. Gilt dasselbe für die sonntäglichen Gemeindegottesdienste danach? Hat die Konfirmandenzeit den Gottesdienst lieb und wert gemacht? Welches Kirchenbild hat sie vermittelt? Dieses Kapitel geht davon aus, daß die Konfirmandenarbeit als ein weiterer Schritt zur vollen Ausübung der Kirchenmitgliedschaft die Aufgabe hat, ein evangelisches Verständnis von Kirche zu entwickeln, und zwar gemeinsam mit der Konfirmandengruppe. Das Verständnis der geglaubten Kirche hängt dabei wesentlich von der Erfahrung mit der empirischen Kirche ab. Diese wird aber nicht zuletzt im sonntäglichen Gemeindegottesdienst gemacht - ein Zusammenhang, auf den bisher in der Erforschung und Theorie der Konfirmandenarbeit zu wenig geachtet worden ist.
3.1 Kirche als Realität und Bild
Wie die Kirche erfahren wird, bestimmt mit, wie die Kirche »gewußt« wird, welchen Begriff man von ihr hat. Der Realitätsgehalt von Begriffen aber, von Vorstellungen von der Wirklichkeit, die wir für realitätsgerecht halten, ist wohl in keiner geschichtlichen Epoche so durch Bilder mitbestimmt worden, wie sie heute in einer Kommunikationsgesellschaft medial erzeugt werden. Von der Kirche zu handeln heißt darum, Kirche als Realität und Bild zu bedenken.
Die zunehmende Simulation ersetzt Wirklichkeit durch Zeichen. Das »Image« einer Institution steht für diese selbst. Es gilt als real, was als Bild in den Köpfen ist. Diese Bilder formen auch selektiv vorweg, was selbst als ganz Neues auftaucht. Zeichen und Bilder eilen dem Realen voraus. Man kann oft nicht mehr unterscheiden, was reale Erfahrung als erfahrene Realität und als Erfahrung des Bildes ist. Unter den Begriff »Kirche« fällt weithin undurchschaut beides. Die Kirche ist daher aufgefordert, einerseits die Wirklichkeit vor dem Image zu retten, andererseits in der unvermeidlich gewordenen Produktion der Bilder eine aktive öffentliche mediale Rolle zu spielen.
3.2 Aufgaben der Konfirmandenarbeit im Umgang mit Bildern von Kirche
Was Konfirmandinnen und Konfirmanden wahrnehmen und zu einem Bild formen, um es dann auf ihre Weise zu »wissen«, hängt nach dem Stand der gegenwärtigen Jugendforschung vor allem von zwei Faktoren ab, von ihren Erfahrungen in ihrer »Lebenswelt« und dem Stadium ihrer »Entwicklung«. Im Sinne der in dieser Orientierungshilfe verfolgten »Lebensweltorientierung« ist bereits im vorausgegangenen Kapitel nach der Bedeutung der Kasualie Konfirmation für die verschiedenen Lebensweltkontexte der Heranwachsenden gefragt worden (vgl. 2.2). Ebenso ist auch schon die Altersphase mit ihren Entwicklungskomponenten im Blick gewesen.
Lebenswelt und Entwicklung bestimmen ebenfalls mit, wie im Alter von 13 bis 14 Jahren »Kirche« als Begriff sprachlich gefaßt und in ihrer Bedeutung verstanden wird. Ein anspruchsvolleres, das heißt vor allem ein differenzierteres Verständnis und ein komplexeres Wissen bilden sich erst allmählich im Lebenslauf. Die in der akademischen Theologie ausgebildeten Pfarrerinnen und Pfarrer sind auf diese lebensgeschichtliche Dimension bislang wenig aufmerksam gemacht worden. Darum reden und denken sie manchmal über die Köpfe hinweg; weder kommen ihre sprachlichen Formulierungen noch die nur ihnen geläufigen theologischen Deutungsmuster an.
Man hat drei »Wissensformen « voneinander unterschieden, die auf das Wissen und das Verständnis von Kirche angewendet werden können. Es ist erstens das Wissen und Reden über die Kirche in den Sprach- und Denkformen der Theologen und Kirchensoziologen, der Ebene der »Experten«. Davon kann man zweitens das Bild von Kirche bei auskunftsfähigen Christen als »informierten Laien« abheben. Drittens formt sich ein jeder in der Gesellschaft einen Begriff der Kirche, der aus verschiedensten Quellen zusammenfließt, meist aber aus eigenen Beobachtungen, oft nur zufälligen Kontakten sowie vom Hörensagen; das Wissen des weniger gut informierten »Zeitgenossen«.
Wie soll und kann die Konfirmandenzeit mit der Kirche vertraut machen? Die zeitlich begrenzte Konfirmandenarbeit verbietet Erwartungen, die erst für die kirchliche Erwachsenenbildung angemessen sind (vgl. EKD-Stellungnahme zur Erwachsenenbildung »Orientierung in zunehmender Orientierungslosigkeit«, 1997). Ferner darf nicht einseitig Wert auf den Begriff von Kirche gelegt werden; in diesem Alter und auch noch später ist vor allem die Kirche als Lebenswirklichkeit wichtig. Unter diesen Maßgaben sind die drei Ebenen zu unterscheiden:
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Auf der ersten Ebene sprechen Theologinnen und Theologen in ekklesiologischen Metaphern von der Kirche als »Leib Jesu Christi«, dem »wandernden Gottesvolk«, dem »Haus der lebendigen Steine« und ähnlich. Diese Sprache findet sich schon in der Bibel, in Partien allerdings, die nicht an Kinder adressiert sind. Sozialwissenschaftlich geschulte kirchliche Experten haben außerdem längst zusätzlich soziologische Konstrukte entwickelt; sie sprechen von »Großkirchen« und »Minderheitenkirchen«, von »offener Kirche« und »öffentlicher Kirche«, von »Gemeindekirche« gegenüber dem schon älteren Begriff der »Volkskirche«.
Wenn man die Denk- und Begriffswelt der Heranwachsenden konsequent lebensweltorientiert untersucht, ist dies alles bei 12- bis 14jährigen noch nicht anzutreffen. Es wäre darum auch verfehlt, ihnen jene Formeln als solche vermitteln zu wollen. Recht gut können die Jugendlichen jedoch erahnen, was Bilder wie »Leib«, »Volk« oder »Haus« besagen, vor allem im Blick auf die darin sichtbar werdende christliche Gemeinschaft.
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Auf der zweiten Ebene, jener, auf der informierte und sich um Information bemühende Christen (auch Nichtchristen) ihr Bild der Kirche formen, spielt heute eine ganze erhebliche Rolle, wie glaubwürdig die Kirche handelt. Für manche gilt sie positiv als »Anwalt der Schwachen« oder als »Hüterin von Werten«, als »Kulturfaktor«; für andere erscheint sie lediglich als »machtbeanspruchende Institution«, je nachdem, wie man sich informiert und was man beobachtet, um sich dann ein (Vor-)Urteil zu bilden. Es sind wissenschaftlich nicht geprüfte, aber belegbare und mehr oder weniger reflektierte Anschauungsbilder.
Die Aufgabe ist nicht, das zu beschönigen, was in der eigenen Lebenswelt negativ erlebt wird. Es gibt jedoch in der Praxis der Konfirmandenarbeit eine Fülle von längst begangenen Wegen wie Erkundungen in der Gemeinde, Begegnungen mit Gemeindegliedern und Kirchenvorständen, hautnahes Erleben diakonischen Handelns, Mitgestaltung des Gottesdienstes (vgl. 3.7). Sie ermutigen, fortzufahren und die gemachten Erfahrungen zu verbreiten. Wenn sich Erwachsene bei Feiern der Silbernen oder Goldenen Konfirmation an ihre Konfirmandenzeit erinnern, sind vor allem diese Erlebnisse, die menschliche Begegnungen einschließen, besonders stark im Gedächtnis; sie prägen nachhaltig Bild und Wissen von Kirche.
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Auf einer dritten Ebene bildet sich in unserem Leben das Wissen, das im wörtlichen Sinne als allernächstes zur Hand ist; es ist erfahrungsnah gewonnen, gleichsam mit den Händen greifbar und auf Gebrauch im Alltag aus - alltagspraktisches Wissen . Dies Wissen weiß buchstäblich, wofür man die Kirche braucht, für eine Taufe, eine Trauung, eine Beerdigung. Das kasualbezogene Wissen beginnt bei der Taufe etwa damit, daß man die Taufe beim Pfarrer anmelden muß, mit ihm zu sprechen hat, den Namen des Kindes angeben muß, wohl auch darauf gefaßt sein darf, gefragt zu werden, warum man kommt.
Eine Geringschätzung dieses Wissens ist ganz verfehlt und überheblich. In »lebenswelt- beziehungsweise alltagsweltorientierter« Perspektive beginnt der Aufbau des Wissens im Leben so konkret und nicht anders. Wer sich hier nicht auskennt, wird unsicher. Das meiste lernen die Gemeindeglieder in diesem Bereich durch Beobachtung und Umgang - oder im Konfirmandenalter (vielleicht auch schon früher) durch Gewöhnung und Mitmachen, etwa wie man sich während des Gottesdienstes verhält.
Zusammengefaßt: Für die Konfirmandenarbeit und für die anschließende Jugendarbeit sowie die kirchliche Erwachsenenbildung ergeben sich in abgestufter Weise Aufgaben rund um »Kirche« im Blick darauf, wie sie wahrgenommen und erlebt wird.
3.3 Gemeindegottesdienst als heimlicher Lehrplan
Wenn man konfirmierte Jugendliche einige Jahre nach der Konfirmation fragt, was für sie Kirche ist, wird das Wort »Kirche« vorwiegend als Bezeichnung für das Kirchgebäude, den Kirchenraum, den Kirchgang und den im Kirchengebäude gehaltenen Gottesdienst verwendet. Selbstverständlich werden sie, wenn man fragt, sofort auch sagen, daß die seinerzeit mitgemachte Konfirmandenfreizeit oder der Konfirmandenunterricht mit der Kirche zu tun gehabt haben. Aber ihre Alltagssprache, die Sprache ihrer Lebenswelt, legt ihnen diese Assoziation nicht als erstes nahe. »Kirche« wird an dem festgemacht, was als die Kirche im Dorf, im Stadtviertel vor Augen ist und was gemäß der geläufigen Sprache in ihr geschieht: Wenn »Gottesdienst« ist, ist »Kirche«. Man sagt ja auch, daß man »zur Kirche geht«, daß »die Kirche aus ist«, wenn der Gottesdienst zu Ende ist, daß sie »leer« ist, wenn nur wenige versammelt sind usw.
Wenn dieser bereits eingangs erwähnte Zusammenhang von Kirche und Gottesdienst am Sonntagmorgen die allernächste Assoziation ist, verwundert es, warum alle drei EKD-Umfragen zur Kirchenmitgliedschaft Anfang der 70er, der 80er und der 90er Jahre (vgl. 1.3) nach diesem Zusammenhang nicht genau gefragt haben. Sie haben zwar untersucht, ob der Konfirmandenunterricht zugesagt habe, was die Konfirmierten von der Konfirmation halten und ob sie nun wissen, was es heißt, ein Christ zu sein. Es ist vor allem beachtet und überprüft worden, was absichtlich pädagogisch veranstaltet wird, also in der offiziellen Konfirmandenarbeit geschieht; hierbei hat man den sogenannten »heimlichen Lehrplan« übersehen: Es handelt sich dabei nicht um einen zweiten Lehrplan, der von irgendwem absichtlich geplant wird, sondern um Sozialisationsfaktoren, die latent und strukturell wirken.
In noch vorläufigen, aber für die Bildung wissenschaftlicher Hypothesen bereits ausreichenden Auswertungen von Äußerungen Jugendlicher im Raum der württembergischen Landeskirche enthüllt sich der Besuch des sonntäglichen Gemeindegottesdienstes als ein solcher kontraproduktiver »heimlicher Lehrplan«, als eine bis auf Ausnahmen große Enttäuschung . Er ist für fast alle »langweilig«; in seinem Verlauf wird er als »schleppend« und »steif« empfunden, als »zu ernst«, mit »altmodischer« Musik, einer schwer verständlichen oder unverständlichen Predigt und durchweg ohne das Erlebnis von »Gemeinschaft«. Die Gottesdienstteilnehmer scheinen sich bewußt so zu setzen - dies beobachten die Konfirmandinnen und Konfirmanden -, daß zwischen ihnen jeweils noch Platz ist. Die Jugendlichen fragen sich, ob ausgerechnet Christen Berührungsängste voreinander haben. Jugendliche außer den Mitkonfirmanden fehlen; man muß ganz vorn in der ersten Reihe sitzen; dahinter sind dann meist mehrere Reihen frei, bevor die Bankreihen mit den Erwachsenen kommen - eine auch räumlich unmittelbar spürbare Distanz. Der Wunsch schimmert durch, Gottesdienst als festliche Feier zu erleben. Dies aber ist in aller Regel nicht der Fall - so empfinden es die Konfirmanden und Konfirmandinnen, so entsteht ihr »Bild« von Kirche.
Im Gemeindegottesdienst wird die Kirche anders erlebt, als sie im Konfirmandenunterricht bei der Behandlung des dritten Glaubensartikels vorgestellt und besprochen wird. Die Erwartungen aller richten sich auf die Konfirmationsfeier, die aber in der Rückschau der erwähnten württembergischen Jugendlichen naturgemäß ein hervorgehobener Sondergottesdienst gewesen ist und nicht für den Besuch des sonntäglichen Gemeindegottesdienstes hat werben können. Von ihm verabschieden sich die allermeisten nach der Konfirmation. Dies hat gewiß mehrere Gründe; ein Grund aber ist vermutlich die immunisierende Wirkung der Erfahrung von Gottesdienst - und damit von Kirche - während der Konfirmandenzeit. Es könnte folglich sein, daß ausgerechnet der kirchliche Unterricht, wie er im Unterschied zum schulischen Religionsunterricht auch genannt wird, von der Kirche entfremdet und ein Privatchristentum fördert.
3.4 Lebensweltliche Analogielosigkeit des Gottesdienstes
Wie sind die Eindrücke zu erklären, die im Rückblick formuliert und beurteilt worden sind, wobei auch inzwischen gemachte Erfahrungen mit eingeflossen sein mögen? Die Entfremdung von der Kirche ausgerechnet in ihrem Herzstück kann unter anderem möglicherweise auf eine lebensweltliche Analogielosigkeit von Liturgie und Predigt zurückgeführt werden. Für die Kommunikationsformen im Gottesdienst gibt es in der Lebenswelt der jungen Leute keine ihnen vertrauten Entsprechungen. Für einzelne Elemente existieren zwar diese Entsprechungen, zum Beispiel für das persönliche Gebet, das aber als gemeinsames Gebet oder Bekenntnis schon wieder etwas anderes wird. Wie sehr ist an sich auch das Leben der Jugendlichen heute von Musik bestimmt; aber wie unterscheidet sich ihre Musik von der, die sie im Gottesdienst erleben! Man kennt Vorträge; aber die Predigt ist ein Vortrag ohne eine anschließende Aussprache. Manche Jugendliche wünschen sich den Gottesdienst ähnlich wie den Religionsunterricht; aber im Gottesdienst ist für sie »alles vom Pfarrer gelenkt«. Zusammengenommen bildet das Ensemble der Elemente ein Gestaltganzes, für das unterstützende Erfahrungen aus der eigenen Lebenswelt (einschließlich der Schule) fehlen, um es besser zu verstehen und sich heimisch zu fühlen.
Soll nun der christliche Gottesdienst an den Alltag und seine lebensweltlichen Routinen angepaßt werden? Keineswegs. Der Gottesdienst am Sonntag darf theologisch gesehen nicht so sein wie alles andere im Lebensalltag. Er soll den Alltag »unterbrechen«, so wie Gottes Wort unser menschliches Reden »unterbricht« (E. Jüngel). Nur zuzulassen, was analogiefähig ist, ist theologisch grundsätzlich fragwürdig. Man würde das ganz andere Geschehen verkennen, das sich ereignet, wenn Gott »zu uns spricht« und »wir zu ihm« (M. Luther); so wird seit der Reformation in der evangelischen Kirche die Feier des Gottesdienstes definiert. Unsere theologische Rede von »Feier« nehmen jedoch die jungen Gemeindeglieder beim Wort, und hier haben sie wieder recht, wenn sie den Charakter einer wirklichen Feier vermissen. Sie wünschen sich eine fröhliche, zum Feiern fähige, Gemeinschaft ausstrahlende und zu ihr einladende Kirche mit einem entsprechenden Gottesdienst - dies ist für sie ein erstes Wunschbild . Einige wenige haben so etwas in anderen Kirchen erfahren, in anderen Kontinenten wie in Kirchen farbiger Christen in Amerika oder in charismatischen Gemeinden. In den Befragungsergebnissen spiegeln sich auch miterlebte Jugendgottesdienste; aber sie sind eben nicht typisch. Wenn in der evangelischen Jugendarbeit solche Jugendgottesdienste gefeiert werden, erscheinen sie als eine Alternative, die schwer in die gewohnte Gottesdienstpraxis zurückzuvermitteln ist; ähnlich ergeht es den Kirchentagserfahrungen. Das neue evangelische Gesangbuch lockert allerdings gerade hier auf und führt ältere Liedtradition und neue zusammen.
3.5 Predigt und Gottesfrage im Gottesdienst
In der Reformbemühung um die Konfirmandenarbeit wird mit vollem Recht die pädagogische Einsicht beherzigt, daß sich der Glaube von Person zu Person überträgt. Die Beziehungen zwischen den Konfirmanden und den Unterrichtenden sind daher zentral, einschließlich weiterer persönlicher Begegnungen im Raum der Gemeinde und Gesellschaft (vgl. 4.7). Die Konfirmation lebt für die jungen Leute ebenfalls in diesem Sinne in der Erinnerung fort, manchmal ihr ganzes Leben lang (»die halbe Minute, als ich da vorn stand, mit der Handauflegung, mein Konfirmator und ich und wir anderen alle zusammen, unsere Gruppe - das habe ich nie vergessen«). Im vorigen Kapitel ist jedoch ebenfalls deutlich geworden, daß der Konfirmationsgottesdienst, wenn er erfaßt werden soll, an dem Verständnis der Taufe hängt (vgl. 2.3).
Wenn nun sowohl der Konfirmationsgottesdienst wie jeder andere Gottesdienst in der Kirche »Gottes -«dienst heißt, steht theologisch nichts Geringeres auf der Tagesordnung der Konfirmandenarbeit als das Verhältnis von Gottesdienst und Gott selbst. Vom dreieinigen Gott ist vor allem in der Predigt die Rede - so das evangelische Gottesdienstverständnis mit der Mittelpunktstellung der Predigt seit der Reformation. Zu Gott wird außerdem gebetet; ihm zum Lob wird gesungen ; die Gemeinschaft mit ihm wird im Abendmahl gefeiert. Hieraus folgt als eine wichtige Frage: Wie wird von den 13- und 14jährigen Gott im Gottesdienst erfahren, zu dessen Besuch sie angehalten werden, in Predigt und Liturgie, Taufe und Abendmahlsfeiern, deren Vollzug sie mitbeobachten und -erleben? Die Konfirmandenarbeit hat es stets auch mit Inhalten zu tun, Inhalten des Glaubens. Ihre theologische Elementarisierung (vgl. 4.6) ist eine Grundvoraussetzung dafür, daß Konfirmandinnen und Konfirmanden den Glauben entdecken können.
Um Hilfen zum Glauben an den dreieinigen Gott dürfen die Kinder und Jugendlichen um keinen Preis betrogen werden. Die Konfirmandenarbeit darf sich nicht in Probleme der Lebensgestaltung verlieren. Immer mehr geht es heute um die Frage, wie Gott erfahren werden kann und ob Gott überhaupt existiert, weil man sein Wirken im Weltlauf nicht erkennt: Angesichts der Lebensrätsel und Existenzprobleme erhoffen die Jugendlichen - sofern sie überhaupt noch auf die Kirche setzen - eine Kirche, die ihnen besonders im zentralen Bereich der Gottesfrage Orientierung gibt. Dies ist nur möglich, indem die Kirche auf Gottes Selbstoffenbarung in Jesus Christus und ein Leben aus seinem Geist verweist. Nicht wenige der jungen Leute erwarten in diesem Sinne eine gemeinsam mitsuchende und klar Rechenschaft ablegende Kirche als ihr zweites Wunschbild . Wie bereits die erste Mitgliedschaftsuntersuchung der EKD 1974 festgestellt hat, wünschen auch die erwachsenen Kirchenmitglieder vor allem eine verständliche Predigt.
Die normale sonntägliche Predigt ist jedoch offensichtlich nach wie vor für die Konfirmandinnen und Konfirmanden wenig verständlich; man muß daher annehmen, daß sie ihnen auch nicht konkret genug auf folgende bedrängende Fragen Antwort gibt: Wie ist alles in der Welt entstanden, und warum gibt es sie überhaupt, was ist ihr Sinn? - das Rätsel des Anfangs von allem und der Bestimmung des Lebens insgesamt. Gibt es ein Weiterleben nach dem Tod? - das Rätsel des Endes des eigenen individuellen Lebens. Warum läßt Gott das viele Leiden in der Welt zu, Krankheit und Elend im Leben der Menschen zwischen Anfang und Ende? - das Rätsel der Theodizee. In allem: Ist Gott eine Realität und lebendig gegenwärtig, wenn er, wie es scheint, so wenig oder selten hilft?
Diese Fragen von Jugendlichen führen allesamt zu Grundfragen der Theologie , und diese stehen in den Predigten an, im Spiegel biblischer Perikopen aus dem Alten und Neuen Testament: Schöpfung, Sünde, der Mensch im richtenden Urteil Gottes und in seiner Selbstbeurteilung (Gewissen), Gottes Handeln in der Geschichte, sein Kommen in diese Welt, bezeugt im Alten und Neuen Testament, Advent und Weihnachten, Passion und Ostern (Kreuz und Auferstehung), Pfingsten, Heiliger Geist und die Kirche, bis hin zum Totensonntag am Ende des Kirchenjahres und der Frage nach der Auferstehung der Toten. Über diese Themen dürfen der Konfirmandenunterricht (wenn auch nur in einer elementarisierenden Auswahl), die unterweisende Dimension der Predigt und der liturgische Lobpreis nicht auseinanderklaffen: sie sollen aufeinander verweisen.
Dem kommt entgegen, daß die Gestalt Jesu von Nachkonfirmanden erheblich positiver gewürdigt wird als die Kirche einschließlich ihres Gottesdienstes. Die Kirche hat von ihrem Auftrag wie von den jungen Leuten her gesehen allen Anlaß, auch im Gottesdienst besonders Person und Leben Jesu eindringlich zu vergegenwärtigen (2. Glaubensartikel) und den Geist Jesu im kirchlichen und christlichen Leben spürbar werden zu lassen (3. Glaubensartikel), damit die Rede von Gott dem Schöpfer (1. Glaubensartikel) trinitarisch erfüllt bleibt, sonst ist sie nicht christlich.
3.6 Elementarisierende liturgische Erziehung und Bildung
Gottesdienst als Feier und Gottesdienst als Orientierung setzen aus der Perspektive der Konfirmanden und Konfirmandinnen voraus, daß sie auch in die Liturgie mit hineingenommen werden und diese mitgestalten können. Die Bedingung hierfür wiederum ist, daß sie die Liturgie verstehen. Pädagogisch gesehen geschieht dies durch Einübung und Reflexion in Verbindung miteinander.
Eine elementarisierende Konfirmandenarbeit wird erstens die »elementaren Strukturen « aufmerksam mitberücksichtigen, die bereits als »liturgische« Elemente in der »Liturgie des Alltags«, der eigenen Lebenswelt vorkommen: bitten und danken, klagen und loben, schweigen und reden.
In diesen Worten unserer Sprache drücken sich stets Erfahrungen aus: Erfahrungen des Mangels und des Sattwerdens, des Schmerzes über Verlust und der Freude des Wiederfindens, des Bedürfnisses nach Ruhe und des Verlangens nach Aussprache: »elementare Erfahrungen«.
Wenn Konfirmandenarbeit vermehrt im Gottesdienstraum selbst die Gestalt einer elementaren liturgischen Bildung annimmt - und dies geschieht bereits in nicht wenigen Gemeinden, angeregt unter anderem durch die Vorschläge der Symboldidaktik und die Wiederentdeckung der Rolle der Meditation in unserer Kirche -, wird jene Anschaulichkeit liturgiedidaktisch genutzt, die die Kirchen von sich aus anbieten: ein Lernen in der Kirche und mit der Kirche. Dies führt auf die Spur »elementarer Zugänge«.
Unsere Kirchen sind architektonisch überlegt gebaut und ausgestattet: kreisförmig ganz alte wenige Dome, zum Teil aber auch neue Kapellen; rechteckig die typischen Lehrkirchen. Die Erhöhung des Altars, die Position der Kanzel, Farben und Formen und vor allem Bildschmuck und Skulpturen - alles lädt ein, darüber nachzudenken und entdeckend zu lernen.
Dabei muß das Verstehen nicht immer dem Praktizieren vorausgehen, sondern umgekehrt: Praktizieren leitet Verstehen an: erst eintauchen - auch in jene Lieder des neuen Gesangbuchs, die die jungen Leute ansprechen -, dann über diesen oder jenen Satz und Vers nachdenken; erst gesammelt das Bild oder Relief anschauen und meditieren, dann dazu Assoziationen austauschen, Geschichten erzählen, zuletzt erst ein einprägsamer Begriff.
Lernen hat immer auch eine emotionale Grundlage; es sei denn, wir verschütten sie. Vieles bleibt Jugendlichen heute ganz unzugänglich, weil sie nicht darauf aufmerksam gemacht werden, was in ihrem Leben ein Anlaß ist, zu staunen, ein Geheimnis zu bedenken und ehrfürchtig zu werden. Früher hat der Begriff der »Andacht« das Gemeinte zusammengefaßt. Er ist für viele ein völlig verstaubtes Wort. Die Alltagssprache hilft jedoch, das, was er meint, neu zu erschließen (der Begriff selbst spielt keine Rolle). Aus der Alltagssprache und -erfahrung kennen die Konfirmanden und Konfirmandinnen die Rolle von »Andenken«. Sie tragen selbst vielleicht »gedankenlos« Schmuck, der wie die Halskette mit dem Kreuz »zu denken geben« kann. Meditationen über das Kreuz und seine Bedeutung für die Kirche und unser Leben gehören in die Mitte der liturgischen Erziehung. Es ist auf vielen Wegen möglich, Fremdheit zu überwinden und Befremdendes vertraut werden zu lassen. Den vernachlässigten meditativen und doxologischen Seiten des evangelischen Gottesdienstes sollte neue Aufmerksamkeit geschenkt werden, wobei die Erwachsenen auch von der Konfirmandenarbeit lernen können.
3.7 Mitgestaltung des Gottesdienstes
Ein Lernen zwischen den Generationen, wie es bereits 1974 in den Gliedkirchen des Bundes der Evangelischen Kirchen in der DDR bei der Formel »Kirche als Lerngemeinschaft« mitgemeint ist und heute noch nachdrücklich unterstrichen wird, steht beim Gottesdienst auf einem besonderen Prüfstand. Er ist der Ort der exemplarischen Sammlung der ganzen Gemeinde. Der generationsübergreifende Ansatz der gegenwärtigen Religions- und Gemeindepädagogik meint nicht eine Anpassung der Jüngeren an die Älteren oder umgekehrt, folglich auch keine einseitige Anpassung in der Feier des Gottesdienstes. Das sehen die Jugendlichen selbst. Sie erwarten aber mit Recht, mitgestalten zu dürfen, indem etwa Ergebnisse aus der Konfirmandenarbeit, hinter denen sie persönlich stehen, in ihrer eigenen Sprache und ihrer eigenen Gestaltung den Gottesdienst mit konstituieren. Die Konfirmandinnen und Konfirmanden freuen sich besonders über jeden Schritt, der ihnen in Richtung auf ihre musikalische Welt entgegenkommt - unter lebensweltlicher Perspektive ein Moment von nicht zu überschätzender Bedeutung. Vorzuschreiben gibt es jedoch nichts; gemeinsam zwischen Alt und Jung zu erproben aber sehr viel; und mehr, als man zunächst denkt, gefällt den Älteren genauso wie den Jüngeren. Die Rock'n'Roll-Fans der ersten Stunde haben heute das Rentenalter erreicht.
Zusammengefaßt sind es drei Dinge, die Jugendliche in ihrer Konfirmandenzeit und darüber hinaus wünschen:
- Gemeinschaft haben,
- Glaubens- und Lebensorientierung durch eine verständliche Predigt und durch offene Gespräche erhalten und
- Partner sein im Mitfeiern und Mitgestalten des Gottesdienstes.