Heidelberger Thesen 1959
Diskussion der Atomwaffenfrage in der EKD 1959
Hier werden zwei sich gegenüberstehende Positionen als komplementär miteinander verbunden beschrieben: einerseits die Überzeugung, Frieden nur durch Atomwaffenverzicht schaffen zu können, andererseits die Überzeugung, Frieden nur durch Atomrüstung und die damit verbundene Abschreckung schützen zu können.
Bereits in den 1950er Jahren gab es eine intensive Diskussion der Atomwaffenfrage in der EKD. Die „Heidelberger Thesen“ von 1959 sind ein maßgebliches Ergebnis dieser Debatten. Erarbeitet wurden sie von einer interdisziplinären wissenschaftlichen Kommission bei der Evangelischen Studiengemeinschaft auf Anregung des ersten Bevollmächtigten der EKD, Prälat Hermann Kunst. Der aus elf Thesen bestehende Abschlussbericht der Kommission wurde 1959 veröffentlicht. („Atomzeitalter – Krieg und Frieden“, hg. v. Günter Howe, Berlin/Witten 1959, S. 226-236)
Die in den Heidelberger Thesen aufgenommene, aus der Physik stammende Denkfigur der Komplementarität (vgl. Thesen 6 und 11) ist auch noch für die heutige Diskussion friedensethischer Positionen im Raum der EKD bedeutsam.
Als komplementär, also sich wechselseitig ergänzend, wurden 1959 folgende zwei sich gegenüberstehende Positionen oder Wege beschrieben: einerseits die Überzeugung, Frieden nur durch Atomwaffenverzicht schaffen zu können, andererseits die Überzeugung, Frieden nur durch Atomrüstung und die damit verbundene Abschreckung schützen zu können.
Diese beiden Positionen wurden als komplementär verstanden, da (vgl. These 11) der Weg der Atomrüstung und Abschreckung erst den geschützten Raum offenhalte, in dem es möglich ist, für einen Verzicht auf Atomwaffen einzutreten. Die Position, Atomwaffen abzulehnen andererseits, halte den auch für die andere Position wesentlichen geistlichen Raum offen, „in dem neue Entscheidungen vielleicht möglich werden“.
Als grundlegende Voraussetzung der Komplementarität der beiden Wege wird das gemeinsame Ziel der „Vermeidung des Atomkrieges“ benannt (vgl. These 6).
Quelle: Atomzeitalter – Krieg und Frieden, herausgegeben von Günter Howe, Witten/Berlin 1959, S. 226–236. Veröffentlicht mit freundlicher Genehmigung des Luther-Verlages Bielefeld.