Pro und Contra Mindestlöhne - Gerechtigkeit bei der Lohngestaltung im Niedriglohnsektor
Eine Argumentationshilfe der Kammer der EKD für soziale Ordnung, EKD-Texte 102, 2009
Aufstocker und Kombilöhne – Ergänzende Sozialleistungen im Niedriglohnsektor
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Kombilohnmodelle, bei denen staatlicherseits der vom Arbeitgeber gezahlte Lohn bis zu einer bestimmten Höhe aufaddiert wird, müssen nicht mit Mindestlöhnen konkurrieren, auch wenn sie immer wieder gegen die Einführung eines Mindestlohns eingebracht werden. Dabei wird aber übersehen, dass sich bereits jetzt dieses Modell in Form der zunehmenden Zahl der „Aufstocker“ gemäß SGB II findet. Durch großzügigere Regelungen könnte es noch ausgebaut werden. Bereits vor der Einführung des ALG II gab es die Möglichkeit der aufstockenden Sozialhilfe. Im Zuge der Hartz-Reform wurden Möglichkeiten des Hinzuverdienens ausgeweitet, um Arbeitslosen eine Brücke in den 1. Arbeitsmarkt zu bauen. Zwar würde in diesen Fällen nicht unbedingt ein „auskömmlicher“ Lohn durch den jeweiligen Arbeitgeber gezahlt, was in bestimmten Branchen und Regionen aufgrund der schwierigen wirtschaftlichen Situation auch nicht zu erwarten wäre, aber auf diese Weise käme insgesamt eine für den Betreffenden bessere Situation zustande als jetzt, und zudem würde die Schwelle für den Einstieg in den Arbeitsmarkt merklich reduziert. Damit stiege die Chance, dass Menschen überhaupt einen Arbeitsplatz mit allen für sie selbst stabilisierenden Effekten auch in strukturell schwachen Regionen bekommen können.
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Der Anstieg der Zahl der „Aufstocker“, d.h. von erwerbstätigen Hartz-IV-Beziehern konnte 2007 gestoppt werden. Im Januar 2008 waren davon insgesamt 1.287.768 Personen betroffen. Im Einzelnen haben sich die Zahlen zwischen September 2005 und Dezember 2007 wie folgt verändert:
- Arbeitslose allgemein: - 1.243.675 (Reduktion um 26,6%)
- Aufstocker mit Minijob: + 151.626 (plus 28,3%)
- Aufstocker mit 400 - 800 Euro: + 82.720 (plus 55,8%)
- Aufstocker mit mehr als 800 Euro: + 106.461 (plus 39,7%).
Diese Situation ist grundsätzlich zu begrüßen, da sie auf einen Anstieg von Arbeitsplätzen im Bereich einfacher Arbeit schließen lässt, die vor allem längerfristig Arbeitslosen zugute kommen. Ihnen steht realistisch für einen Einstieg in bezahlte Arbeit nur dieser Weg offen. Sollte aufgrund einer schlechteren Entwicklung der Wirtschaft in Zukunft die Zahl der Aufstocker wieder zurückgehen, so sollte dies nicht fälschlich als arbeitsmarktpolitischer Erfolg, sondern als eine Beeinträchtigung der Chancen der Schwächeren verstanden werden. Fragen kann man allerdings, ob nicht der hohe Anteil von teilzeitbeschäftigten Aufstockern auf Fehlanreize im System schließen lässt und zum Verbleib der Betreffenden im System des ALG II verführt.
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Der durchschnittliche Aufstockerbetrag schwankt im Einzelnen, je nach Haushaltsgröße und Wohnortsituation. So erhielten im Dezember 2007 Alleinstehende mit vollzeitnaher Beschäftigung rund 251 Euro, während bei einem Haushalt mit zwei Kindern und einem Erwerbseinkommen über 800 Euro etwa 652 Euro zugeschossen wurden. Für alle Aufstocker mussten an staatlichen Leistungen im Durchschnitt etwa 800 Euro im Dezember 2007 aufgewendet werden, d.h. insgesamt in diesem Monat etwa 198 Mio Euro, was einer Jahresleistung von ca. 2,3 Mrd Euro entspricht. Rechnet man die aufstockenden Leistungen für Teilzeitbeschäftigte hinzu, so beträgt die Summe etwa 4,4 Mrd. Euro. Auf diese Höhe addieren sich mithin die Lohnsubventionierungen durch den Staat. Allerdings lässt dies eben nicht auf zugrunde liegende Armutslöhne schließen. Die Durchschnittslöhne der Aufstocker lagen nach Tätigkeitsart 2006 (SOEP-Berechnung) in Vollzeit bei 10,40 Euro, in Teilzeit bei 8,03 Euro und in geringfügiger Beschäftigung bei 7,11 Euro.
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Kombilohnmodelle sind allerdings für Antworten auf die Frage nach der Festsetzung der Lohnhöhen im Niedriglohnbereich nicht ohne Folgen. Das sich ergebende ordnungspolitische Problem ist das einer möglichen Subventionierung von Armutslöhnen aus der Staatskasse. Es könnte sein, dass nicht nur Jobs bezuschusst werden, bei denen es objektiv keine Möglichkeit gibt, höhere Löhne zu zahlen, sondern dass Unternehmer geradezu darauf setzen, geringe Löhne zu zahlen, weil sie mit der Absicherung der betreffenden Arbeitnehmer durch den Staat rechnen können. Auf diesem Wege würde ein Lohndumping durch den Staat gefördert. Ob und in welchem Umfang dies bereits der Fall ist, kann wegen fehlender exakter Daten nur abgeschätzt werden. Das Bundesministerium für Arbeit und Soziales geht 2008 selbst davon aus, dass in diesem Fall eine Fehlentwicklung vorliegt und aus dem Bundeshaushalt 1,5 Mrd an Subventionen für berufstätige Bürger und Bürgerinnen gezahlt werden. Aller Erfahrung nach werden Anreizstrukturen, wenn sie einmal gesetzt sind, auch ausgenutzt, d.h. es wird zu niedrigeren Löhnen eingestellt, wenn bekannt ist, dass zusätzliche Einkommen aus dem SGB II-Gesetzen möglich sind. Nicht ausgeschlossen werden kann allerdings auch, dass sich Hilfeempfänger im System des SGB II-Kombilohns einrichten und mit der durch Aufstockung erzielten Einkommenshöhe zufrieden sind. Das könnte kritisch gesehen werden – allerdings hat dieses Verhalten nichts mit der Höhe der Löhne zu tun.
Für ein Kombilohnmodell bräuchte es prinzipiell keinen Mindestlohn. Um aber die erwähnten möglichen Mitnahmeeffekte durch Unternehmen zu Lasten der Staatskasse abzublocken, plädieren einige (z.B. Bofinger und Walwei, 2007) für einen Mindestlohn in der Höhe von 4,50 oder 5,00 Euro – also deutlich geringer als im Fall von 7,50 Euro.