Rechtfertigung und Freiheit

Geleitwort

Geleitwort zur vierten Auflage

Der EKD-Grundlagentext Rechtfertigung und Freiheit hat ein erstaunlich breites Echo erfahren, viel Zustimmung, aber auch Kritik. Es wird wieder über Theologie diskutiert und dazu im Vorfeld des Reformationsjubiläums über ein Kernthema reformatorischer Theologie. Wenn dabei evangelisches Selbstverständnis pointiert zum Ausdruck gebracht wird, so geht es gleichwohl nicht um konfessionelle Abgrenzung gegenüber anderen. Für interessierte (evangelische) Christenmenschen soll im Vorfeld des Jubiläums der Anlass für ein
Fest allgemeinverständlich erklärt werden, zu dem alle eingeladen sind.

Rechtfertigung und Freiheit nimmt nur summarisch auf den ökumenischen Dialog Bezug und erwähnt die einzelnen Dialogdokumente nicht explizit. Deswegen ist es – auch in Aufnahme der inzwischen angestoßenen Diskussion – wichtig, ausdrücklich an das 2013 erschienene Dokument der Lutherisch/Römisch-katholischen Kommission für die Einheit Vom Konflikt zur Gemeinschaft zu erinnern, in dem das ausführlich geschieht. Dieses Dokument deutet die Kernanliegen der Reformation vor dem Hintergrund des ökumenischen Gesprächs. Diesem Text wie der hier vorliegenden Schrift gemeinsam ist, dass sie die 1999 von Vertretern des Lutherischen Weltbundes und der Römisch-katholischen Kirche unterzeichnete Gemeinsame Erklärung zur Rechtfertigungslehre voraussetzen. Bereits damals wurde ein Grundkonsens im Verständnis der Rechtfertigungslehre formuliert und festgehalten, dass die bestehenden Unterschiede keinen kirchentrennenden Charakter mehr haben.

In der Darstellung der Kernanliegen reformatorischer Theologien setzt Rechtfertigung und Freiheit traditionsbewusst bei der Rechtfertigungslehre an und verwendet die aus dem 19. Jahrhundert stammende Zusammenstellung von vier soli (von lat. solus = allein): »allein Christus«, »allein aus Gnade«, »allein aufgrund der Schrift«, »allein durch den Glauben«. Diese vier Exklusivpartikel werden um eine fünfte Wendung erweitert. »Allein im Wort« weist auf das göttliche Vergebungs- und Gnadenwort hin, das im mündlich zugesagten Wort der Bibel präsent ist. Einsichten der Barmer Theologischen Erklärung von 1934 und des Zweiten Vatikanischen Konzils wurden hier aufgenommen.

Auch dadurch wird deutlich: Bei der Beschreibung der Grundanliegen reformatorischer Theologien und bei der Einsicht in ihre bleibende theologische Bedeutung besteht ein höchst erfreulicher ökumenischer Konsens. Die »allein ...«-Formulierungen haben heute ihren ursprünglich kontroverstheologischen Charakter verloren und betonen die gemeinsame Verantwortung der christlichen Kirchen für die Verkündigung des Wortes Gottes. Die z.T. überzogene Kritik an Rechtfertigung und Freiheit übergeht diese Zusammenhänge, sie zeigt aber auch, dass im Blick auf das ökumenische Miteinander die Bezugnahme auf jene Dialoge deutlicher gemacht hätte werden können.

Verbleibende Unterschiede lassen sich benennen, sie dürfen und sollen aber kein Hinderungsgrund für ökumenisch-geschwisterliche Gemeinschaft sein. Deswegen bin ich froh, dass sich die anfänglichen Wogen der Debatte mittlerweile gelegt haben. Die Diskussion möge aber Ausgangspunkt und Ansporn sein für ein intensiviertes wechselseitiges Hinhören auf den jeweils anderen, um das Jahr 2017 in ökumenischer Gemeinsamkeit tatsächlich als großes Christusfest zu feiern. Rechtfertigung und Freiheit will für eine solche gemeinsame Feier werben.

Hannover, im Januar 2015

Landesbischof Dr. Heinrich Bedford-Strohm
Vorsitzender des Rates der Evangelischen Kirche in Deutschland
 



Geleitwort zur ersten Auflage

Der Reformationstag am 31. Oktober ist ein historisches Symboldatum. Er erinnert an Martin Luthers Thesenanschlag im Jahr 1517. Wenn wir 2017 an diesem Tag 500 Jahre Reformation feiern, dann nehmen wir über dieses Einzeldatum hinaus die Vielfalt und Weite der Reformation in ihren unterschiedlichen theologischen und regionalen Ausprägungen wahr.

Die Reformation ist ein gesamteuropäisches und – mit Blick auf ihre Wirkungen – ein weltgeschichtliches Ereignis. 2017 wird dieses Jubiläum erstmals von allen reformatorischen Kirchen in Deutschland gemeinsam vorbereitet. Möglich machte dies die Leuenberger Konkordie. Sie brachte 1973 die Überwindung innerprotestantischer Kirchentrennungen und achtete dabei die verschiedenen reformatorischen Bekenntnistraditionen.

Der Grundlagentext »Rechtfertigung und Freiheit. 500 Jahre Reformation 2017« ist Frucht der innerprotestantischen Verständigung und ein weiterer Beitrag zu ihrer Vertiefung. Der Text erläutert wesentliche theologische Einsichten der Reformationszeit im aktuellen Kontext.

Den Reformatoren ging es ursprünglich nicht um die Befreiung vom »Joch des Papsttums«, noch weniger betrieben sie die Spaltung der abendländischen Christenheit. Wie von vielen anderen seit langem gefordert, wollten sie eine Reform der ganzen Kirche an Haupt und Gliedern. Dieses Anliegen darf nach fünfhundert Jahren nicht aus dem Blick geraten. Es wäre deshalb verfehlt, das Datum nur als Gedenken an die verlorene Einheit zu begehen. Wir wollen in der Freude über die geistlichen Gaben der Reformation das Jubiläum in ökumenischer Weite feiern.

Als Ereignis von weltgeschichtlicher Bedeutung hat die Reformation nicht allein Kirche und Theologie, sondern das gesamte private und öffentliche Leben verändert und bis in die Gegenwart (mit) geprägt. Sie wirkte als Bildungsimpuls, trug zur Ausbildung der modernen Grundrechte von Religions- und Gewissensfreiheit bei, veränderte das Verhältnis von Kirche und Staat, hatte Anteil an der Entstehung des neuzeitlichen Freiheitsbegriffs und des modernen Demokratieverständnisses – um nur einige Beispiele zu nennen.

Als offene Lerngeschichte ist die Reformation für jede Generation Gestaltungsaufgabe. Heute geht es um die Bedeutung der reformatorischen Rechtfertigungslehre und Freiheitserfahrung in einer Zeit verstärkter gesellschaftlicher Umbrüche. Beides erinnern wir traditionsbewusst im Kontext ökumenischer Herausforderungen und der fortschreitenden Entchristlichung sowie im Horizont einer pluralistischen Gesellschaft. Wir wollen Ereignisse und Erkenntnisse der Reformation feiernd vergegenwärtigen und vergewissernd erzählen. Dabei sollen die Schatten der eigenen Geschichte nicht ausgeblendet werden.

Der Kommission, die unter der Leitung von Prof. Dr. Dres. h.c. Christoph Markschies den vorliegenden Grundlagentext erarbeitet hat, sei sehr herzlich für ihre überzeugende und inspirierende Arbeit gedankt. Unter der Überschrift »Rechtfertigung und Freiheit« richtet der Text sich an theologisch interessierte Menschen, Kirchenvorstände, Theologen und Theologinnen, aber auch an eine breitere Öffentlichkeit, die nach der Bedeutung des Reformationsjubiläums 2017 fragt.

Der Rat der EKD wünscht diesem Text eine intensive Aufnahme und Resonanz in Deutschland wie auch in der weltweiten Ökumene. Er hofft, dass von diesem Grundlagentext Anregungen ausgehen, das Reformationsjubiläum 2017 mitzugestalten und als ein Fest zu feiern, das über die Grenzen von Konfessionen und Kirchen hinaus Menschen berührt und verbindet.

Hannover, im Mai 2014

Nikolaus Schneider

Vorsitzender des Rates der Evangelischen Kirche in Deutschland

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