Kirche mit Hoffnung
Vorwort
Das Anfang 1995 veröffentliche Diskussionspapier "Minderheit mit Zukunft" hat ein vielfältiges Echo gefunden. Das hat nicht zuletzt die Verfasser, eine Arbeitsgruppe von Theologen und Laien in Ostdeutschland, selber überrascht. Die Überlegungen zu Auftrag und Gestalt der ostdeutschen Kirchen in der pluralistischen Gesellschaft der Bundesrepublik haben eine breite und intensive Diskussion ausgelöst. Gemeinden, Gruppen und Mitarbeiterkonvente, Kreis- und Landessynoden haben sich damit befaßt. Auch im Westen Deutschlands hat die Studie Beachtung gefunden.
Die starke, in diesem Ausmaß gar nicht erwartete Resonanz hat die Verfasser zu einem Schritt veranlaßt, den sie ursprünglich nicht beabsichtigt hatten. Sie luden für Anfang 1996 zu einer Konsultation in das Augustinerkloster Erfurt ein, um ein Gesprächsforum über "Minderheit mit Zukunft" anzubieten, nachdem ihnen entsprechende Wünsche von vielen Seiten signalisiert worden waren. Bei dieser Konsultation war im Blick auf die als nötig angesehene Weiterarbeit zum ersten Mal von "Leitlinien" für die künftige kirchliche Arbeit die Rede(1). Damit verbanden sich Erwartungen, die Defizitanzeige und Hoffnungsansage zugleich waren.
Die ostdeutschen Landeskirchen haben den Wunsch nach neuen Leitlinien aufgenommen. Auf Anregung der leitenden Geistlichen haben sie zusammen mit der Berliner Außenstelle des Kirchenamtes der EKD dazu eine Arbeitsgruppe gebildet. Sie erhielt die Aufgabe, angesichts der Umbruchsituation, in der sich die ostdeutschen Kirchen befinden, Perspektiven und Schwerpunkte für die künftige Arbeit zu entwickeln. Sie sollten den Charakter von Leitlinien haben und damit - so die Hoffnung der Auftraggeber wie der Teilnehmerinnen und Teilnehmer der Erfurter Konsultation - zur Orientierung und Vergewisserung für die kirchliche Arbeit der nächsten Jahre beitragen.
In der Arbeitsgruppe haben mitgearbeitet:
Dietrich Affeld, Greifswald
Dr. Karl-Heinrich Bieritz, Rostock
Angelika Biskupski, Halle
Helge Klassohn, Dessau (Vorsitz)
Ingrid Koellner, Lutherstadt Wittenberg
Elke König, Greifswald
Volker Kreß, Dresden
D. Dr. Wolf Krötke, Berlin
Gudrun Lindner, Weißbach
Axel Noack, Magdeburg
Hans-Ulrich Schulz, Neuruppin
Heinrich Stühmeyer, Schwerin
Dr. Friedrich Wallbrecht, Jena
Dr. Helmut Zeddies, Berlin (Geschäftsführung)
Die Gruppe hat ihre Arbeit Ende Juni 1996 aufgenommen und im Januar 1998 abgeschlossen. In dieser Zeit waren die ostdeutschen Landeskirchen zu Entscheidungen über z.T. einschneidende Sparmaßnahmen und Strukturveränderungen genötigt. Die Arbeitsgruppe hatte diese Entwicklung in ihre Überlegungen einzubeziehen. Die Tatsache, daß Mitglieder der Gruppe in ihrer Kirche jeweils selber an diesen Entscheidungen beteiligt waren, hat dies erleichtert und zugleich den nötigen Informationsaustausch gewährleistet.
Die "Leitlinien" sind nicht im Auftrag der EKD, wohl aber bewußt in ihrer Mitte erarbeitet worden. Ausgelöst ist das Projekt durch die weitreichenden Veränderungen in den östlichen Gliedkirchen. Dabei war jedoch immer auch die Gemeinschaft in der EKD im Blick, für die diese Entwicklung zunehmende Aufmerksamkeit erfordert.
Zur Arbeitsplanung der Gruppe gehörte deshalb eine Konsultation, in der sie den vorläufigen Stand ihrer Überlegungen zur Diskussion gestellt hat. An dieser Konsultation, die Anfang Dezember 1997 stattfand, haben Vertreterinnen und Vertreter der EKD sowie aus ihren östlichen und westlichen Gliedkirchen und von Theologischen Fakultäten teilgenommen haben. Auf Grund der Gesprächsbeiträge im Plenum und in mehreren Arbeitsgruppen ist der Text noch einmal eingehend überarbeitet worden. Danach wurde er von der Arbeitsgruppe abschließend gebilligt.
Die Studie "Kirche mit Hoffnung" möchte erneut einen Konsultationsprozeß initiieren. Leitlinien zur Verständigung über die Perspektiven für die künftige Arbeit können nicht durch kirchliche Anordnung in Kraft gesetzt werden. Sie können allenfalls als Ergebnis einer Konsensbildung wirksam werden. Darum empfiehlt die Arbeitsgruppe, in Gemeinden, in der Mitarbeiterschaft, auf synodaler und kirchenleitender Ebene sowie zwischen den beteiligten Kirchen selber ein umfassendes Gespräch in Gang zu setzen.
Demzufolge wendet sich der Text nicht nur an Kirchenleitungen und Synoden, sondern ebenso an hauptamtliche Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter wie an engagierte Laien und an andere interessierte Gemeindeglieder, die sich angesichts der Umbruchsituation Gedanken über die Zukunft der Kirche machen.
Der Arbeitsgruppe kam es bei ihren Überlegungen nicht darauf an, um jeden Preis originelle oder revolutionäre Ideen zu verkünden. Sie hat nach den Zukunftssignalen gefragt, die es inmitten der Veränderungen zu entdecken gilt, nach Orientierungen, die den verbreiteten Pragmatismus überwinden helfen, und nach möglichen Handlungsimpulsen, die daraus zu gewinnen sind. Wo es ihr sachgemäß erschien, hat die Gruppe dabei auch Ansätze aufgenommen, verstärkt oder aktualisiert, die aus dem gleichen Anlaß schon früher entwickelt worden sind.
Die beträchtlichen Unterschiede in den landeskirchlichen Strukturen lassen allerdings verallgemeinerungsfähige Konkretisierungen der Überlegungen nur in begrenztem Umfang zu. Ein detailliertes Reformprogramm konnte deshalb auch nicht Sache der Arbeitsgruppe sein. Dies muß von den Kirchen selber geleistet werden. In der Schlußbemerkung wird darauf ausdrücklich hingewiesen. Aufgabe der Gespräche, die dazu in und zwischen den beteiligten Kirchen geführt werden sollten, wird es deshalb auch sein, die vorgelegten Überlegungen auch hinsichtlich ihres Praxisbezuges auf den Prüfstand zu stellen.
Berlin, im Januar 1998