Gemeindepartnerschaften – über die Mauer hinweg
Partnerschaften zwischen ost- und westdeutschen Kirchengemeinden waren wichtig zu Zeiten der Teilung – viele bestehen noch heute
Ein Abend im Januar 1989: In Neu-Bamberg, einem Dorf südöstlich von Bad Kreuznach, tagt der Kirchenvorstand. Es geht um eine besondere Reise, eine Reise auf die andere Seite des Eisernen Vorhangs. Mit der Kirchengemeinde in Oppin, unweit von Halle gelegen, besteht schon seit einigen Jahren eine Partnerschaft. Bisher gab es vor allem briefliche Kontakte, nun steht der erste Besuch im Osten an. Die Erwartungen sind gespannt. „Die Gastgeber wurden ausgelost“, erinnert sich Ruth Eisenberger, die langjährige Vorsitzende des Kirchenvorstands und Ortsbürgermeisterin von Neu-Bamberg.
Bis zum tatsächlichen Reiseantritt sollte es dann freilich noch dauern: Als die achtköpfige Delegation aus Rheinhessen schließlich im April 1990 von den Partnern in Oppin empfangen wird, ist die Mauer gefallen, die Grenze offen, die deutsch-deutsche Teilung fast schon Geschichte. „Wir wohnten in einem alten Bauernhof, der zur LPG gehörte. Alles war marode“, schildert Ruth Eisenberger ihre ersten Eindrücke, die sich mit denen vieler anderer decken, die damals den Osten Deutschlands besuchten. „Aber wir trafen auch auf äußerst engagierte Gemeindeglieder.“ Die wollen möglichst viel zeigen von dem, was den Partnern aus dem Westen bisher vorenthalten blieb. Es gibt Ausflüge nach Halle, Wittenberg und in den Wörlitzer Park. Zum Abschluss feiert man gemeinsam Gottesdienst.
Wurzeln der Partnerschaft reichen bis zum Kriegsende zurück
Kontakte wie die zwischen Neu-Bamberg und Oppin waren weit verbreitet. Fast jede Kirchengemeinde in der DDR war durch eine Partnerschaft mit einer Kirchengemeinde in der Bundesrepublik verbunden. Die Wurzeln reichen bis zum Kriegsende zurück: Im August 1945 wird das Hilfswerk der EKD gegründet, um Austausch und Unterstützung zu organisieren. Später werden die neun ostdeutschen und zwölf westdeutschen Landeskirchen einander zugeordnet, auf diese Weise kommen Hessen-Nassau und Kurhessen-Waldeck mit der damaligen Kirchenprovinz Sachsen (heute Teil der Evangelischen Kirche in Mitteldeutschland) zusammen. Künftig gibt es Kontakte auf allen Ebenen – von der Kirchenleitung, über Dekanate und Bezirke bis hinunter zu den einzelnen Kirchengemeinden, die einander zugeteilt werden. 1957 wird das Hilfswerk mit der Inneren Mission vereinigt, 20 Jahre später entsteht daraus das Diakonische Werk.
Neben persönlichen Begegnungen – nach Schließen der Grenze durch Mauer und Stacheldraht 1961 erheblich erschwert – sind praktische Hilfen, materiell und finanziell, wichtiger Bestandteil der Partnerschaften. Auch die Neu-Bamberger schicken nach dem offiziellen Start ihrer Partnerschaft 1985 Pakete unter anderem mit Lebensmitteln nach Oppin. Schieferplatten für die Kirchenrenovierung und ein Baugerüst werden bezahlt. Geldtransfers sind nur indirekt möglich. Diese Erfahrung macht der Neu-Bamberger Pfarrer Wolfgang Theile, als er seinen Oppiner Kollegen zum ersten Mal besucht. „Ich hatte 3.000 D-Mark in bar dabei“, erzählt er – den Erlös eines Gemeindeflohmarkts. Solche Geldübergaben sind verboten. „Also hab ich es wieder mitgenommen“, sagt Theile. Der offizielle Weg führt schließlich über das Amt für Außenwirtschaftsbeziehungen der DDR.
„Da war uns die Ostkirche einfach weit voraus“
„Die Bedeutung der kirchlichen Kontakte war enorm“, sagt die Historikerin Anette Neff, die sich mit den Partnerschaften zwischen Hessen-Nassau und der Kirchenprovinz Sachsen wissenschaftlich befasst hat. Der Blick in Stasi-Unterlagen habe gezeigt, wie intensiv der DDR-Sicherheitsapparat die Kirchen-Partner bespitzelt habe. „Es gab immer wieder Versuche, Pfarrer und andere Aktivisten abzuschöpfen.“ Ein hoher Funktionär der Kirchenprovinz entpuppt sich später als Spion. „Wir wussten, dass die Stasi mit am Tisch sitzt“, sagt auch Wolfgang Rauh, der frühere Vorsitzende des Kirchenvorstands in Oppin. Der Offenheit in den Diskussionen, den deutlichen Worten von der Kanzel habe das aber keinen Abbruch getan.
Diese Courage erntet bei den westlichen Partnern großen Respekt. Und auch auf geistlicher Ebene geben die ostdeutschen Gemeinden Impulse. Wolfgang Theile beeindrucken etwa die Bibelwochen: „Die waren dort ein großer Erfolg. Ich habe das Konzept dann bei uns übernommen.“ Ebenso das der Friedensdekade. „Da war uns die Ostkirche einfach weit voraus.“
Ähnliche Herausforderungen
Mehr und mehr begegnen sich die Partner auf Augenhöhe, es ist ein gegenseitiges Geben und Nehmen. Viele Verbindungen bleiben so auch nach der Wende bestehen. Eine Fragebogenaktion der Kirchenprovinz Sachsen im Jahr 2000 habe noch 121 aktive Partnerschaften mit Hessen-Nassau festgestellt, wie Anette Neff berichtet. Im Fall von Neu-Bamberg/Oppin kommt die Sache in den 90er Jahren erst richtig in Gang. Es gibt Besuche in jährlichem Wechsel, zwei gemeinsame Kirchenvorstands-Seminare und eine Konfirmandenfreizeit.
Beide Gemeinden stehen vor ähnlichen Herausforderungen. Sie sind Teil von größeren Verbünden, wie sie in ländlichen Regionen zunehmend typisch werden: In Neu-Bamberg ist ein Pfarrer für vier, in Oppin gar für neun Orte zuständig. Trotz größerer Neubaugebiete haben die Gemeinden keinen Zuwachs, es fehlt vor allem an jungen Leuten. Oppin hat heute noch rund 150, Neu-Bamberg rund 500 Mitglieder. Trotzdem tut sich etwas: In Oppin kann sich ein Kirchenchor etablieren – das „Herz der Gemeinde“, wie Wolfgang Rauh sagt. Seine Nachfolgerin als Vorsitzende des Kirchenvorstands, die selbst Geigerin ist, fördert die musikalischen Aktivitäten und die Kooperation mit der evangelischen Grundschule am Ort. Eine Gemeindepädagogin versucht aktuell, die Arbeit mit Kindern und Jugendlichen durch neue Angebote zu beleben. „Ich habe die Eigeninitiative der Oppiner immer bewundert“, sagt Ruth Eisenberger. „Die mussten selbst für alles sorgen, und diese Kraft ist noch immer da.“
Jörg Echtler (für evangelisch.de)