Grußwort von Dr. Irmgard Schwaetzer, Präses der Synode der EKD, anlässlich des sechzigjährigen Jubiläums von Aktion Sühnezeichen Friedensdienste am 27.5.2018
Es gilt das gesprochene Wort
Die Evangelische Kirche in Deutschland blickt mit Dankbarkeit auf das, was „Aktion Sühnezeichen Friedensdienste“ leistet. Spricht man mit Freiwilligen berührt der Weg jedes und jeder Einzelnen. Die Begegnungen, von denen die jungen Menschen erzählen, sind von unschätzbarer Bedeutung für unsere Gesellschaft. Jeder und jede Freiwillige stellt sich auf ihre oder seine Weise der deutschen Geschichte und den unterschiedlichen Lebensrealitäten, die es heute in der Welt gibt. Was dann in den jungen Menschen an Auseinandersetzungen und Erfahrungen geschieht, tragen sie in unsere Gesellschaft ein und in unsere Kirche. Nur so bleibt im Gedächtnis, was nicht vergessen werden darf. Nur so öffnet sich der Blick und es wird deutlich, wie unterschiedlich Menschen leben, welch unterschiedliche Erfahrungen sie prägen. Und ich bin sicher, dass sich die Haltung zum Leben verändert, für die, die sich einmal so intensiv auf eine andere Perspektive auf das Leben eingelassen haben, wie die Freiwilligen von ASF es tun.
Wir können unsere Geschichte und Gegenwart nur wirklich verstehen, indem wir unsere Augen nicht vor der Realität verschließen: Gedenkstätten, Berichte von Zeitzeugen, Dokumente der Zeit machen das möglich. Auch darin engagiert sich ASF sehr, dass diese Möglichkeiten gepflegt werden und erhalten bleiben. Heute gilt mein besonderer Dank Ihnen, sehr geehrter Herr Yehuda Bacon. Sie schenken den jungen Menschen Ihre Zeit, Sie teilen Ihren Schmerz, Sie machen sich immer wieder auf den Weg, hin zu der jungen Generation und zurück zu ihren Erinnerungen. Dafür sind wir alle Ihnen zu großem Dank verpflichtet.
Heute ist leicht zu sagen, dass die Gründung von ASF eine sehr gute Idee war. Blicken wir an den Anfang: „Aber, man kann es einfach tun!“ Mit diesem Satz leitete Lothar Kreyssig am 30. April 1958 den Gründungsaufruf von Aktion Sühnezeichen auf der EKD-Synode ein. Dieser Satz wird in diesen Tagen oft zitiert. Heute ist deutlich: er hatte Recht. Mutige Menschen haben es einfach getan. Doch nicht alle Synodalen haben das Anliegen unterstützt. Es gab viele Bedenken. So wurde Aktion Sühnezeichen außerhalb der Tagesordnung gegründet. Durch viele Gespräche am Rande und die Überzeugungsarbeit Einzelner. In den 50er Jahren war die Haltung bei Vielen, nicht nur, aber auch bei Christen: nicht hinschauen, weitermachen, nach vorne blicken, neu anfangen. Viele wollten sich ihrer eigenen Vergangenheit nicht stellen, ihre Verstrickungen nicht sehen, ihren Antisemitismus verdrängen. ASF verfolgte einen anderen Weg: hinschauen, sprechen, das Schweigen der Opfer aushalten. Mit der Gründung von ASF wurde ein neues Bewusstsein der Verantwortung für die Vergangenheit sichtbar. In der Diskussion um Schuld und Verantwortung für die Verbrechen des Nationalsozialismus lebten die, die sich bei ASF Engagierten vor, wie wir unserer Geschichte begegnen, Frieden suchen und die, die Gewalt und Unrecht erlitten haben um Versöhnung bitten können. Diese Haltung trägt auch in der Gegenwart, denn die Verantwortung für unsere Geschichte hört nicht auf. Darin liegt bis heute die große Stärke und Prägekraft von ASF: Geschichte und Gegenwart werden nicht getrennt, sondern zusammen gedacht.
Thomas Sternberg, der sein Grußwort heute leider nicht hier halten kann, fasst das so zusammen:
Die „Aktion Sühnezeichen Friedendienste“ hat im Nachkriegsdeutschland neue Wege der Versöhnungsarbeit aufgewiesen. Die Organisation mit ihren vielen Freiwilligen hat sich von Anfang an auch der herausfordernden und schmerzhaften Bereiche gewidmet. Die Aktion trägt das Wort „Friedensdienste“ im Namen. Frieden ist ein Begriff von höchster Aktualität, auch angesichts vieler neuer Nationalismen und Egoismen. Und Christen sind durch ihren Dienst charakterisiert. Diener im Sinne und Auftrag Jesu sein zu wollen, ist ein Kennzeichen christlicher Aktivität. Mit der Hinordnung auf die Anderen, mit dem Dienst, wir sind mitten im Kern des Christentums.“
Soweit Thomas Sternberg.
Die Auseinandersetzung mit dem Nationalsozialismus ist auch heute das große Thema von ASF. In die Öffentlichkeit hinein wirkt ASF mit eigenen Initiativen zur Aufarbeitung der Geschichte und Stärkung der Zivilgesellschaft durch Ausstellungen, Diskussionen, Predigtmeditationen und Anregungen zu Gottesdiensten, durch die Teilnahme an Kirchentagen. Besonders wichtig ist die kontinuierliche Sensibilisierung von Menschen gegen die allfälligen antisemitischen Stereotype und den Alltagsrassismus.
»Dem christlich-jüdischen Dialog kann man sich als Christ relativ leicht entziehen, dem christlich-jüdischen Verhältnis nicht«, so hat es Peter von der Osten-Sacken einmal treffend formuliert. Heute bedeutet das auch: wir dürfen die unerträglichen antisemitischen Äußerungen, die es in Blogs, Facebookkommentaren und in öffentlichen Reden von gewählten Politikerinnen und Politikern gibt, nicht ignorieren und nicht hinnehmen, und wir müssen wahrnehmen, wer aus welchen Gründen den „Daumen hoch“ Button klickt oder Beifall klatscht. Aber dabei darf es nicht bleiben. Es gilt, was Lothar Kreyssing 1958 bei der Gründung von AsF sagte: „Wir müssen es einfach tun.“ Reden mit denen, mit denen man reden kann und laut widersprechen, wo widersprochen werden muss.
Hinschauen, sprechen, sich der Schuld stellen. Das sind die zentralen Merkmale der Arbeit von ASF. Voller Dankbarkeit blicken wir heute auf die vielen guten Beziehungen, die entstanden sind zwischen den Freiwilligen und den Teilnehmerinnen und Teilnehmern der Sommerlager von Aktion Sühnezeichen Friedensdienste und den Partnern von ASF nicht nur in Israel, sondern auch in vielen anderen Ländern, in denen Menschen leben, die unter der nationalsozialistischen Gewaltherrschaft gelitten haben. Und dankbar sind wir denen, die eine Zeit ihres Lebens als Freiwillige und Teilnehmer der Sommerlager Verantwortung für die Folgen von Unrecht und Gewalt übernommen und so dem Frieden gedient haben.
Der Auftrag von ASF ist noch nicht erfüllt. Deshalb ist die Unterstützung der Aktivitäten von ASF für die Evangelische Kirche in Deutschland genauso wie für die evangelischen Landeskirchen bleibende Verpflichtung. Für die Zukunft aller bei ASF Engagierten und ihrer Partner erbitten wir weiter Gottes Segen.