Christliches Leben im KZ Auschwitz-Birkenau
Unter allergrößter Gefahr für das eigene Leben wurden Gottesdienste gefeiert, Beichten abgenommen, Babys getauft und Paare verheiratet
Schon unter den ersten Häftlingen des Konzentrations- und Vernichtungslagers Auschwitz-Birkenau befanden sich römisch-katholische Geistliche. Denn die Nationalsozialisten sahen in ihnen eine Gefahr für die eigene Herrschaft. Zusammen mit Lehrern, Ärzten und Journalisten waren Geistliche für die Nationalsozialisten Menschen, die Ansehen und Autorität in der polnischen Bevölkerung genossen und in der Lage waren, Widerstand gegen die Besatzer zu organisieren. Bereits im September 1939 hatte man in den gemischtsprachigen Gebieten versucht, alle polnischen Priester durch „angemessene Deutsche“ zu ersetzen, damit sie „die Bevölkerung nicht weiter verhetzen dürfen“, wie es in einem Schreiben vom 22. September 1939 an den Reichsminister für kirchliche Angelegenheiten, Hanns Kerrl, heißt.
Nach der Besatzung Polens waren die Geistlichen für viele Gemeindemitglieder moralische und geistliche Stützen. „Der Priester besuchte die verängstigten und terrorisierten Gemeindemitglieder, er tröstete sie und richtete sie moralisch wieder auf. Er war überzeugt davon, dass er ein Beispiel an Mut und Tapferkeit für die Menschen sein sollte“, so erinnert sich ein Gemeindemitglied an die Taten von Marcin Tomanka, einem Priester aus Haczów, einer Stadt im südöstlichen Polen. Er habe sich nicht von den deutschen Soldaten einschüchtern lassen und sie einmal sogar, als sie rauchend und mit Mütze auf in der Tür seiner Kirche standen, rausgeschmissen. Kurz darauf wurde Marcin Tomanka verhaftet und ins KZ Auschwitz-Birkenau deportiert. Am 8. Juli 1942 starb er in Dachau.
Geistliche erwartete dort eine noch grausamere Behandlung als sie vielen anderen zu Teil wurde. „Das hier ist kein Sanatorium, das hier ist ein deutsches Konzentrationslager!“, brüllte SS-Hauptsturmführer Karl Fritsch die Neuankömmlinge zur Begrüßung an. „Die einzige Möglichkeit, dem Konzentrationslager zu entkommen, ist die durch den Schornstein! Wem das nicht passt, der kann sofort zum elektrischen Stacheldraht gehen.“ Der Häftling Tadeusz Jagodziński erinnert sich an die Überlebenschance, die ihnen Fritsch in Aussicht gestellt hat: „Hier überlebt ein Jude zwei Wochen, ein Pfaffe überlebt hier einen Monat und ein gewöhnlicher Häftling darf hier drei Monate leben!“
Und die SS-Leute ließen Worten Taten folgen: Die Strafkompanie – in der die härteste Arbeit verrichtet werden musste, die Sterblichkeitsrate am höchsten und die Aufseher am brutalsten waren – bestand größtenteils aus Juden und katholischen Priestern. Zu den Aufgaben der Strafkompanie gehörte das Planieren der Straßen und des Appellplatzes mit einer schweren Walze, die immer von zwei Häftlingen gezogen wurde. „Wir mussten den ganzen Tag mit der Walze rennen und hatten nur eine 30-minütige Mittagspause“, erinnert sich Erwin Olszówka. „Tag ein, Tag aus war es das Gleiche. Von morgens bis abends habe ich die Walze im Laufschritt gezogen – ob es regnete oder heiß war.“ Es habe keine Momente zum Luftholen, keine Verschnaufpausen gegeben – immer habe es nur „los, los, schneller“ geheißen und Stockschläge gegeben. Wer stolperte oder entkräftet zusammenbrach, wurde von der Walze überrollt.
Zusammenlegung der Geistlichen im Konzentrationslager Dachau
Gelang Häftlingen die Flucht aus dem Strafkommando, mussten andere bitter dafür bezahlen. So wie im Juni 1942, als nach einem erfolgreichen Ausbruch von den restlichen Häftlingen des Kommandos 300 ausgewählt und zur Strafe vergast wurden. Die Restlichen wurden von der SS und den Funktionshäftlingen gefoltert. Ein Priester wurde in einem Fass mit Fäkalien ertränkt.
Die Verhandlungen des Vatikans mit dem „Dritten Reich“ über die Freilassung des polnischen Klerus scheiterten. Das einzige Zugeständnis, das man Hitler-Deutschland im Herbst 1940 abringen konnte, war die Zusammenlegung der Geistlichen im Konzentrationslager Dachau und eine leichte Verbesserung der Bedingungen für die Menschen, die dort dann im sogenannten Pfarrerblock interniert waren: Befreiung von der körperlich härtesten Arbeit und die Möglichkeit, die Messe zu feiern, gehörten dazu.
„Es geschah, dass die Zweifelnden ihren Glauben im Lager wiedererlangten“
Im KZ Auschwitz-Birkenau waren alle Formen religiösen Lebens oder auch der Besitz religiöser Gegenstände streng verboten. Und trotzdem fanden die Häftlinge dort Möglichkeiten, ihren Glauben zu leben. Zivilisten schmuggelten Hostien und andere Gegenstände in das Lager und im Geheimen wurden Gottesdienste gefeiert. Wegen der großen Gefahr wurden nur die vertrauenswürdigsten Menschen eingeweiht. Der Häftling Józef Majchrzak ist überzeugt von der Wirkung dieser Gottesdienste: „Es geschah, dass selbst die Zweifelnden ihren Glauben im Lager wiedererlangten. Ich glaube, dass ich auch durch den Glauben und das Gebet vorm drohenden Tod während eines Typhus-Ausbruchs gerettet wurde.“
Öffentlich zelebriert wurde wohl nur das Weihnachtsfest. In einigen Baracken erlaubten die Funktionshäftlinge abends das Singen von Weihnachtsliedern oder sogar das Aufstellen eines Weihnachtsbaumes. Damit die Gefangenen jedoch nicht auf die Idee kamen, dass die SS-Leute milde gestimmt seien, ließen sie in unmittelbarer Nähe des großen Weihnachtsbaumes, der hell erleuchtet auf dem Appellplatz stand, die Leichen der Verstorbenen aufstapeln. So hatten sie alle Häftlinge beim Zählappell vor Augen, als sie gemeinsam mit ihren Unterdrückern „Stille Nacht, Heilige Nacht“ singen mussten.
Heimliche Beichten
Im Frauenlager in Birkenau brachte die Weihnachtszeit die Häftlinge über die Grenzen aller Religionen, Konfessionen und politischen Weltanschauungen zusammen, wie sich Anna Palarczyk erinnert. In ihrer Baracke lebten christliche, jüdische und kommunistisch eingestellte Polen und Ukrainer zusammen. Die Christen schmuggelten einen Weihnachtsbaum in die Baracke und man wollte mit allen zusammen essen, um das christliche Fest zu begehen. „Die Juden schüttelten mit den Köpfen, deswegen erklärte ich ihnen, dass es nicht darum ging, ein christliches Fest zu feiern, sondern ein Fest der Versöhnung, der Hoffnung und des Friedens“, so Palarczyk. Auch die Ukrainer argumentierten, dass ihr Weihnachtsfest erst später stattfinde und sie deswegen nicht an dem Essen teilnehmen könnten. Doch Palarczyk blieb hartnäckig in ihrer Botschaft. „Und so habe ich wieder gesagt: ‚Hört mit gut zu, es geht nicht um ein christliches Fest, es geht um einen Abend für uns, den wir zusammen verbringen in der Hoffnung, dass wir vielleicht irgendwann dieses Lager verlassen werden.‘“ Am Ende seien alle gekommen – auch die Kommunisten.
Heimlich nahmen Priester auch Beichten ab. Und die haben nicht nur die Beichtenden, sondern auch die Beichtväter oft tief berührt. „Diese heimlichen Beichten hinterlassen einen unauslöschlichen Eindruck“, erinnert sich der Jesuitenpater Adam Kozłowiecki, „Wie nur wir beide dort entlanglaufen… als sei es nur ein Gespräch und doch öffnen sich die Herzen für den Empfang der göttlichen Gnade. Und das oft nach Jahren der Gleichgültigkeit. Ego te absolvo... Hier, im Lager Auschwitz.“ Die Absolution in einem Konzentrations- und Vernichtungslager wie Auschwitz-Birkenau zu erteilen, schien für den Jesuiten ein denkwürdiger Augenblick zu sein.
Selbst hergestellte religiöse Gegenstände
Häftlinge im Konzentrations- und Vernichtungslager Auschwitz-Birkenau durften offiziell nur zwei persönliche Gegenstände besitzen: ein Taschentuch und einen Gürtel. Doch obwohl der Besitz von religiösen Gegenständen verboten war, hielt es einige Häftlinge nicht davon ab, sich Symbole ihres Glaubens zu fertigen. Ein Priester bastelte zum Beispiel aus Löffelstielen kleine Kreuze, die er mit christlichen Symbolen, Daten und Namen versah. Einige verschenkte er zur Erbauung an andere Mitgefangene. Auch andere im Lager hergestellte religiöse Gegenstände wurden als Symbole der Hoffnung weitergegeben.
So wie ein kleines Medaillon, in dem der leidende Christus dargestellt ist. Zofia Posmysz erhielt es von Tadeusz Paolone-Lisowski, einem Mithäftling, mit dem sie über den Glauben gesprochen hatte. Sie selbst, die sich als an Gott glaubend bekannte, und er, der Zweifelnde, der sich wie so viele fragte, wie Auschwitz dann existieren kann. Er gab ihr das Medaillon mit den Worten: „Nimm es als eine Erinnerung an mich. Es soll dich beschützen. Pass gut auf es auf und, wenn Gott will, trag es bis zur Freiheit.“ Eine andere Gefangene bastelte aus ihren kargen Brotrationen einen Rosenkranz, der auch nach ihrem Tod im April 1943 von ihren Mitgefangenen aufgehoben wurde. An einem Ort, an dem Menschen vor Hunger starben und wegen Brot töteten, überdauerte ein Rosenkranz aus Brot die Zeit.
Hochzeiten und Taufen im KZ
Heutzutage wird er oft als einer der vielleicht schönsten Tage des Lebens stilisiert: der Hochzeitstag. Auch im KZ Auschwitz-Birkenau und seinen Nebenlagern hat es Paare gegeben, die sich dort Liebe und Treue geschworen haben – bis dass der (im Konzentrationslager allgegenwärtige) Tod sie scheidet. So manches Brautpaar hat sich dort sogar erst kennen und lieben gelernt. So wie Irena (Irka) Bereziuk und Mieczysław (Mietek) Pronobis. Eine Mitgefangene, Anna Kowalczykowa, erinnert sich an die heimliche Trauung der beiden: „Irka stand auf der einen Seite des Stacheldrahts und auf der anderen Seite stand Mietek mit einem anderen Häftling, einem Priester. Irka und Mietek hielten sich durch den Stacheldraht hindurch an den Händen und der Priester segnete sie.“ Ein langes, gemeinsames Leben war dem glücklichen Paar jedoch nicht vergönnt: Zwar überlebten beide das Ende des Krieges, doch starb Mieczysław Pronobis wenige Jahre später an den Folgen einer Tuberkulose-Erkrankung, die er sich im KZ zugezogen hatte.
Nicht weniger erinnerungswürdig als die Eheschließungen sind die Taufen, die im Konzentrationslager Auschwitz-Birkenau stattfanden. Während in der ersten Zeit Schwangere sofort ermordet wurden, stieg ab Mitte 1943 der Bedarf an Arbeitskräften, weshalb Schwangere am Leben gelassen wurden. Im gleichen Jahr hörte man auch damit auf, die Neugeborenen nicht-jüdischer Frauen sofort zu ermorden. Babys jüdischer Abstammung wurden noch bis Ende Oktober 1944 umgebracht. Da die Säuglinge allgemein keine besonders hohe Überlebenschance hatten, wurden die meisten von ihnen mit Zustimmung der Mutter sofort nach der Geburt notgetauft. Maria Slisz-Oyrzyńska arbeitete im Häftlingskrankenhaus in Birkenau und wurde Zeugin solcher Nottaufen. An einigen war sie sogar direkt beteiligt,
Als der Junge auf der Welt war sagte die Hebamme: „Und jetzt werden wir ihn taufen.“
„In der Nacht vom 5. auf den 6. Dezember 1943 wurde das erste Kind in unserem Block 17 geboren. (…) Nachdem der Junge auf der Welt war, sagte mir die Hebamme Stanisława Leszczyńska aus Łódź: ‚Und jetzt werden wir ihn taufen.‘ Ich wurde seine Patin, er mein erstes Patenkind. Ich ließ ihn auf den Namen Adam taufen. Indem sie die offiziellen Worte sprach, taufte Stanisława den kleinen Adam.“ Wie wichtig es für die Hebamme gewesen sein musste, dass die Säuglinge getauft wurden, zeigt auch ein anderes Beispiel: Als die Front näher rückte, organisierte Leszczyńska eine Massentaufe für die bis dahin ungetauften Säuglinge. Ein orthodoxer Häftling, der zufällig gerade vorbei kam, stand Pate für all diese Kinder, die nicht Gefahr laufen sollten, ohne Gottes Segen zu sterben. Auch die Gefangenschaft in Auschwitz hatte ihr diesen Glauben nicht austreiben können.
Wurden anfangs vor allem katholische Geistliche verhaftet, so betraf es später auch Protestanten und Orthodoxe. Unter ihnen waren Priester, Mönche, Nonnen und Seminaristen. Zwischen 1940 und 1945 wurden mindesten 464 männliche und 35 weibliche Geistliche aus den von den Deutschen besetzten Gebieten ins KZ Auschwitz-Birkenau deportiert. Die meisten starben dort oder in den Lagern, in die sie überstellt wurden.
Lena Ohm (evangelisch.de)
Die Informationen und Erinnerungen der Häftlinge in diesem Artikel wurde vom Memorial and Museum Auschwitz-Birkenau in der Lektion „Christian Clergy and Religious Life in Auschwitz“ zusammengetragen.
Buchvorstellung mit Zeitzeugengespräch
Um das Verhältnis der evangelischen Kirche zum KZ-System zwischen 1933 und 1945 darzustellen, untersuchte die Kirchenhistorikerin Rebecca Scherf die Seelsorgetätigkeit der evangelischen Kirche, die inhaftierten Geistlichen, ihre Hafterfahrungen sowie die Reaktionen auf ihre Verhaftungen. Ihre Doktorarbeit wurde mit dem Wilhelm Freiherr von Pechmann-Preis ausgezeichnet und ist unter dem Titel „Evangelische Kirche und Konzentrationslager (1933-1945)“ erschienen.
Am Donnerstag, 31. Januar 2019, um 19.30 Uhr wird das Buch in der Evangelischen Versöhnungskirche in der KZ-Gedenkstätte Dachau vorgestellt. An der Veranstaltung beteiligt sind, außer der Autorin, der Zeitzeuge Heinz H. Niemöller, der seinen im KZ Dachau inhaftierten Vater, Pfarrer Martin Niemöller, besuchte und die Präses der Synode der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD), Irmgard Schwaetzer.