Interview mit Heinrich Bedford-Strohm zu 30 Jahre Mauerfall

„Es ist geradezu beängstigend, wie wenig wir von den Biografien der jeweils Anderen wissen“

Heinrich Bedford-Strohm

Es liege noch viel Aufarbeitung vor den Deutschen, sagte Heinrich-Bedford Strohm in seinem Interview anlässlich drei Jahrzehnten Mauerfalls. Er glaube, noch wichtiger als politische Fragen seien die persönlichen Erfahrungen.

 

Berlin (epd). Fast drei Jahrzehnte nach der deutschen Wiedervereinigung sieht der Ratsvorsitzende der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD), Heinrich Bedford-Strohm, unverarbeiteten Ärger auf beiden Seiten der ehemaligen Mauer. „Wir haben noch überhaupt nichts aufgearbeitet, das liegt noch vor uns“, sagte der bayerische Landesbischof dem Evangelischen Pressedienst (epd). Es sei „geradezu beängstigend, wie wenig wir von den Biografien der jeweils Anderen wissen“, ergänzte er.

Viele Ostdeutsche hätten Demütigungen erfahren, etwa im Zusammenhang mit dem Verlust des Arbeitsplatzes. „Positives, das aus Ostdeutschland in die gemeinsame Zukunft eingebracht wurde, ist oft nicht wirklich sichtbar geworden, etwa bei Kinderbetreuung oder der Beschäftigung von Frauen“, sagte Bedford-Strohm. Er glaube, noch wichtiger als politische Fragen seien die persönlichen Erfahrungen. „Das ist kein Thema für Schuldzuweisungen in die eine oder andere Richtung. Wir müssen einander einfach zuhören“, sagte er.  

Abbrucherfahrungen nach der Wende

Mit Blick auf die hohen Wahlergebnisse der AfD in Brandenburg und Sachsen sagte der oberste Repräsentant der deutschen Protestanten, er glaube, „dass das auch etwas zu tun hat mit den Abbrucherfahrungen nach der Wende“. Manchem sei nicht deutlich geworden, dass hinter den Fernsehbildern aus dem Westen „immer auch eine Lebensrealität steckte, die auch mit vielen Schwierigkeiten verbunden war“. Das habe sicher auch zu übersteigerten Hoffnungen geführt. Neben der Erfahrung materiellen Zugewinns gab es seiner Einschätzung nach im Osten auch den Verlust gesellschaftlicher Teilhabe. „Ich glaube, dass manche Leute sich bei den jüngsten Wahlentscheidungen über manche Enttäuschung und Kränkung einfach Luft gemacht haben“, sagte er.

Der EKD-Ratsvorsitzende erneuerte seine Position zum Umgang der Kirche mit der AfD. „Wir werden auch weiterhin klar benennen, dass bestimmte Grundeinstellungen öffentlich nicht propagiert werden dürfen Rassismus, Antisemitismus, Menschenfeindlichkeit“, sagte er. Gleichzeitig müsse die Kirche für das Gespräch mit allen Menschen offen bleiben, auf offizieller Ebene aber nicht gleichermaßen mit allen Parteien. Es gebe in der AfD viele, die nicht rechtsradikal seien, sagte Bedford-Strohm und ergänzte: „Mit denen muss man reden, ihnen aber auch klar sagen, dass sie Rechtsradikalen Deckung geben.“ Sie hätten eine Mitverantwortung dafür, „dass aus dieser Partei heraus Thesen vertreten werden, die in Deutschland nicht salonfähig werden dürfen“.

epd-Gespräch: Corinna Buschow und Jens Büttner