Evangelische Schulseelsorge in der EKD

Ein Orientierungsrahmen. EKD-Text 123, Hrg. EKD, August 2015, ISBN: 978-3-87843-036-0

3 Schulischer Kontext

Evangelische Schulseelsorge versteht sich als Teil der sozialen Praxis im System Schule. Dabei agiert sie abgestimmt und vernetzt mit anderen Akteuren mit dem Ziel, zum Gelingen des Miteinanders in der Schule und zum Wohl der Schulgemeinschaft beizutragen. Eine besondere Bedeutung hat hier die konfessionelle Kooperation mit der katholischen Schulpastoral. Bei der Entwicklung von Angeboten evangelischer Schulseelsorge sind insgesamt der Bedarf und die möglichen Perspektiven für Schulseelsorge in der konkreten Schule zu klären. Dazu gehört auch die Information der Schulleitung über Inhalte und Qualifizierungsmaßnahmen.

3.1 Professionelles Umfeld

Lehrkräfte haben die Aufgabe zu unterrichten, aber auch zu erziehen und zu beraten.

Klassenlehrkräfte beobachten die Leistungsentwicklung der Schülerinnen und Schüler, halten Kontakt zu den Fachlehrkräften und Eltern und fördern das Klassenklima.

Beratungslehrkräfte sind Ansprechpartner bei schulischen Problemen, Fragen zur Schullaufbahn, sozialen Konflikten und Erziehungsschwierigkeiten.

Verbindungslehrkräfte sind für die Schüler Ansprechpartner bei Konflikten mit Lehrern oder Mitschülern. Sie unterstützen die Schülervertretung und die Schülersprecherinnen und -sprecher.

Schulpsychologen und -psychologinnen beraten individuell bei psychologischen und erzieherischen Problemen. Sie diagnostizieren psychische Störungen und führen Tests durch. In der Regel sind sie bei einem schulpsychologischen Dienst angestellt und für mehrere Schulen zuständig. Sie werden auch bei größeren bzw. akuten Krisen und Notfällen in der Schule einbezogen.

Suchtberater und -beraterinnen bieten Präventionsangebote zum Thema Suchtgefährdung an.
 
Kriseninterventionsteams werden bei akuten Krisen und Notfällen in Schulen (Todesfälle, schwere Unfälle, Amokdrohung usw.) zusammengerufen und beraten die Schulleitung.

Schulsozialarbeiterinnen und -arbeiter sind nicht im Regelunterricht tätig, sondern machen Schülerinnen und Schülern in der Schule sozialpädagogische Angebote. Schulsozialarbeit wird in der Regel im Rahmen der Kinder- und Jugendhilfe von kommunalen oder freien Trägern durchgeführt.

In diesem Kontext hat evangelische Schulseelsorge folgende besondere Merkmale:

  • Evangelische Schulseelsorge wird ausgeübt durch evangelische Religionslehrkräfte, Schulpfarrerinnen und -pfarrer sowie ggf. kirchliche Mitarbeitende aus der schulbezogenen Arbeit, die dafür qualifiziert bzw. beauftragt sind. Sie ist ein auf die Grundsätze der evangelischen Kirche bezogenes Angebot zur religiösethischen Lebensbegleitung in einem weiten, auch diakonischen Sinne für alle an der Schule Tätigen.
  • Evangelische Schulseelsorge nimmt sich Zeit für die unterschiedlichen Anliegen der Menschen im Lebensraum Schule. Sie ist von einer offenen Wahrnehmung und einer wertschätzenden Haltung geprägt.
  • Evangelische Schulseelsorge ist immer auch religiöse und liturgische Begleitung. Gottesdienste, besonders bei Tod und Trauer, Rituale und Meditation sind ein wichtiger Teil ihres Angebots.
  • Evangelische Schulseelsorge ist grundsätzlich für Schülerinnen und Schüler aller Religionen und Weltanschauungen ansprechbar; im Zweifelsfall ist unbedingt die Rückbindung an das Elternhaus sicherzustellen. Dabei ist sie gehalten, die religiöse und kulturelle Prägung und Einstellung zu achten und wertzuschätzen. Kein Schüler, keine Schülerin darf religiös überwältigt werden.
  • Evangelische Schulseelsorge engagiert sich für die Entwicklung eines religiös pluralen Netzwerks von Seelsorgerinnen und Seelsorgern, um weitere Ansprechpartner zu haben und Seelsorgefälle gegebenenfalls vermitteln zu können.

3.2 Religionsunterricht

Der evangelische Religionsunterricht dient im Rahmen seines allgemeinbildenden Auftrags als ordentliches Lehrfach der Erschließung fachlicher Gehalte und fachbezogener bzw. überfachlicher Kompetenzen. Zusammen mit den anderen Fächern religiöser und ethischer Orientierung ist er für die Klärung des Selbst- und Weltverständnisses der Schülerinnen und Schüler von entscheidender Bedeutung. Von daher gibt der Religionsunterricht systematisch Raum für die Erörterung existenzieller Fragen der Sinnfindung und Identitätsbildung. Wenn in diesem Zusammenhang sensible Themen angesprochen werden, die mit Problemen der Lebenslage von Schülerinnen und Schülern verbunden sind, können sich daraus niederschwellig Gespräche mit seelsorglicher Qualität ergeben. In diesem Horizont erfahrungsnaher Identitätshilfe kommt dem Religionsunterricht mitunter auch eine seelsorgliche Begleitfunktion zu. Dennoch ist Schulseelsorge kein integrativer Bestandteil des Religionsunterrichts. Weist man ihm etwa einzel- oder gruppentherapeutische Funktionen zu, sind die Grenzen eines ordentlichen Lehrfachs überschritten. Ebenso ist Schulseelsorge kein verlängerter Religionsunterricht, auch wenn sie den Unterricht entlasten kann, weil sie individuelle Begleitung außerhalb des Unterrichts leistet. Die lebensbegleitende Rolle von Schulseelsorgerinnen und Schulseelsorgern und die fachliche Rolle der Religionslehrkräfte sind professionell zu unterscheiden. Insgesamt stehen Religionsunterricht und Schulseelsorge allerdings in demselben verfassungsrechtlichen Rahmen von positiver Religionsfreiheit in der Schule.[1]

3.3 Schulbezogene Kinder- und Jugendarbeit

Schule und evangelische Kinder- und Jugendarbeit sind von ihrer Entstehung und ihren Handlungsansätzen her unterschiedlich. Schule ist nach geltendem Recht verpflichtend und wird entsprechend ausgestattet, staatlich gesteuert und unterstützt. Jugendarbeit entstand zunächst unter kurativen, Defizite ausgleichenden Gesichtspunkten und ist inzwischen anerkannter Teil non-formaler Bildung. Wichtige Grundsätze sind dabei Freiwilligkeit, Selbstorganisation und Partizipation. Beide Systeme haben lange nebeneinander existiert, und es hat relativ wenig Berührungspunkte gegeben. In jüngerer Zeit werden allerdings die formale Bildung (Schule, Ausbildung) und non-formale Bildung (z. B. Kinder- und Jugendarbeit) stärker in einem Gesamtzusammenhang gesehen, konzipiert und gestaltet. Daher gibt es mittlerweile vielfältige Kooperationsangebote von Schule und Jugendarbeit, die sich unter Begriffen wie »außerschulische Jugendbildung« oder »schulbezogene Jugendbildungsarbeit« subsumieren lassen. Insbesondere im Nachmittagsbereich der Ganztagsschule und im Freizeitbereich werden gemeinsame Angebote von Schulseelsorge und schulbezogener Jugendarbeit entwickelt. Schulseelsorge bildet hier oft eine Brücke zwischen Kirche und Schule.
 
Fußnote:

  1. Vgl. Religiöse Orientierung gewinnen. Evangelischer Religionsunterricht als Beitrag zu einer pluralitätsfähigen Schule. Eine Denkschrift des Rates der EKD Gütersloh 2014, S. 120: »Auf der Ebene der Schulentwicklung sind die Landesgesetzgeber und die Schuladministrationen zur Gewährleistung der Glaubens- und Religionsfreiheit nach Artikel 4 GG verpflichtet und haben daher auch in den Schulen die Möglichkeit der Religionsausübung zu sichern.«
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