Schritte zu einer nachhaltigen Entwicklung
Vorwort
Zur Jahrhundertwende hat die Vollversammlung der Vereinten Nationen (United Nations – UN) eine Millenniumserklärung verabschiedet. Elende Lebensbedingungen entschlossen bekämpfen – das ist der Kern der in dieser Erklärung enthaltenen Millenniumsentwicklungsziele (Millennium Development Goals – MDGs). Zu ihnen haben sich rund 150 Länder bekannt, darunter Deutschland und die anderen großen Geber von Entwicklungshilfe. Mit den Millenniumszielen werden klare Zielvorgaben für die Verringerung von Armut, Hunger, Krankheitslasten, Analphabetismus, Umweltverbrauch und Geschlechterdiskriminierung festgelegt. Daraus ergeben sich für Industrie- und Entwicklungsländer konkrete Aufgaben und Verpflichtungen. Fristen für die Umsetzung wurden gesetzt – für die meisten Vorgaben bis zum Jahr 2015. Darüber hinaus enthält die Millenniumserklärung einen grundlegenden globalen politischen Konsens über die Leitlinie einer nachhaltigen Entwicklung. Ziel ist es, allen Menschen in Gegenwart und Zukunft ein Leben ohne Erniedrigung und Not zu ermöglichen.
Die evangelischen Kirchen stehen durch Brot für die Welt und den Evangelischen Entwicklungsdienst (EED) in einer langen Tradition der Entwicklungszusammenarbeit, die sich unter dem Leitgedanken „Den Armen Gerechtigkeit“ an den Bedürfnissen der am meisten Benachteiligten orientiert. Im ökumenischen Gespräch über Gerechtigkeit, Frieden und die Bewahrung der Schöpfung ist die „vorrangige Option für die Armen“ zu einem Leitmotiv gesellschaftlichen Handelns geworden. Das kommt auch im Gemeinsamen Wort der Kirchen zur wirtschaftlichen und sozialen Lage von 1997 zum Ausdruck: „Alles Handeln und Entscheiden in Gesellschaft, Politik und Wirtschaft muss darum an der Frage gemessen werden, inwiefern es die Armen betrifft, ihnen nützt und sie zu eigenverantwortlichem Handeln befähigt.“ (1)
Die Evangelische Kirche in Deutschland beschränkt sich in ihrer ökumenischen und internationalen Zusammenarbeit nicht auf die Förderung von Hilfsprojekten. Sie beteiligt sich aktiv an der grundsätzlichen Diskussion über den Prozess der Globalisierung; sie will ihren Beitrag dazu leisten, dass dieser Prozess verantwortlich gestaltet wird. Auch im ökumenischen Dialog und in der ökumenischen Zusammenarbeit nehmen die Kirchen in Deutschland zu den Fragen und Problemen der wirtschaftlichen Globalisierung Stellung. Sie hören dabei auf die Stimmen aus den Kirchen der Dritten Welt, in denen die Schattenseiten der Globalisierung zur Sprache kommen. Sie beteiligen sich an der Diskussion, die insbesondere durch den Ökumenischen Rat der Kirchen, den Reformierten Weltbund und den Lutherischen Weltbund angestoßen worden ist. Sie wird bei der Vollversammlung des Ökumenischen Rates der Kirchen in Porto Alegre (Brasilien) zu Beginn des Jahres 2006, so ist zu hoffen, eine weitere, differenzierte Vertiefung erfahren. Der Ruf danach, den Prozess der Globalisierung am Maßstab weltweiter Gerechtigkeit zu messen, darf nicht ungehört verhallen.
Gerade deshalb sind die evangelischen Kirchen der Vollversammlung der Vereinten Nationen dankbar für ihre Millenniumserklärung und die darin enthaltenen Zielsetzungen. Die Erklärung ist ein wichtiger Schritt der Staatengemeinschaft auf dem Weg zu einer gemeinsam verantworteten Gestaltung der Globalisierung. Aber lässt der bisherige Fortschritt erwarten, dass die proklamierten Ziele wirklich erreicht werden? Sind nicht schon genügend große Worte gemacht worden, denen nur allzu bescheidene Taten folgten? Welche zusätzlichen Anstrengungen sind nötig, um die Selbstverpflichtung der Staaten in verbindliche Politik umzusetzen? Die Vereinten Nationen haben hierzu eine Bestandsaufnahme vorgelegt. Der Süden und der Norden sind aufgerufen, hieraus die Konsequenzen zu ziehen. Sie wollen dies auf der kommenden UN-Sondervollversammlung im September dieses Jahres tun. Auch angesichts der zunehmenden Globalisierungskritik vor allem aus den wirtschaftlich schwachen Ländern ist es dringend erforderlich, die eingegangenen Verpflichtungen in die Tat umzusetzen. Kirchen in diesen Ländern sehen in der Verschlechterung der Lebensverhältnisse eine Folge der Globalisierung. In den dominierenden Formen politischen und wirtschaftlichen Handelns können sie deshalb keine Zukunftsperspektive für die armen Regionen der Erde erkennen. Es ist deshalb eine dringende Aufgabe der Weltgemeinschaft, konkrete Perspektiven zu entwickeln, um die Lebensverhältnisse in der südlichen Hemisphäre zu verbessern. Eine konsequente Verwirklichung der Millenniumsentwicklungsziele wäre ein glaubwürdiger Nachweis, dass die internationale Staatengemeinschaft willens und in der Lage ist, die Globalisierung sozial und ökologisch verantwortlich zu gestalten.
Der Rat der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD) bekräftigt die Aufgabe der Politik, im Vorfeld der Vollversammlung der Vereinten Nationen die Weichen für eine verbindliche Festlegung auf konkrete Schritte bei der Umsetzung der Millenniumsziele zu stellen. Wir wenden uns in diesem Sinne an die in Deutschland politisch Verantwortlichen, die im Rahmen der Millenniumserklärung gegebenen Zusagen einzuhalten. Wir halten zusätzlich neue Initiativen für notwendig, um die Finanzierung von Maßnahmen sicherzustellen, die zur Erreichung der MDGs erforderlich sind. Wir bitten die Gliedkirchen der EKD, in ihrem Engagement für den kirchlichen Entwicklungsdienst nicht nachzulassen, sondern weiterhin ihren Beitrag zur Erreichung der Millenniumsziele zu leisten.
Die EKD ist bereit, mit all denen zu kooperieren, die sich für die Umsetzung der Millenniumsziele einsetzen. In diesem Sinn will der Rat der EKD mit der vorliegenden Stellungnahme das öffentliche Interesse an den anstehenden Entscheidungen der Staatengemeinschaft in den Kirchen und darüber hinaus stärken.
Der Rat der EKD dankt der Kammer für nachhaltige Entwicklung für die Erarbeitung dieser Stellungnahme. Ich wünsche ihr eine breite und intensive Resonanz.
Hannover, 7. Juni 2005
Bischof Wolfgang Huber
Vorsitzender des Rates der
Evangelischen Kirche in Deutschland
Fussnoten
(1) Gemeinsames Wort der Evangelischen Kirchen in Deutschland und der Deutschen Katholischen Bischofskonferenz zur wirtschaftlichen und sozialen Lage, 1997, S. 107.