„Gott, siehst du mich?“
Sie gestaltet Kunstwerke zum Bibelvers des Jahres - und erreicht mit ihren Karten und Postern Tausende. Merkmal der Grafikerin aus Esslingen: Bunte Farben und Textcollagen.
Esslingen am Neckar/Stuttgart (epd). Ein ganzer Stapel an Skizzen und Papierstreifen liegen auf dem Schreibtisch von Dorothee Krämer in ihrem Grafikbüro in Esslingen. „Es braucht Zeit und Herzblut, bis das Motiv zur Jahreslosung entstanden ist“, sagt sie. Dann erklärt sie die vielen Schritte, bis aus Ideen und Versuchen, Postkarten und Poster werden, die jedes Jahr Tausende Menschen in Deutschland erreichen.
Seit 2005 entwickelt die Grafikdesignerin in Kooperation mit dem Evangelischen Jugendwerk Württemberg (Stuttgart) ein Motiv zur Jahreslosung. Die „Jahreslosung“ - das ist ein kurzer Bibelvers, der Christen im deutschsprachigen Raum durch das Jahr begleitet und von der Ökumenischen Arbeitsgemeinschaft für Bibellesen (ÖAB) ausgewählt wird. Für das Jahr 2023 lautet der Vers: „Du bist ein Gott, der mich sieht“ (1. Mose 16,13) - eine Aussage, die laut Bibel von Hagar, einer Magd stammt, die schwanger in die Wüste floh und der dort Gott begegnete.
Bestimmt 150 Versuche mit Tusche und dickem Pinsel habe sie gebraucht, bis eine Figur entstand, die ihr gefiel, erzählt Krämer. Ihre „Hagar“ sollte eine neutral aussehende Person sein, damit sich jeder Betrachter mit ihr identifizieren kann. Die Figur bewegt sich auf einem Weg, eine Oase ist angedeutet, links zeigt sich eine Gewitterfront.
Auch eine eigene Geschichte hat die Künstlerin mit der Jahreslosung. Anfang 2022 sei es ihr selbst nicht gut gegangen, da sie ein persönliches Problem sehr belastete. Genau in dieser Zeit sollte sie für den Verlag das Motiv für die Jahreslosung entwerfen. Für sie schien das kein passender Zeitpunkt zu sein. Wie sollte sie etwas Tröstliches malen, wo sie doch selbst Trost brauchte?
Sie stand in ihrem Atelier im Dachgeschoss und blickte aus dem Fenster über die Häuser der Stadt. „Siehst du mich überhaupt, Gott?“ betete sie. Doch plötzlich spürte sie neue Hoffnung in sich aufkeimen, wie sie erzählt. Sie machte sich ans Werk, denn ihr war auf einmal klar, dass sie als Symbol der Gottesbegegnung, die Hagar hatte, „ganz warme Farben“ verwenden wollte. Während sie mit den Farben experimentierte, und gefärbte Tütenfetzen auf dem Bild hin - und herschob, bekam sie Frieden über ihre eigene Situation, erzählt sie. Sie spürte, dass Gott auch sie nicht vergessen hatte.
Immer wieder ist die Künstlerin verblüfft, wenn sie in E-Mails von den Geschichten hört, die Menschen mit ihren Jahreslosungsmotiven erleben. So meldete sich eine Frau bei ihr und sagte, sie brauche unbedingt das Plakat aus dem Jahr 2008, in dem die Jahreslosung lautete: „Ich lebe und ihr sollt auch leben (Johannes 14,10)“. Seit ihrer Krebsdiagnose vor zehn Jahren habe sie der Vers begleitet ebenso wie das Motiv, auf dem ein Schmetterling in den Himmel steigt, erzählte die Frau. Sie werde nun bald wegen ihrer Krebserkrankung sterben und das Plakat solle bei ihrer Beerdigung aufgehängt werden. „Wie der Schmetterling werde ich dann auch in den Himmel fliegen und bei Gott sein“, sagte sie.
Krämers Schaffen ist vielfältig. Die gelernte Lithografin und Grafikdesignerin hat eine Liebe zu Buchstaben und Texten und verarbeitet Bibelverse in Collagen. Ihr neuester Einfall sind sogenannte „Lichtbilder“ aus Acrylglas, durch die das Licht scheinen kann und bei denen Segen und Gebete in Farbe und Licht verwandelt werden. Ein Markenzeichen der Künstlerin: bunte, knallige Farben. „Mit Erdfarben fange ich nichts an“, sagt sie.
Ihre Werke hängen in Gemeindehäusern und Kirchen - und auch in ihrem eigenen Haus. „Ich möchte, dass die Texte Menschen umgeben“. Viele Texte aus der Bibel hätten eine „enorme Kraft und Energie“, sagt sie. „Es ist wichtig, dass sie unter die Leute kommen.“