Impulse zur Kasualkultur (I)
„Mein Leben lang habe ich auf einen solchen Moment gewartet, da kommt es auf diese Stunde nun auch wirklich nicht an“, sagt M. (67), nachdem sie am Abend im Rahmen einer drop-in-Taufe Mitglied der evangelischen Kirchen geworden ist. Kirchenentwicklerisch stehen wir an der Schwelle zu neuen Gelegenheitskulturen.
Dazugehören in progress
Dazugehören kann heute offensichtlich – analog zum schleichenden Austritt – das Ergebnis eines langandauernden, jahrzehntelangen Prozesses sein. Stimmiges Erleben, die Einordnung biografischen Erinnern und auch der einfache Weg, an diesem Tag die Schwelle zur Kirche zu überwinden, spielen eine wichtige Rolle. 89% der „Kirchlich-Religiösen“ unter den Kirchenmitgliedern und immerhin auch 58% der „Säkularen“ stimmen laut einer EKD-Studie aus dem März 2024 der Aussage zu: „Ich empfinde es so, dass mir Repräsentanten der Kirche nicht vorgeben, was ich zu glauben habe, sondern ich als Kirchenmitglied selbst darüber bestimmen kann, was die Kirche ist.“
Hier und da wird in Kirchen derzeit sichtbar, wo es der Organisation gelingt, Räume zu schaffen, in denen Menschen autonom ihrem Glauben Ausdruck verleihen können. Eine stimmige Atmosphäre, freundliche Menschen, geplante Abläufe, Möglichkeiten zum Verweilen, zum Ausloten eigener Nähe und Distanz, Getränke und gute Erreichbarkeit machen es leicht, dabei zu sein. Wer dabei ist, weiß genau, weshalb er oder sie getauft werden möchte und kann dies zum Ausdruck bringen, oft jenseits traditioneller Bekenntnislogik.
Die Taufenden umgekehrt benötigen nicht nur die Fähigkeit, dies aufzunehmen und angemessen liturgisch zu formatieren, sondern ganz allgemein die Kompetenz, autonome Einstellungen dazu, „was Kirche ist und Taufe bedeutet“, zu orchestrieren. Es könnte sein, dass es für diejenigen besonders leicht ist, die sich bewusst sind, dass sie selbst autonome Einstellungen zu dem haben, „was Kirche ist“. Eine liturgische „Werkbuchlogik“ hilft im Blick auf verantwortliche, kurzfristige Flexibilisierung liturgischen Handelns, die Voraussetzung ist für die Anforderungssituationen, die in diesem Format auftreten. Was in der pastoralen Berufskompetenzdebatte seit einiger Zeit im Grundsatz verhandelt wird, tritt hier konzentriert auf: Die Transformation von biografischen Vignetten in plausible theologische Deutungskontexte in sehr kurzer Zeit, das Management von Schnittstellen zwischen alltäglichem Sprechen und liturgischem Setting, das Handling von mehreren Kasualsettings gleichzeitig, die Orientierung im Spannungsfeld zwischen „Anleitung“ und z.T. hoher Religionsproduktivität aller Beteiligten.