„Verfolgt, weil sie Christen sind“

Das Recht auf Religionsfreiheit wird vielfach verletzt - Interview mit Sabine Dreßler, Oberkirchenrätin im Referat für Menschenrechte der EKD

In vielen Ländern gewährt die Verfassung Religionsfreiheit. Die Wirklichkeit sieht manchmal anders aus. Sabine Dreßler, Oberkirchenrätin im Referat für Menschenrechte, Migration und Integration der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD), gibt Auskunft über die Lage verfolgter Christinnen und Christen weltweit.

Symbolbild: Kreuz an einer Kette

Wie viele Christen insgesamt werden weltweit verfolgt?

Sabine Dreßler: Das lässt sich pauschal nicht sagen, denn es gibt für viele Länder keine genauen Zahlen dazu, wie viele Christ*innen dort überhaupt leben. Dabei können die staatlicherseits angegebenen Zahlen dann auch noch abweichen von dem, was die Kirchen nennen. Auch die Quellenlage zur Einschränkung oder Verletzung von Religionsfreiheit ist uneinheitlich. Ebenso das, was wir unter Verfolgung oder Bedrängung verstehen. Da stellt sich die Frage, wo hört Anfeindung auf und wo fängt Verfolgung an? Und es gibt oft mehrere Gründe gleichzeitig für Angriffe auf Menschen. Es geschieht also nicht nur, weil jemand Christ, sondern weil er oder sie einer Minderheit, einer bestimmten Ethnie angehört, oder sich für Bürgerrechte stark macht oder weil sie Frau ist.

In welchen Ländern ist die Zahl besonders hoch?


Dreßler: Ich würde eher fragen, wo es Einschränkungen bis hin zu schweren Verletzungen des Rechts auf Religionsfreiheit gibt. In China beispielsweise - offiziell ein atheistischer Staat - wird es für Christen und alle Religionsgemeinschaften immer enger - und am schlimmsten trifft es Muslime. In Indien, der größten Demokratie der Welt, wird Religionsfreiheit von der Verfassung garantiert, aber einzelne Bundesstaaten verabschieden Gesetze, die Christen und Muslime mehr und mehr unterdrücken in der Ausübung ihres Glaubens. Dahinter steckt die Idee von sehr einflussreichen hindunationalistischen Gruppen, Indien zu einem Land zu machen, in dem der Hinduismus Gesellschaft und Politik bestimmt.

Welche Konflikte liegen der Verfolgung zugrunde?

Dreßler: Christen werden beobachtet und in ihren Rechten eingeschränkt, werden angefeindet, bedrängt oder verfolgt, weil sie Christen sind – zum Beispiel im Iran. Dort sind zwar historische Kirchen erlaubt, aber wenn eine Muslima zum Christentum konvertiert, dann setzt sie sich größter Gefahr aus. Deshalb treffen die sogenannten „neuen“ Christen im Iran sich in Hauskirchen an geheimen Orten.
Aber Christen werden auch verfolgt, weil sie die Menschenrechte verteidigen, wie der Bischof der katholischen Kirche, der in Nicaragua gerade zu 26 Jahren Haft verurteilt worden ist, weil er das Regime kritisiert.
In Äthiopien, einem der ältesten christlichen Länder der Welt, besteht Verfolgung darin, dass in dem verheerenden Krieg in der Region Tigray Kirchen und Klöster gezielt angegriffen werden, um auf diese Weise ethnische Identitäten und Gemeinschaften zu zerstören – und dabei stehen auf beiden Seiten der Kämpfe Christen.
Es kann also verschiedene Ursachen für Verfolgung geben, unterschiedliche Akteure, die sie ausüben, als auch ganz verschiedene Ausprägungen der Verfolgung.

„Christen werden auch verfolgt, weil sie die Menschenrechte verteidigen.“

Sabine Dreßler

Wie können einzelne oder Gemeinden den Verfolgten beistehen?

Dreßler: Wir beten für die Opfer und wir können sie über unsere Netzwerke konkret unterstützen. Wir informieren und machen öffentlich, wo Menschen aufgrund ihres Glaubens Benachteiligungen erfahren oder in direkte Gefahr geraten. Wir können für die, die stummgemacht werden, sprechen und ihre Rechte verteidigen. Wir verbinden uns dazu mit Partnerkirchen und Organisationen in der Entwicklungszusammenarbeit, mit Vertreter*innen in Politik und Gesellschaft. Wir tun dies, weil es in besonderer Weise Aufgabe der Kirche ist, Anwältin der Schwachen zu sein und die gottgeschenkte Würde jedes einzelnen Menschen zu verteidigen.

Das Interview führte Anke von Legat

Der Beitrag ist erstmalig erschienen in „Unsere Kirche“, Evangelische Zeitung für Westfalen und Lippe, Nr. 10/2023