Ernährungssicherung und Nachhaltige Entwicklung

V. Politische Rahmenbedingungen und Instrumente

9. Die internationale Arena für Landwirtschaft und nachhaltige Entwicklung

Mit dem Abschluss der Uruguay-Runde des General Agreement on Tariffs and Trade (GATT), mit dem auch zum 1.1.1995 die Gründung der WTO erfolgte, gibt es jetzt ein erstes internationales und völkerrechtlich verbindliches Abkommen über Landwirtschaft. Es steht ganz im Zeichen der Zielsetzung der WTO, nämlich die Weltmarktintegration zu fördern und damit zum wirtschaftlichen Wachstum in der Weltwirtschaft beizutragen. Die Förderung des internationalen Agrarhandels soll zunächst durch die Überführung aller Marktzugangsbeschränkungen in feste Zölle und anschließend durch deren schrittweisen Abbau, durch den stufenweisen Abbau der Exportsubventionen, durch die Reduzierung der landwirtschaftlichen Unterstützungsniveaus und durch die fortschreitende internationale Harmonisierung des Lebensmittelrechts erfolgen. Das Schiedsgerichtsverfahren der WTO und die drohenden Sanktionsmechanismen bei Vertragsverletzung geben dem Abkommen die Zähne.

Der Agrarvertrag schreibt in Artikel 20 die Weiterverhandlung ein Jahr vor dem Auslaufen nach fünfjähriger Vertragsdauer vor, das heißt ab 1999. Das Mandat für die Weiterverhandlung umfasst sowohl die stufenweise Fortführung der in Marrakesh beschlossenen Liberalisierungsmaßnahmen als auch eine Berücksichtigung der Erfahrungen mit der Umsetzung des Vertrages von 1995 und mit den sogenannten „nicht-handelsbezogenen Anliegen". Fragen der Nachhaltigkeit werden in der Logik von GATT und WTO unter dem Mandat der „nicht-handelsbezogenen Anliegen" entschieden werden, ansonsten muss Art. XX des GATT zur Interpretation herangezogen werden. Die WTO lässt in dem GATT-Artikel XX/c eine Schutzklausel vor internationalem Handel zu, wenn die Gesundheit von Mensch, Tier und Pflanze gefährdet ist. Der Umweltschutz ist damit zumindest indirekt einbezogen.

Nachhaltigkeit ist zwar kein ausdrücklicher Vertragsgegenstand der WTO. Lediglich in der Präambel der WTO-Verträge wird das Prinzip der Nachhaltigkeit erwähnt. Dies korrespondiert mit der häufig anzutreffenden impliziten Annahme, dass sich Wirtschaftswachstum und Nachhaltigkeit fast immer ergänzen. Wie im Fall von Zielkonflikten zwischen Handelsliberalisierung und Nachhaltigkeit eine Güterabwägung erfolgen könnte, ist jedoch zunächst nicht explizit geregelt. Angesichts der Tatsache, dass in dem Schiedsverfahren bei der Streitbeilegung keine entsprechenden Mechanismen der Güterabwägung vorgesehen sind und dass die Verträge selbst keine wirklichen Nachhaltigkeitseinschränkungen vornehmen, steht zu befürchten, dass sich bei der WTO das Ziel der Handelsfreiheit nur allzu leicht auf Kosten von anderen Zielen durchsetzen wird.

Die „nicht-handelsbezogenen Anliegen" im Landwirtschaftsbereich kommen im Agrarabkommen der WTO durch die Ausnahmeregelung bei den Abbauverpflichtungen von inländischen Unterstützungsmaßnahmen zum Ausdruck. Dort wird unterschieden zwischen Subventionen, die stark handelsverzerrend und deshalb einzustellen oder umzuändern sind, solchen, die abbaupflichtig sind, und solchen, die wenig handelsverzerrend und deshalb in den internationalen Agrarbeziehungen zu dulden sind. Nachhaltigkeitsziele wie zum Beispiel Umwelt- und Ressourcenschutz, Ernährungssicherung, ausgewogene Regionalentwicklung und ländliche Entwicklungsförderung fallen als Ausnahmetatbestand unter die letzte Kategorie – die sogenannte Grüne Box –, allerdings nur, sofern sie bestimmten Kriterien genügen.

Außerdem wird die Entwicklungsländerfrage im Agrarvertrag der WTO noch gesondert berücksichtigt. Sie wird unter den besonderen Regelungen für die am wenigsten entwickelten Länder angesprochen, den sogenannten Vorzugs- und Sonderbehandlungen. Was ihre Umsetzung im Agrarvertrag anbelangt, so muss kritisiert werden, dass sie nicht weit genug gehen, um den Entwicklungspfad des standortgerechten Landbaus nachhaltig zu fördern. Die Vorzugsregeln beschränken sich im wesentlichen auf längere Übergangsfristen und geringere Abbauziele für Subventionen. Die WTO müsste jedoch in den internationalen Agrarbeziehungen den völlig anderen Charakter der Landwirtschaft in den Entwicklungsländern, ihre besondere gesellschaftliche Rolle dort und die spezielle Stellung der Landwirtschaft in diesen Ländern berücksichtigen, was dann auch zu völlig anderen Regeln führen würde. So wären dauerhafte Subventionen für kleinbäuerliche Produzenten zulässig, die ökologisch angepasste Produktionssysteme anwenden, um dadurch ihre im Vergleich zum konventionellen Anbau höheren Kosten zu kompensieren. Eine in diesem Zusammenhang oftmals in die Diskussion gebrachte Ausnahmeregelung wäre die sogenannte „Food Security Box", die – ähnlich wie die „Green Box" mit Blick auf ökologische Maßnahmen im Agrarabkommen – Ausnahmeregelungen für bestimmte Subventionen und Unterstützungsmaßnahmen für Entwicklungsländer erlaubte. Dies könnte umgesetzt werden in Art. XX des GATT, wenn dort verankert würde, dass Ausnahmeregelungen sich neben dem „Schutz des Lebens und der Gesundheit" auch auf das Ziel der Ernährungssicherung gründen können.

Bei den Agrarverhandlungen der letzten Zeit hat sich gezeigt, dass die Mitgliedsregierungen der WTO in drei Lager gespalten sind, die grob wie folgt charakterisiert werden können:

  • Die Cairns-Gruppe ist ein Zusammenschluss von 17 agrarexportierenden Staaten, die unter der Führung der USA, Australiens und Kanadas auf weitere Liberalisierung im Agrarbereich drängen.
  • Die sogenannte Multifunktionale Landwirtschaftsgruppe besteht vor allem aus der EU, Schweiz, Norwegen, Südkorea und aus Japan. Diese Länder sehen die Landwirtschaft als einen besonderen Wirtschaftssektor, der neben der Produktion von Nahrungsmitteln auch andere ökonomische, ökologische, soziale und kulturelle Funktionen erfüllt, und fordern daher besondere Regeln, die von einer undifferenzierten Liberalisierung abweichen.
  • Schließlich gibt es die Gruppe der Entwicklungsländer, die netto Nahrungsmittel importieren, für die Ernährungssicherung eine Überlebensfrage ist und die dafür Sonderregeln verlangen.
Ein Verhandlungsbündnis zwischen der Multifunktionalen Landwirtschaftsgruppe und der letztgenannten Gruppe liegt nahe; käme es zustande, könnte es sich machtpolitisch als Gegengewicht zur Cairns-Gruppe behaupten.

Dem Konflikt zwischen Ökonomie und Ökologie in der Landwirtschaft ist auf internationaler Ebene nur durch funktionierende multilaterale Umweltabkommen (Multilateral Environmental Agreements; MEAs) zu begegnen, durch die im internationalen Konsens dem Freihandel Grenzen gesetzt werden könnten. Solchen landwirtschaftlichen MEAs würde sich die WTO wahrscheinlich beugen. Aber noch gibt es keine internationalen Umweltstandards der Landwirtschaft. Alle Versuche, solche Verhandlungen zum Beispiel bei der FAO aufzunehmen, sind bisher gescheitert. Der Dissens zwischen den Regierungen über das, was man unter „ordnungsgemäßer Landwirtschaft" zu verstehen hat, ist so groß, dass eine Setzung von Umweltstandards etwa beim Bodenschutz, dem Tierschutz, dem Klimaschutz, dem Artenschutz oder dem Wasserschutz derzeit fast utopisch anmutet. Die Agenda 21 oder die Biodiversitätskonvention von Rio helfen kaum weiter. Allenfalls über Teilaspekte, wie etwa beim Handel mit Pflanzenschutzmitteln oder dem Austausch pflanzengenetischer Ressourcen, gibt es bisher internationale Abkommen.

Es bleibt damit nur der Weg zur Stärkung und Qualifizierung von Ausnahmetatbeständen innerhalb des WTO-Agrarvertrags, um nationale Alleingänge zu ermöglichen. Das hat den Nachteil, dass sie die Wettbewerbsfähigkeit von Ländern schmälern, die diese Ausnahmen nutzen und wirksam eine umweltgerechte Landwirtschaft durchsetzen. Außerdem sind diesen Grüne-Box-Maßnahmen präzise Grenzen gesetzt, die sich als zu eng erweisen können, wenn der bisherige Konsens in Europa, die Landwirtschaft aus Steuermitteln massiv zu stützen, ins Wanken gerät. Denn erlaubt sind nur Stützungsmaßnahmen durch öffentlich finanzierte Regierungsprogramme, aber keine Eingriffe in den Markt, die dazu führen würden, dass der inländische Konsument direkt höhere Preise zugunsten der Umwelt zahlen müsste. Auch der Höhe von Zahlungen im Rahmen von Umweltprogrammen sind vom WTO-Agrarvertrag klare Grenzen gezogen: Von der Abbauverpflichtung sind nur solche Zahlungen ausgenommen, die einen Einkommensverlust für den Umweltschutz kompensieren. Selbst staatliche Anreize für umweltfreundliche Verfahren sind nicht WTO-konform. Der WTO-Agrarvertrag schränkt zwar einerseits positive Maßnahmen zur Förderung des standortgerechten Landbaus stark ein, andererseits kann er aber durch den Abbau der direkten und indirekten Subventionen dazu führen, dass die spezialisierte Hochertragslandwirtschaft in der konventionellen Form aufgrund stark gestiegener Risiken weniger rentabel sein wird. Dann werden die Betriebe zunehmend wieder zu Risikostreuung und Kostenminderung durch diversifizierten und weniger inputintensiven Landbau zurückkehren müssen.

Mehr und mehr einengend wirkt sich der Vertrag zu den „Sanitären und Phytosanitären Maßnahmen" aus, der internationalen Fachorganisationen – wie zum Beispiel der Codex Alimentarius Kommission, die internationale Standards für die Nahrungsmittelsicherheit aufstellt – im Prinzip das Recht der verbindlichen Festlegung von maximalen Schutzniveaus im lebensmittelrechtlichen Bereich zubilligt. Der Konflikt zwischen USA und EU über die Legitimität des Verbots von Wachstumshormonen in der Tiermast ist ein deutliches Beispiel für die Problematik dieses Vertrags, der auf Kosten des Vorsorgeprinzips gehen kann, denn die WTO hat der EU die Verpflichtung auferlegt, entweder den USA riesige Ausgleichssummen wegen „entgangenen Handels" zu zahlen oder aber ihr Hormonverbot aufzuheben, sofern sie einen wissenschaftlichen Nachweis der Schädlichkeit wiederum nach Kriterien der WTO in einer bestimmten Frist nicht liefern kann. Weitere Konflikte sind virulent und ihr offener Austrag ist hier vorprogrammiert. Dies gilt vor allem für die Kennzeichnung gentechnisch veränderter Nahrungsmittel. Die USA haben die Novel-Food-Verordnung der EU als Handelshemmnis gebrandmarkt – mit der erklärten Intention, sie dadurch zu Fall zu bringen. Die USA stehen damit allerdings völlig isoliert da.

Generell widersprechen wesentliche Prinzipien der Nachhaltigkeit entscheidenden Prinzipien der WTO:
  • Bei der Welt-Konferenz für Umwelt und Entwicklung (UNCED) in Rio de Janeiro im Jahre 1992 wurde zum Beispiel das Vorsorgeprinzip gefordert; der WTO-Agrarvertrag besteht hingegen auf einem „wissenschaftlichen Nachweis über die Gefährlichkeit".
  • UNCED forderte Anreizsysteme für Umweltfreundlichkeit, die WTO verlangt die Beschränkung auf Kostenkompensation.
  • Rio favorisierte die Internalisierung externer Kosten, die WTO präferiert die Abkoppelung aller Unterstützungsmaßnahmen von den Preisen und Märkten.
  • Rio wollte die Umsetzung des Verursacherprinzips, die WTO verlangt die Gleichbehandlung ähnlicher Produkte.
  • In der Agenda 21 werden riesige Investitionen in die landwirtschaftliche Nachhaltigkeit gefordert, die WTO verlangt den Abbau von Unterstützungsniveaus.
  • Rio postuliert die Vorrangigkeit des Schutzes der Artenvielfalt vor dem Patentschutz und die Teilung des Nutzens aus den Patenten zwischen der Bevölkerung und den Unternehmen; die WTO will die Durchsetzung geistiger Eigentumsrechte an biotechnischen Erfindungen ohne derartige Einschränkungen.
Eine internationale Instanz, die solche Widersprüche zwischen konfligierenden internationalen Abkommen oder Organisationen schlichten könnte, gibt es bislang nicht. Ob es möglich sein kann, eine internationale Institution mit der formalen Befugnis zur Letztentscheidung aufzubauen oder ob eine Lösung innerhalb des Panel-Systems der WTO gefunden werden muss, ist derzeit noch nicht abzusehen.

Nach dem ergebnislosen Abbruch der WTO-Konferenz in Seattle im Dezember 1999 richtet sich die Aufmerksamkeit nun wieder mehr auf andere Verhandlungsrunden, die in diesem Jahr stattfinden werden und die auch für die Landwirtschaft von Bedeutung sind.
  • Der Erfolg bei der Verhandlung über das Biosafety-Protokoll in Montreal im Januar 2000 hat gezeigt, dass Entwicklungsländer eigene Verhandlungspositionen aufbauen können; es ist nun erforderlich, das Protokoll so rasch wie möglich zu ratifizieren.
  • Die 10. Verhandlungsrunde der United Nations Conference on Trade and Development (UNCTAD-X-Konferenz) könnte weiter dazu beitragen, die Kohärenz zwischen Handelspolitik und umwelt- und entwicklungspolitischen Zielen zu stärken. Dazu müsste UNCTAD über die bisherigen Aufgaben von Forschung und Analyse, technischer Unterstützung und politischer Beratung der Entwicklungsländer hinaus damit betraut werden, die Auswirkungen des internationalen Handels auf die genannten Zielsetzungen sowie auf nicht-ökonomische Interessen wie die Einhaltung der Menschenrechte nicht nur zu analysieren, sondern auch Richtlinien zu entwickeln, die dazu beitragen, dass internationaler Handel diese Ziele fördert.
  • Das achte Treffen der Commission on Sustainable Development (CSD 8) hat sich ebenfalls mit Fragen der Landwirtschaft beschäftigt. Auch hier ist zu fordern, dass sich die CSD weiter um die Umsetzung der Programmatik der Agenda 21 im Landwirtschaftsbereich bemüht, indem sie sich für die Berücksichtigung der Ziele der Agenda in den einschlägigen internationalen Rahmenverträgen einsetzt.
10. Konfliktregelungsmechanismen der WTO

Das wichtigste Ziel der Gründung der WTO war es, die Verrechtlichung der internationalen Handelspolitik voranzutreiben, um dem Modell effizienter Märkte näher zu kommen und faire Wettbewerbsbedingungen herzustellen. Zum Recht gehört auch die Rechtsprechung im Falle von Streitigkeiten. Andere multilaterale Abkommen haben ein solches Instrument für ihre Belange nicht zur Verfügung. Der WTO-Vertrag von 1994, mit dem ein neues Verfahren zur Schlichtung von Handelskonflikten zwischen den WTO-Mitgliedstaaten eingeführt wurde, setzt hier neue Maßstäbe.

Das Verfahren weist im Unterschied zu früher einige Verbesserungen auf. Dadurch wird die Position der kleinen Länder gestärkt, die nur von starken multilateralen Gremien und Regelungen Neutralität und damit Schutz vor den größeren und mächtigeren Volkswirtschaften erwarten können.

Diese Verbesserungen schränken den Handlungsspielraum der großen Handelsmächte ein: Die Einberufung von Panels kann nicht mehr durch einzelne Staaten blockiert werden, weil die Verfahrensschritte quasi automatisch ablaufen, sobald die Handelsrelevanz einer beklagten Maßnahme nachgewiesen worden ist. Ebenso können Entscheidungen nicht mehr blockiert, sondern nur noch angefochten werden; das Ergebnis der Berufungsinstanz ist rechtskräftig. Das Streitschlichtungsorgan (Dispute Settlement Body; DSB) ist nicht mehr zu Konsensentscheidungen verpflichtet, wodurch Entscheidungen über Konflikte überhaupt erst möglich geworden sind. Die Festlegung von Fristen für jede Phase des Verfahrens verhindert, dass Entscheidungen verzögert werden.

Wichtig ist außerdem, dass die schlichte Missachtung von Entscheidungen der Berufungsinstanz durch Handlessanktionen geahndet werden kann. So werden sich auch große Handelsnationen nicht mehr ohne weiteres über handelspolitische Entscheidungen im Rahmen der WTO hinwegsetzen können, da sie wissen, dass die Legitimität von weiteren Handelsliberalisierungen sehr eng mit der stetigen Verbesserung der Rechtssicherheit verbunden ist.

Die große Zahl von Streitschlichtungsverfahren, die seit 1994 eingeleitet und abgeschlossen worden sind, zeigt sowohl die hohe Akzeptanz, der sich das Verfahren erfreut, als auch seine Leistungsfähigkeit sowie das Interesse einerseits der USA, der EU und Japans und andererseits der kleinen Entwicklungsländer, anhand dieser Verfahren die neue Reichweite der nationalen Souveränität im Rahmen der WTO auszuloten.

Bisherige Entscheidungen des WTO-Panels zu umweltpolitisch begründeten Handelsmaßnahmen

Jenseits dieser rechtlichen Verbesserungen ist allerdings im Interesse der Sicherung einer nachhaltigen, das heißt ökonomisch effizienten, ökologisch dauerhaften und sozial gerechten Entwicklung zu fragen, inwiefern die Streitschlichtung auch zur Klärung substantieller Konflikte beitragen kann. Viele Streitfälle bezogen sich auf die USA, die ihren Handelspartnern im Interesse des Umweltschutzes einseitig handelsrelevante Auflagen gemacht hatten. Dazu zählen das Reinheitsgebot für Benzin ebenso wie das Importverbot für Shrimps, die nicht mit Netzen gefangen wurden, die für Meeresschildkröten ungefährlich sind. In beiden Fällen hat die Berufungsinstanz der WTO den Klägern recht gegeben, die sich gegen diese Beeinträchtigungen des freien Handels durch die USA gewehrt hatten. Eine genauere Analyse ihrer Argumentation zeigt auf, dass dafür letztlich nicht die umweltpolitische Begründung ausschlaggebend war, sondern die Verletzung des Prinzips der Gleichbehandlung aller Handelspartner. In beiden Fällen hatte das Panel entschieden, dass die beklagten Maßnahmen nicht durch den Ausnahmeartikel XX des GATT, der Handelsmaßnahmen im Falle des Schutzes bedrohter Arten und des Umweltschutzes zulässt, abgedeckt werden. Die Berufungsinstanz nahm diese Entscheidung in beiden Fällen ausdrücklich zurück, unter anderem mit Bezug auf die Präambel der WTO, die gebietet, die Interessen des Umweltschutzes und der nachhaltigen Entwicklung bei allen Handelsmaßnahmen und Entscheidungen zu berücksichtigen. Im Falle der Meeresschildkröten definierte die Berufungsinstanz letztere sogar aufgrund der abnehmenden Bestände als schützenswerte, erschöpfbare Ressource.

In beiden Fällen hatten die USA die Regeln der Gleichbehandlung oder Nichtdiskriminierung grob missachtet. Das Reinheitsgebot für Benzin galt nur für Importeure, nicht jedoch für die einheimischen Raffinerien, da die hohen Anpassungskosten deren Wettbewerbsfähigkeit beeinträchtigt hätten. Für die Erfüllung der Auflagen für den Shrimpsfang war den asiatischen Ländern eine sehr kurze Frist gesetzt worden, während den lateinamerikanischen Ländern Unterstützung bei der Umstellung angeboten worden war.


Eine Analyse der bisherigen Entscheidungen des WTO-Panels zeigt, dass Streitschlichtungsverfahren bisher genutzt wurden, um „umweltpolitisch maskierte" Diskriminierungen zu unterbinden, nicht jedoch, um Maßnahmen des Umweltschutzes mit handelspolitischen Argumenten abzuwehren. Staaten, denen zumindest unterstellt werden kann, dass sie umweltpolitisch motivierte Handelsmaßnahmen mit Marktzugangsbarrieren für einen Teil der Handelspartner verknüpfen, erweisen dem Umweltschutz damit einen Bärendienst.

Das größte Defizit des Streitschlichtungsverfahrens liegt in der Qualifikation des Panels. Dessen Mitglieder müssen ausgewiesene Handelsjuristen oder -politiker sein. Probleme im Schnittfeld zwischen Handel und Umwelt könnten besser bewältigt werden, wenn auch Umweltjuristen stärker in die Verhandlungen einbezogen werden. Das Machtgefälle zwischen großen und kleinen Handelsnationen kann jedoch auch durch ein auf derartige Weise verbessertes Verfahren nicht vollständig ausgeglichen werden.
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