Berufswunsch Profi mit dem Leder-Ei
Schwäbisch Hall (epd). Die beiden sind fast zwei Meter groß, und sie wollen Profi-Football-Spieler in den USA werden: Jay Leon Raymond (17) und Joshua Lewis (18) besuchen das evangelische Internat in Michelbach südlich von Schwäbisch Hall. Eine Akademie - vor mehr als acht Jahren gegründet von der Schwäbisch Haller Football-Mannschaft „Unicorns“ und dem Evangelischen Schulzentrum - will ihnen auf diesem Weg in den Olymp des American Football helfen.
Ihre Cookie-Einstellungen verbieten das Laden dieses Videos
Joshua freut sich auf den Superbowl, den in der Nacht zum Montag weltweit bis zu 150 Millionen Menschen an Bildschirmen verfolgen werden. Denn der 18-Jährige ist Fan der Philadelphia Eagles, die gegen die Kansas City Chiefs antreten werden. Ein Teil seiner Familie stammt ebenfalls aus der Region Philadelphia. Die Internatschüler werden in einem Gemeinschaftsraum die Nacht zum Tag machen und ihren Idolen beim Endspiel der jährlichen Football-Saison zuschauen.
39 Schüler und 4 Schülerinnen nehmen derzeit an der Akademie teil. Ihr Schulalltag dreht sich in weiten Teilen um den Sport mit dem braunen Leder-Ei. An zwei Tagen pro Woche fahren sie mit dem Bus nach Schwäbisch Hall, um auf dem 100-Yard-Feld der „Unicorns“ zu trainieren. An den anderen Tagen gibt es Trainingseinheiten, Muskelübungen im Kraftraum und Theorie-Unterricht.
Ian Gehrke, Sohn des Gründers der „Unicorns“ und selbst erfahrener Spieler als Quarterback, sitzt mit sieben Schülern des Angriffsteams im Klassenzimmer. Auf einem Bildschirm zeigt er eine Szene vom jüngsten Training. Zu oft werde im Angriff die gleiche Route gelaufen, kritisiert er. Dann diskutiert er mit den Teenagern die Frage, ob man bei den Läufen eine Richtung antäuschen und dann in eine andere rennen solle. Das verwirre den Gegner, koste aber Zehntelsekunden, die beim Sturm auf die Endzone entscheidend sein könnten.
Football bedeutet viel an dieser Schule, aber nicht alles. Die Schüler wissen genau, dass sie auch gute Noten erzielen müssen. Denn der Weg in den Profi-Football führt sehr häufig über ein amerikanisches College, weil deren Football-Mannschaften wiederum das Reservoir für den Nachwuchs der National Football League (NFL) in den USA bilden. Und die Colleges interessieren sich nicht für Schüler mit schlechten Noten. Also versuchen die Michelbacher Sportler, auch schulisch gute Leistungen abzuliefern und im Abitur zu punkten.
Schulleiter Ralph Gruber erinnert sich mit einem Schmunzeln an den Start der „Unicorn Academy“ vor gut acht Jahren. Die Frage sei aufgetaucht, ob die ruppige Sportart Football für eine „zartbesaitete evangelische Schule“ passend sei, berichtet er. Immerhin sei die Michelbacher Bildungseinrichtung mit ihren mehr als 580 Schülerinnen und Schülern - davon rund 45 im Internat - bis dahin in erster Linie für ihren musikalischen Zug bekannt gewesen. Unterstützung für das Football-Projekt, das von den „Unicorns“ initiiert worden sei, habe er aber nach dem Start vom damaligen Bildungsdezernenten im Evangelischen Oberkirchenrat der württembergischen Landeskirche, Norbert Lurz, bekommen.
Er selbst gehe inzwischen zu allen Heimspielen ins Schwäbisch Haller Stadion, sagt Gruber. Nur mit dem vielen Englisch, das beim American Football gesprochen wird, hat der Religions- und Französischlehrer anfangs gefremdelt, räumt er ein. Am christlichen Profil ändert der Sportschwerpunkt nichts. Religion spielt eine wichtige Rolle im Schulalltag, die jungen Leute absolvieren etwa alle ein Diakonie-Praktikum. Jay berichtet, dass der Andachtsraum der Schule gut genutzt werde: „Viele beten hier.“
Beim Football kann man nach den Worten der beiden Nachwuchstalente Joshua und Jay ebenfalls viel fürs Leben lernen. „Wir üben hier Disziplin und hören zu, was der Coach sagt. Im Team kann man nicht machen, was man will“, hebt Joshua hervor. Und Jay ergänzt: „Wir lernen hier, nicht aufzugeben. Es gibt immer einen Weg, auf dem man sich hocharbeiten kann.“
Am kommenden Montag werden sie nach einer Nacht vor dem TV-Gerät allerdings erstmal einen Weg suchen, wie man wach bleiben kann. Doch die Schule zeigt sich großzügig: Weil der Superbowl voraussichtlich nicht vor 4 Uhr endet, bekommen die Teenager die ersten beiden Schulstunden frei.