Bahr: „Selbst Verantwortung zu haben, macht stark“
Ethik-Expertin Petra Bahr appelliert in Corona-Krise an Selbstverantwortung
Hannover (epd). Die evangelische Theologin und Ethik-Expertin Petra Bahr hat acht Wochen nach dem Beginn der Corona-Krise an die Eigenverantwortung der Menschen appelliert. In der aktuellen Phase der Krise mit vorsichtigeren Lockerungen werde es viel schwieriger, angemessen mit der Bedrohung durch das Coronavirus umzugehen als vorher, sagte die hannoversche Regionalbischöfin am Donnerstag dem Evangelischen Pressedienst (epd). „Jetzt ist ein größeres Maß an Selbstverantwortung gefragt. Nicht Verbote, sondern zu fragen: Was können die Folgen meines Handelns sein, für mich und für andere?“
Bahr war Ende April von Bundestagspräsident Wolfgang Schäuble (CDU) in den Deutschen Ethikrat berufen worden. Sie betonte: „Selbst Verantwortung zu haben, macht stark.“ Sie wünsche sich, dass eine Atmosphäre der „gelassenen Disziplin“ entstehe. In der ersten Phase der Pandemie hätten noch die schockierenden Bilder aus Italien, Spanien oder den USA dazu geführt, dass sich die Menschen weitgehend an die Corona-Beschränkungen der Politik gehalten hätten.
Bahr lobt solidarischen Umgang der Gesellschaft in Deutschland
Statt Appellen seien künftig nachvollziehbare Beschreibungen möglicher Folgen des Handelns nötig. „Wer sich jetzt alle Freiheiten nimmt und sich für unverletzlich hält, kann unter Umständen in der nächsten Woche schon in einer dramatischen Situation stecken - und erwartet dann trotzdem bestmögliche Gesundheitsversorgung“, sagte die Theologin.
Die Regionalbischöfin lobte den bislang solidarischen Umgang der Gesellschaft in Deutschland angesichts der Krise. „Ich möchte nicht in einer Gesellschaft leben, in der die potenzielle Gefährdung und auch der Tod anderer Leute mir egal sein kann, weil mein individuelles Freiheitsrecht so hoch zu bewerten ist, dass die anderen nicht zählen“, sagte sie.
Verliererinnen der Krise sind vor allem alleinerziehende Frauen
Angesichts der zunehmenden Demonstrationen gegen die Corona-Beschränkungen zeigte sich Bahr gelassen. „Es ist ein großes Freiheitsrecht, Dinge anders zu beurteilen oder auch einfach nicht einsehen zu wollen“, sagte sie. Das müsse eine Demokratie aushalten. Zugleich übte sie scharfe Kritik an den Demonstranten: „Was ich schwer erträglich finde, ist die Mischung aus Wut und Verschwörungsmythen und einer gehörigen Portion Egoismus oder auch dem politischen Kalkül, das sich mit Gewalt und Umsturzplänen auflädt.“ Diese „Maskerade“ müsse immer wieder entlarvt werden.
Zu den Verliererinnen der Krise zählten vor allem alleinerziehende Frauen, mahnte die Theologin: „Weil sie Jobs schneller verlieren und gleichzeitig Kinder zu Hause beschulen und betreuen müssen.“ Die Angst vor der eigenen Zukunft und existenzielle Not könnten sich zu sozialem und politischem Sprengstoff entwickeln, sagte Bahr, die seit 2017 an der Spitze des evangelischen Kirchensprengels Hannover steht.
Michael Grau und Daniel Behrendt (epd)