Zum Weißbuch der Europäischen Kommission „Europäisches Regieren“

Stellungnahme des Bevollmächtigten des Rates der Evangelischen Kirche in Deutschland bei der Bundesrepublik Deutschland und der Europäischen Union, März 2002

Zum Weißbuch der Europäischen Kommission „Europäisches Regieren“

Stellungnahme des Bevollmächtigten des Rates der Evangelischen Kirche in Deutschland bei der Bundesrepublik Deutschland und der Europäischen Union, März 2002

1. Teil. Bewertung der Vorschläge der Kommission zu einem besseren europäischen Regieren

Die Evangelische Kirche in Deutschland („EKD“) begrüßt das Weißbuch der Kommission über das „Europäische Regieren“ als Bestandteil einer Strategie, mit der die Kommission das Vertrauen der Bürger in die Europäische Union und ihre Institutionen zu stärken sucht.


1. Zielsetzung des Weißbuches

Die EKD unterstützt die Bemühungen der Kommission, vorhandene Defizite im institutionellen Bereich aufzudecken und zunächst im Rahmen der derzeit geltenden vertraglichen Strukturen nach Lösungsansätzen zu suchen. Eine Fortsetzung und Weiterentwicklung des Europäischen Einigungsprozesses kann nur dann Erfolg haben, wenn die EU Bürgernähe entwickelt. Die Identifikation der Bürger mit der Europäischen Union und der Wille zu einer gesamteuropäischen Integration ist auch eine notwendige Voraussetzung dafür, dass der Prozess der Erweiterung erfolgreich abgeschlossen werden kann.

Das Anliegen des Weißbuchs ist durch die „Erklärung von Laeken“ und die Einberufung eines Konvents zur Reform der Verträge nicht überflüssig geworden, sondern hat einen neuen Kontext erfahren. Auch wenn sich die Initiativen des Weißbuchs auf Reformmöglichkeiten innerhalb der bestehenden Vertragsregelungen konzentrieren, kann die Debatte um das „Europäische Regieren“ doch zugleich wertvolle Impulse für die Arbeit des Konvents liefern.


2. Partizipation

Um die Kluft zwischen der Union und den Bürgern zu überbrücken, schlägt das Weißbuch als eine von vier Maßnahmen vor, „die politische Entscheidungsfindung zu öffnen, und mehr Menschen und Organisationen in die Gestaltung und Durchführung der EU-Politik einzubinden“ (Kapitel 3.1.).

a. Vermittlungsfunktion zwischen Bürger und EU Institutionen

Das Weißbuch räumt ein, dass die notwendige Vermittlung zwischen den Bürgern und der Union nicht nur durch Repräsentation im europäischen Parlament, sondern durch horizontale und vertikale Partizipation verstärkt werden muss. Zu Recht geht die Kommission davon aus, dass der Ausschuss der Regionen und der Wirtschafts- und Sozialausschuss in ihrer gegenwärtigen Struktur nicht ausreichen, um eine Partizipation aller relevanten gesellschaftlicher Gruppen sicherzustellen. Regionale und lokale Körperschaften sowie die Zivilgesellschaft sollten stärker beteiligt werden.

Die EKD unterstützt den Ansatz der Kommission, in Zukunft stärker partizipatorische Elemente in die europäischen Entscheidungsprozesse einzubeziehen. Zutreffend misst das Weißbuch der Zivilgesellschaft deshalb eine wichtige Rolle zu, weil „sie den Belangen der Bürger eine Stimme verleiht und Dienste erbringt, die den Bedürfnissen der Bevölkerung entgegenkommen. Kirchen und Religionsgemeinschaften spielen dabei eine besondere Rolle“.

In jedem politischen Gemeinwesen vermitteln die wichtigen Akteure der Gesellschaft, u.a. die Kirchen und Religionsgemeinschaften, zwischen den Individuen und dem Staat. Sie bündeln die Interessen und organisieren ihre Vermittlung. Die Rolle einzelner Organisationen kann sich im Lauf der Geschichte verändern, neue treten hinzu. Z.B. Bürgerinitiativen und Nichtregierungsorganisationen sind wichtige Vermittler der jüngeren Geschichte, Kirchen haben eine längere Vermittlungstradition.

Ein supranationales Gebilde wie die EU hat es mit zwei Ebenen von Vermittlung zu tun. Zum einen mit der Vielfalt von unterschiedlichen Vermittlungsorganisationen zwischen Bürgern und Regierungen auf der nationalen Ebene in den Mitgliedstaaten, zum anderen mit Vermittlungsorganisationen zwischen den Bürgern und den suprastaatlichen  Institutionen.

Die EU-Institutionen werden es allein nicht schaffen, ihre Politiken dem Bürger näher zu bringen. Dazu reicht auch eine exzellente Informationspolitik nicht aus. Die Bürger wollen den Dialog. Die EU- Institutionen brauchen die Vermittlung der gesellschaftlichen Gruppen und sollten sich um diese bemühen. Gesellschaftlicher Konsens wird geschaffen von dem Diskurs von Verbänden und der ihre Mitglieder repräsentierenden Persönlichkeiten. Menschen finden Identität in der freiwilligen Mitgliedschaft in organisierten Teilen der Gesellschaft wie Kirchen und Verbänden, und identifizieren sich mit dem, was diese für ihre Mitglieder sagen. Daher fungieren große gesellschaftliche Gruppen als Brücken zwischen Bürger und politischen Institutionen.

Die Kommission weist in ihrem Weißbuch richtigerweise darauf hin, dass Partizipation bedeutet, dass in den Mitgliedstaaten die sog. Zivilgesellschaft zu beteiligen ist (S. 13). Sie erkennt aber auch, dass die europäischer Ebene selbst die Zivilgesellschaft, also große gesellschaftliche Akteure wie die Kirchen, bei ihren Politiken beteiligen und damit selbst einen europäischen öffentlichen Raum herstellen muss. Sinnvollerweise geht eine Beteiligung der Zivilgesellschaft auf nationaler Ebenen der Partizipation auf europäischer Ebene voraus.

b. Verantwortlichkeit und Offenheit

Die EKD unterstützt die Forderung der Kommission an die Adresse der Zivilgesellschaft, selbst die Grundsätze von Verantwortlichkeit und Offenheit zu beachten. Sie begrüßt die Erstellung einer Online-Datenbank und geht davon aus, dass auch in Brüssel aktive Vertretungen von nationalen Organisationen mit europäischem Engagement – wie das Büro der EKD in Brüssel – Zugang zu Informationen und Institutionen haben werden.

c. Wirtschafts- und Sozialausschuss

Das Weißbuch sieht eine besondere Rolle für den Wirtschafts- und Sozialausschusses im Umgang mit der Zivilgesellschaft (S.20): „... der Wirtschafts- und Sozialausschuss muss zur Entwicklung neuer Beziehungen gegenseitiger Verantwortlichkeit zwischen den Institutionen der Zivilgesellschaft ... beitragen. Dazu muss neu über seine Organisation und Rolle nachgedacht werden.“

Soweit die Zivilgesellschaft – trotz ihrer Komplexität - lediglich auf die Dritte Gruppe verwiesen bleibt, kann die gegenwärtige Struktur des WSA kein umfassendes und damit ausreichendes Forum für die Zivilgesellschaft darstellen. Es ist zur Zeit schwer vorstellbar, wie der WSA den unterschiedlichen gesellschaftlichen Akteure in ihrer ganzen Vielfalt und Verschiedenheit gerecht werden und diese sichtbar machen kann. Die Vorstellung der Kommission zu einer breiten Einbeziehung der Zivilgesellschaft wird von der EKD sehr begrüßt. Die frühe Einbeziehung von wichtigen Akteuren der Gesellschaft bei den vorbereitenden Arbeiten ist unabdingbar. Nur so kann die ganze Brandbreite der Zivilgesellschaft sichtbar gemacht werden. Der WSA in seiner jetzigen Struktur hingegen fasst die verschiedensten Ansichten lediglich in einer Stellungnahme zusammen.

Begrüßt wird die Vorstellung des Weißbuches, dem WSA eine „proaktivere Rolle“ zuzuweisen, „beispielsweise durch die Erstellung von explorativen Berichten“. Bei derartigen Berichten hätte der WSA die ganze Brandbreite von Positionen der Zivilgesellschaft, einschließlich der Kirchen und Religionsgemeinschaften aufzuzeigen.

d. Konsultationen

Als eine Möglichkeit der verstärkten Partizipation schlägt die Kommission im Weißbuch vor, den Dialog mit den gesellschaftlichen Akteuren durch Grün- und Weißbücher, Mitteilungen, beratende Ausschüsse, Testgruppen der Wirtschaft sowie Konsultationen auszubauen (S. 22).

Die EKD begrüßt die Initiative der Kommission, zum jetzigen Zeitpunkt (d.h. vor Vertragsänderungen) den informellen Dialog zu verstärken und so die europäischen Institutionen für gesellschaftliche Stimmungen und Bedürfnisse zu sensibilisieren. Sie verweist in diesem Zusammenhang auf die Praxis in der Bundessrepublik Deutschland, wo in Bund und Ländern die Kirchen und andere bedeutende gesellschaftliche Gruppierungen bei Gesetzgebungsverfahren angehört werden müssen, soweit ihre Interessen betroffen sind. Entsprechend könnten auf EU–Ebene Anhörungen von gesellschaftlichen Gruppierungen zum Bestandteil der gemeinschaftlichen Gesetzgebungsprozesse gemacht werden. In den Ländern werden die Kirchen aufgrund von entsprechenden Klauseln in den Staatsverträgen angehört, soweit kirchliche Belange betroffen sind, auf Bundesebene gewohnheitsrechtlich.
 
Bei der großen Zahl der Interessenvertretungen erscheint die praktische Umsetzung des informellen Dialogs jedoch nicht unproblematisch (vgl. S. 22, Weißbuch). Die Kommission schlägt in diesem Zusammenhang „Verhaltenskodices“ vor, in denen „Mindeststandards“ dafür festgelegt werden, zu welchen Fragen, wann, wer und wie konsultiert werden sollte.

Eine aus Sicht der EKD praktikable Lösung könnte dadurch erreicht werden, dass die Kommission interessierte Verbände auffordert, sich registrieren zu lassen und dabei das besonderes Anliegen in bezug auf die Gesetzgebungsvorlage nachzuweisen, um sich auf diesem Wege für die Anhörung zu qualifizieren. Die Teilnehmer für die Anhörung würden aus der Reihe der registrierten Verbände ausgewählt. Die Registrierung würde nicht generell für einen bestimmten Zeitraum, sondern auf einen konkreten Gesetzgebungsvorschlag bezogen erfolgen. Aus Praktikabilitäts- und Effektivitätsgründen sollte der Registrierungsprozess möglichst frühzeitig eingeleitet werden.

e. Fortsetzung des „strukturierten Dialogs“

Durch den bestehenden „strukturierten Dialog“ mit der Kommission besteht für die Kirchen derzeit bereits eine Möglichkeit zu regelmäßigen halbjährlichen Konsultationen mit dem politischen Beraterstab des  Kommissionspräsidenten. Die EKD schätzt den Dialog als eine Möglichkeit, Informationen auszutauschen, kirchliche und gesellschaftliche Anliegen in die Entscheidungsprozesse auf europäischer Ebene einzubringen und die Kommissionsmitglieder gegenüber kirchlichen Anliegen zu öffnen und für gesellschaftliche Strömungen zu sensibilisieren.

Die EKD schlägt vor, den Dialogveranstaltungen künftig eine feste Struktur zu geben, um so einen regelmäßigen und gleichberechtigten Meinungsaustausch der Kirchen und Religionsgemeinschaften mit Vertretern der Kommission zu ermöglichen.

Denkbar wäre, Gesprächsforen zwischen Kommissionsmitgliedern und Vertretern der Kirchen und Religionsgemeinschaften auf unterschiedlichen Ebenen zu etablieren: Zur Vorbereitung der regelmäßig stattfindenden Dialogseminare kőnnte eine gemeinsame Konsultativgruppe institutionalisiert werden. Daneben kőnnten themenspezifische Arbeitsgruppen für eine kontinuierliche Bearbeitung aktueller Themen sorgen. In regelmäßigen Abständen sollte darüber hinaus ein Meinungsaustausch zwischen dem Präsidenten der Europäischen Kommission und hohen Repräsentanten der Kirchen stattfinden. Durch einen solchen Erfahrungsaustausch über bedeutende europapolitische und kirchliche Themen auf höchster Ebene würde den Kirchen eine zusätzliche Möglichkeit gegeben, ihre gesellschaftliche und politische Verantwortung wahrzunehmen. Zugleich würde die ethische Dimension der europäischen Politik gestärkt und der Dialog mit den Religionsgemeinschaften stimuliert.
 
Die EKD betont aber, dass die Veranstaltungen lediglich eine zusätzliche Möglichkeit zur Partizipation darstellen. Die Gespräche mit dem politischen Beraterstab beim Präsidenten der Kommission sind hingegen nicht in der Lage, eine Partizipation an politischen Entscheidungsprozessen zu ersetzen. Insbesondere können die Dialogseminare nicht den Wunsch der EKD nach verstärkten Konsultations- und Dialogmechanismen bei Gesetzgebungsprojekten erübrigen.

f. Partnerschaften

Die EKD begrüßt den Vorschlag der Kommission, für bestimmte gesellschaftliche Bereiche „Partnerschaften“ zu entwickeln (S. 22 des Weißbuchs). Das Konzept der „Partnerschaftsvereinbarungen“ kann aus Sicht der EKD insbesondere aus zwei Gründen zu einer besseren Einbindung gesellschaftlicher Kräfte und damit letztlich auch der Menschen in politische Entscheidungsprozesse beitragen: durch die Partnerschaftsvereinbarung würde für einen bestimmten Sektor ein Diskussionsforum geschaffen, in dessen Rahmen die politischen Entscheidungsträger mit gesellschaftlichen Kräften im Gespräch blieben. Daneben werden zugleich gesellschaftliche Ressourcen mobilisiert. Die Partizipation im Rahmen der Partnerschaftsvereinbarung realisiert die gesellschaftliche Eigenverantwortung der beteiligten Gruppen und entspricht so dem Grundgedanken der „Governance“.

Innerhalb der Partnerschaftsvereinbarungen würden auch die Kirchen ihren Platz finden und könnten sich so beratend in die politische Entscheidungsfindung einbringen.


3. Offene Koordinierung

Die EKD begrüßt, dass die Kommission mit besseren Regeln, besseren Verfahrensweisen bessere Ergebnisse erzielen möchte (Kapitel 3.2. des Weißbuches) . Sie bedauert allerdings, dass die Zivilgesellschaft und Kirchen hierbei keine Erwähnung finden. Die offene Koordinierungsmethode, die die Zusammenarbeit, den Austausch bewährter Erfahrungen sowie die Vereinbarungen gemeinsamer Ziele und Leitlinien von Mitgliedstaaten bedeutet, kann z.B. bei ethischen Fragen und in den Bereichen der Sozial- und Einwanderungspolitik nicht ohne die Erfahrung der Zivilgesellschaft und Kirchen auskommen. Da beim programmbezogenen und legislativen Konzept auf europäischer Ebene die Zivilgesellschaft und Kirchen ihren Platz haben, muss dies auch bei der offenen Koordinierungsmethode, die immer weiter Raum greift, in strukturierter Weise erfolgen.


2. Teil. Begründung für die notwendige Beteiligung der Kirchen bei der Gestaltung der europäischen Politik

Nach Ansicht der EKD müssen Kirchen und Religionsgemeinschaften in die politischen Prozesse auf europäischer Ebene einbezogen werden. Das gebieten die besondere gesellschaftliche Bedeutung der Kirchen und ihr transnationaler Charakter.


1. Geistig-religiöses Erbe

Da ein Großteil der Bevölkerung im EU-Gebiet kirchlich oder religiös gebunden ist und die christlich -  jüdische Tradition und auch islamische Einflüsse das Leben in Europa seit zwei Jahrtausenden entscheidend geprägt haben und heute noch prägen, kommt den Kirchen und Religionsgemeinschaften bei der Gestaltung Europas eine besondere Rolle zu. Die Kirchen und Religionsgemeinschaften setzen wichtige Akzente bei der notwendigen spirituellen und ethischen Begleitung gesellschaftlicher Entscheidungsprozesse in Europa.

Letztlich lebt jede freiheitliche Rechtsordnung von der wertebildenden Kraft gesellschaftlich relevanter Gruppierungen, da dieses zentrale Bindekräfte sind, die die Gesellschaft zusammenhalten. Gerade das weltanschaulich neutrale Gemeinwesen lebt – wie es im Diktum des deutschen Verfassungsrechtlers Ernst-Wolfgang Böckenförde heißt – von Voraussetzungen, die es selbst nicht garantieren kann. Deshalb sind nicht nur die Staaten, sondern auch die Europäische Gemeinschaft als supranationaler Verbund darauf angewiesen, dass Kirchen, Religions – und Weltanschauungsgemeinschaften Werte bilden und vermitteln.   

Die Kirchen können insofern wichtige Beiträge leisten: dazu gehören Demokratienähe, der Toleranzgehalt des Christentums und die Verpflichtung auf Freiheit und Gleichheit der Menschen ebenso wie die nachhaltige Förderung und Stärkung der Gemeinschaftsfähigkeit: Ohne solche Werte kann eine freie Gesellschaft die Kraft für die Erfüllung ihrer Aufgaben und die Bewältigung ihrer Konflikte nicht aufbringen.

2. Akteur „sui generis“

Gegenüber anderen gesellschaftlichen Gruppen besitzen die Kirchen und Religionsgemeinschaften jedoch die Besonderheit, dass sie nicht aus dem gesellschaftlichen Produktions- und Reproduktionsprozess legitimiert sind, sondern die transzendente Dimension des menschlichen Lebens sichtbar machen; anders als andere gesellschaftlichen Verbände vertreten die Kirchen und Religionsgemeinschaften nicht Partikularinteressen. Deshalb dürfen die Kirchen nicht pauschal mit anderen gesellschaftlichen Kräften gleichgestellt werden, sondern besitzen einen „sui generis“-Charakter.

Sobald die Kirchen jedoch am Prozess der politischen Willensbildung teilnehmen, erfüllen sie eine ähnliche Funktion wie andere gesellschaftlichen Gruppen und können in Bezug auf die Methoden der Partizipation anderen gesellschaftlichen Verbänden gleichgestellt werden. Eine solche Quasi-Gleichsetzung bei der politischen Partizipation ist im politischen Alltag der Bundesrepublik Deutschland (gewohnheits-)rechtlich verankert. Beispielsweise werden die beiden großen Kirchen bei Gesetzgebungsprojekten in Bund und Ländern regelmäßig zu Anhörungen geladen, soweit „kirchliche Interessen“ berührt sind. Im politischen Alltag der Bundesrepublik wird der Begriff des „kirchlichen Interesses“ weit ausgelegt und berührt neben religiösen, ethischen und Statusfragen beinahe alle gesamtgesellschaftlich bedeutsamen Anliegen.


3. EKD und Zivilgesellschaft

Die Kirchen unterscheiden sich von anderen gesellschaftlichen Gruppen nicht in erster Linie durch die gesellschaftlichen Organisationsformen, derer sie sich bedienen, sondern durch den kirchlichen Auftrag, der ihr Handeln begründet, und darum bisweilen auch durch die Inhalte, die sie vertreten. Eine Gleichstellung mit anderen gesellschaftlichen Verbänden im Rahmen der politischen Partizipation beeinträchtigt deshalb nach Ansicht der EKD nicht die Eigentümlichkeit der Kirchen und ist mit dem protestantischen Selbstverständnis vereinbar.
 
Die EKD hat sich deshalb entschieden, mögliche Bedenken bezüglich der Spezifizität des kirchlichen Anliegens zurückzustellen und ähnlich wie andere gesellschaftliche Gruppierungen an der politischen Willensbildung auf europäischer Ebene teilzunehmen. Die EKD kann sich dabei vorstellen, sich in einer Reihe mit anderen gesellschaftlichen Gruppierungen an Foren für die Zivilgesellschaft und an weiteren beratenden Ausschüssen zu beteiligen.


4. Beteiligungsmodell

Für die EKD erscheint es in diesem Zusammenhang jedoch wichtig, klarzustellen, dass sie  dabei nicht zum politischen (Mit-)Entscheidungsträger werden will. Die Rolle der Kirchen liegt nach ihrem Verständnis im gesellschaftlichen Bereich und nicht im staatlichen Sektor. Eine institutionalisierte Rolle bei politischen Entscheidungen auf europäischer Ebene ist deshalb mit dem Selbstverständnis der EKD nicht vereinbar. Die EKD sieht die Rolle der Kirchen und Religionsgemeinschaften vielmehr im Rahmen eines „Beteiligungsmodells“, das gesellschaftliche Kräfte durch Beratungsmechanismen in politische Entscheidungsprozesse einbezieht. Die von der Kommission im Weißbuch vorgeschlagenen Möglichkeiten von verschiedenen Konsultationsmechanismen über eine Intensivierung des strukturierten Dialogs, den die Kommission derzeit mit den Kirchen und Religionsgemeinschaften praktiziert, bis hin zu Partnerschaften und der möglichen Stärkung eines veränderten Wirtschafts- und Sozialausschusses passen in diesen Kontext.

Im übrigen bezieht sich die EKD auf die Stellungnahme der Kommission Kirche und Gesellschaft der Konferenz Europäischer Kirchen (KEK) in Konsultation mit Aprodev, CCME und Eurodiaconia vom 27. 3. 2002 zum Weißbuch der Europäischen Kommission „Europäisches Regieren“.