Der digitale Bauchladen für alle
Drei Modellgemeinden in Süddeutschland sollen die Digitalisierung der Kirche vorantreiben
Die Corona-Pandemie ist wie ein Weckruf für Kirchengemeinden, sich digital zu engagieren. Die "digitale Mustergemeinde", eine Initiative dreier süddeutscher Landeskirchen, soll sie dabei unterstützen. Mit einem in Württemberg einzigartigen Projekt ist auch die Kirchengemeinde Eningen unter Achalm dabei.
Von Sven Kriszio
Stuttgart/Eningen unter Achalm. An einer Bushaltestelle wäre dieser Monitor kaum etwas Besonderes. Er würde dort Werbung anzeigen oder auf Abfahrtszeiten verweisen. Doch direkt vor der Kirche in Eningen unter Achalm, einer Kleinstadt mit rund 11000 Einwohnern etwa 40 Kilometer südlich von Stuttgart, überrascht der mannshohe Monitor. Denn er macht Werbung für das Gemeindeleben. "Die Sehgewohnheiten ändern sich. Die Menschen sind längst an wechselnde Bilder gewöhnt", sagt Pfarrer Johannes Eißler. "Da wollen wir mitgehen."
Schon vor der Corona-Pandemie sei die Idee zur Modernisierung des althergebrachten Schaukastens entstanden, betont der Theologe. "Wir wollten unser kirchliches Leben zeitgemäß nach außen tragen. Und hier ist reger Publikumsverkehr." Künftig soll der Bildschirm, der im Bereich der Landeskirche in Württemberg einzigartig ist, Fotos aus dem Gemeindeleben zeigen, Veranstaltungen ankündigen und außerdem mit schön gestalteten Themenfenstern über kirchliche Festtage wie Pfingsten informieren. Auch Nachrichten vom evangelischen Nachrichtendienst epd sollen hier bald zu lesen sein.
Kirchengemeinde Eningen profitiert von der Unterstützung vieler Seiten
Für den Digitalisierungs-Schub in Eningen hat nicht nur die Corona-Pandemie gesorgt, in der viele evangelische Gemeinden ihre Präsenz im Internet verstärkt haben, sondern auch die vielfache Unterstützung der Landeskirche in Württemberg mit ihrem Medienhaus, den Missionarischen Diensten und einem ungewöhnlichen Projekt. "Da kamen ein paar Dinge positiv zusammen", betont der Pfarrer. So habe es neben Beratungs- und Weiterbildungsangeboten für sein Digital-Team auch finanzielle Unterstützung der Landeskirche für zwei fest in der Kirche installierte, aber schwenkbare Kameras gegeben. Denn wie viele andere Gemeinden überträgt auch Eningen seine Gottesdienste per Live-Stream. "20 bis 40 Personen schauen sich die Gottesdienste durchgehend an", erzählt der Pfarrer. Zum Teil mehr als 150 Clicks zähle man pro Gottesdienst. Auch ein Konferenzsystem mit Telefonanlage und Kamera für Hybridveranstaltungen sei installiert worden. Die Kosten dafür übernahm das Projekt „digitale Mustergemeinde“.
Gemeinden können sich aus einem digitalen „Bauchladen“ bedienen
Die Kirchengemeinde in Eningen unter Achalm ist eine von drei digitalen Mustergemeinden im Süden Deutschlands, in denen die Möglichkeiten digitaler Präsenz beispielhaft weiterentwickelt werden. „Die Kirche soll nicht digitalisiert werden, aber die Möglichkeiten der Digitalisierung besser nutzen, um Menschen zu erreichen oder Verwaltungshandeln zu vereinfachen“, sagt Nico Friederich. Er ist Digitalisierungsbeauftragter der Landeskirche in Württemberg, die das Projekt zusammen mit den beiden Landeskirchen in Baden und Bayern durchführt.
Ziel der „digitalen Mustergemeinde“ ist ein Modell für Gemeinden, die ihre Digitalisierung vorantreiben wollen, so der 35-jährige Betriebswirt weiter. Er spricht von einem „Bauchladen“, in dem passende Handlungsoptionen für alle Gemeinde zu finden seien. So müsse nicht jeder bei null anfangen. „Wir wollen Erfahrungen teilen.“
Baukasten mit Anleitungen, Tipps und Dokumentationen
„Wir haben drei Gemeinden ausgesucht, die mit viel Engagement und Lust bei der Sache sind“, sagt Friederich. Außerdem habe man bei der Auswahl nach unterschiedlichen Strukturen vor Ort geschaut. Aus deren Erfahrungen entstehe eine Art Baukasten mit Anleitungen, Tipps und Dokumentationen sowie Ansprechpersonen, eben der „Bauchladen“.
Das Projekt „digitale Mustergemeinde“ begleitet und berät Gemeinden seit Ende 2021 in vier Bereichen. So gehe es zunächst um die Motivation, erklärt Friederich. „Denn alle Digitalisierung braucht ein Ziel sowie Menschen, die bereit zur Veränderung sind und sie mitgestalten.“ Bei den Streaming-Gottesdiensten seien viele mittlerweile gut aufgestellt. Auch sei die große Mehrheit der Gemeinden mit einer Homepage im Internet präsent. In anderen Bereichen hingegen sei noch viel mehr möglich, ist Friederich überzeugt.
Es sollen mehr Kräfte für die eigentlichen Aufgaben frei werden
Ein Beispiel sei das so genannte Verwaltungshandeln. „Eine Digitalisierung der Prozesse kann die Abläufe und interne Kommunikation in den Gemeinden enorm vereinfachen, so dass mehr Kräfte für Verkündigung, Seelsorge oder diakonisches Handeln frei werden“, ist der württembergische Digitalisierungsbeauftragte überzeugt. Dazu gebe es beispielsweise „ChurchTools“ und „Microsoft Teams“. Die weiteren Bereiche umfassen die Organisation und das Veranstalten, aber auch das Ankündigen und Berichten.
Jede Gemeinde, die das Handwerkszeug aus dem „Bauchladen“ künftig nutze, müsse sich zuvor über den angestrebten Grad der Digitalisierung klarwerden, sagt Friederich. „Wir geben eine Richtung vor, sich mit dem Thema auseinanderzusetzen und sich bewusst zu entscheiden.“ Friederich spricht von drei Entwicklungsstufen: small, medium und large. Nicht jede Gemeinde müsse alles umsetzen.
„Wir sind richtig getriggert und gespannt, welche digitalen Neuerungen noch kommen“
Die Gemeinde Eningen unter Achalm geht mit dieser Unterstützung längst weiter. So sei sie auch bei Instagram und Facebook mit täglich neuen Inhalten präsent und biete frei zugängliches Internet in den Gemeinderäumen, zählt Pfarrer Eißler auf. Doch das sei wohl nur der Auftakt, vermutet er. "Wir sind richtig getriggert und total gespannt, welche digitalen Neuerungen noch kommen." Die Kirche müsse auf dem Marktplatz und bei den Menschen sein, ist der Pfarrer überzeugt.
Doch auch persönlich sei er weiterhin ansprechbar. „Ich bin viel zu Fuß unterwegs und offen für Begegnungen.“
Johannes Eißler, Gemeindepfarrer in Eningen