Als Kirchenführer für die Ökumene im Einsatz
Junge Europäer führen in ihren Heimatsprachen durch den Dom zu Speyer
Speyer (epd). Florian Hoffmann muss nicht allzu lange warten, bis er etwas zu tun bekommt. Ein älteres Ehepaar aus Potsdam tritt an den Tisch im südlichen Seitenschiff des Speyerer Domes, an dem vier junge Leute auf Besucher warten. „Wissen Sie, wo man Audioguides bekommt?“, fragt der Mann, ein pensionierter Pfarrer. Für den evangelischen Theologiestudenten aus Mainz ist jetzt der Moment da. Wie wäre es stattdessen mit einer kostenlosen und spontanen Führung, schlägt er vor. Die beiden Besucher strahlen, und los geht die Tour durch die mehr als 1.000-jährige Geschichte des Unesco-Weltkulturerbes.
Noch bis zum 25. August wollen junge Europäer als Domführer in der größten erhaltenen romanischen Kirche der Welt in ihren Heimatsprachen „die Steine zum Sprechen“ bringen. So lautet das Motto eines Programms der ökumenischen Organisation ARC. „ARC“ steht für die französischen Begriffe „Accueil“ (Empfang), „Rencontre“ (Begegnung) und „Communauté“ (Gemeinschaft). Die Organisation entsendet in den Sommerwochen junge Leute aus ganz Europa zu ihrem ehrenamtlichen Dienst, um für ein internationales und überkonfessionelles Miteinander zu werben. Seit mehr als 30 Jahren ist der Kaiserdom zu Speyer Teil des Projekts. Führungen gibt es dieses Jahr in Deutschland auch in Erfurt, Münster und Konstanz.
„Kirchen sind die Zugangspunkte zum Glauben“
Einen Monat lang bilden die vier Speyerer Domführer aus Deutschland, England, Belgien und Spanien eine kleine ökumenische Gemeinschaft. In Zweier-Apartments, die das Speyerer Domkapitel bereitstellt, wohnen die zwei Frauen und Männer zusammen, kochen abends nach der Arbeit und machen gemeinsame Unternehmungen. Auf ihren fast einmonatigen Job als Kirchenführer haben sich die jungen Leute gut vorbereitet.
Wichtig ist ihnen, das kulturelle Erbe des Kirchenbaus den Besuchern zu vermitteln, die oft nichts oder nur wenig über den Dom und seine lange Geschichte wissen. „Zudem trifft man Leute aus anderen Ländern, die andere Blickwinkel auf die Dinge haben“, sagt der 20-jährige Geschichtsstudent Alex Howell aus dem nordenglischen Manchester.
Zwei- bis dreimal täglich machen die Domführer jeweils mit Besuchern aus der ganzen Welt einen Rundgang, geben Informationen, erzählen Anekdoten und stehen für Fragen bereit. Dem 30-jährigen Theologiestudenten Florian ist es dabei wichtig, vor allem theologisches Wissen zu vermitteln und die Menschen mit dem Christentum in Kontakt zu bringen. Kirchen, wie der in mehr als 30 Jahren erbaute Dom seien mehr als nur ein aus Steinen erbaute Gebäude. „Kirchen sind die Zugangspunkte zum Glauben“, sagt Florian, der seine Führungen mit einem Bibelspruch startet und auch beendet. Viele Menschen wüssten nicht mehr, wofür Kirchen stünden.
Religiöse Symbolik und kaiserliche Machtkämpfe
Eine gute Übung für den angehenden Pfarrer ist es, beim Gang durch den Dom vor allem dessen theologisches Programm vorzustellen. Die 134 Meter lange Kathedralkirche mit ihren meterdicken Steinmauern sei nicht von ungefähr burgähnlich, erzählt er den beiden staunenden Besuchern aus Potsdam. In der Kirche konzentriere sich baulich alles auf das Kreuz über dem Hochalter, auf Jesus Christus selbst.
„Gott ist in der Mitte, alles Böse muss draußen bleiben“, sagt Florian und zieht als Lutheraner einen Bogen zu Martin Luther. Die Menschen im 16. Jahrhundert hätten die religiöse Symbolik gut verstanden, die der Reformator in seinem Kirchenlied „Ein feste Burg ist unser Gott“ anklingen lasse. Ein baulicher Eingriff Heinrichs IV. im Dom wird heute kaum mehr die Gemüter erzürnen. Ganz frech ließ der Salier, der neben anderen Kaisern und Bischöfen in der Domkrypta ruht, im Querhaus eine antik stilisierte Säule errichten: Als Zeichen seines Machtanspruchs gegenüber dem Papst, der ihn nach dem Kirchenbann zum Bußgang nach Canossa genötigt hatte.
Alexander Lang (epd)
Die vor rund 40 Jahren in Frankreich gegründete internationale ökumenische Organisation ARC organisiert in den Sommermonaten Führungen in bedeutenden europäischen Kathedralen und Kirchen. Die Buchstaben ARC stehen für die französischen Wörter „Accueil“ (Empfang), „Rencontre“ (Begegnung) und „Communauté“ (Gemeinschaft). Auch wenn viele Projektkirchen katholisch sind, versteht sich der ARC als ökumenischer Verein.
Die Teilnehmer im Alter von 18 bis 30 Jahren arbeiten einige Wochen im Juli oder August ehrenamtlich in einer Kirche in Deutschland, Belgien, Frankreich, Großbritannien, Italien, Luxemburg, den Niederlanden oder in Spanien. Sie leben in dieser Zeit als internationale Gruppe zusammen und empfangen die Kirchenbesucher in ihrer jeweiligen Muttersprache. Die Teilnehmer, die der ARC Deutschland mit Sitz in Berlin in seine Projekte schickt, sind jeweils etwa zur Hälfte katholisch und evangelisch.
Ziel der Führungen ist es, den Besuchern die Kirchen aus historischer, kunstgeschichtlicher und theologischer Sicht erfahrbar zu machen und die interreligiöse Begegnung zu fördern. Für Unterkunft und Verpflegung der Kirchenführer sorgen die Projektkirchen, in Speyer ist das Domkapitel dafür zuständig. Die Projektteilnehmer tragen nur die Kosten für An- und Abreise, auf ihre Aufgabe werden sie bei einem Wochenendtreffen vorbereitet. ARC-Kirchenführer gibt es etwa in Florenz, Venedig, Bordeaux, Rouen, London, Oxford, Luxemburg und im belgischen Gent. An den 26 Projekten in acht Ländern nehmen insgesamt rund 100 junge Leute teil.
Bis zum 25. August sind die Kirchenführer im Speyerer Dom täglich außer mittwochs ansprechbar, jeweils von 10 bis 12.30 Uhr und von 14.30 bis 17.30 Uhr, sonntags nach der Messe ab etwa 11.30 Uhr. Eine Teilnahme ist ohne Voranmeldung möglich. Um eine Spende für das ARC-Projekt wird gebeten.