Die späte Ernte des Bischofs Bursche
76 Jahre nach seinem Tod wird der polnische Protestant geehrt, der durch die Nazis ums Leben kam
Man hat an diesem sonnigen 20. Februar 2018 das Gefühl, als würde eine Saat der Versöhnung zwischen Polen und Deutschen aufgehen. Eine Saat die vor langer Zeit gesät wurde. Von Bischof Juliusz Bursche, einem polnischen Protestanten mit deutschen Wurzeln, der 1942 durch den Nazi-Terror starb. Bedeutend ist er bis heute unter den Protestanten Polens, in Deutschland hingegen nahezu unbekannt.
Zur Gedenkfeier auf dem städtischen Friedhof in Berlin-Reinickendorf ist eine große Delegation aus Polen angereist: die Nachfahren Juliusz Bursches, darunter sein Urenkel Juliusz Gardawski, sowie der leitende Bischof der Evangelisch-Augsburgischen Kirche in Polen, Jerzy Samiec. Er und sein Berliner Kollege Markus Dröge, Landesbischof der Evangelischen Kirche Berlin-Brandenburg-schlesische Oberlausitz, halten die Predigten und sprechen die Worte der Andacht.
Der Ort seines Grabes war unbekannt
Der 20. Februar 1942 ist der Todestag von Bischof Juliusz Bursche. Zwei Hobby-Historikern aus Polen und Deutschland ist es zu verdanken, dass nun seine Nachkommen, 76 Jahre nach seinem Tod, an einem Gedenken, einer Trauerfeier für ihren Vorfahren teilnehmen können. Für Jahrzehnte lagen die Umstände von Juliusz Bursches Tod im Dunkeln und der Ort seines Grabes war unbekannt. Seine sterblichen Überreste galten bis vor Kurzem als verschollen. Ein Überbleibsel des Nazi-Terrors.
Die Nationalsozialisten mordeten akribisch und versuchten ebenso akribisch, die Geschichten der Opfer unsichtbar zu machen. Der Urenkel des Bischofs, Juliusz Gardawski, erzählt, dass die Tochter des Bischofs kurz nach Erhalt der Todesurkunde ins Gestapo-Hauptquartier nach Warschau ging, um die Überführung der sterblichen Überreste ihres Vaters zu regeln. Nachdem ihr dieser Wunsch verwehrt wurde, wandte sie sich an den zuständigen Gestapo-Offizier: „Habt ihr sogar vor seiner Asche Angst?“, habe sie gefragt. Die Antwort des Gestapo-Mannes: „Bedenken Sie, mit wem Sie sprechen.“
Die Hobby-Forscher Klaus Leutner und Pawel Wozniak haben auf ihrer Spurensuche die Urne von Juliusz Bursche ausfindig gemacht und mühsam die Ereignisse rekonstruiert. Sie lasen sich durch Krankenhausakten, suchten das nächst gelegene Krematorium und baten die Friedhofsverwaltung um Hilfe. Nach und nach konnten sie so das Puzzle zusammensetzen. Gestorben ist Bischof Juliusz Bursche an einer Lungenentzündung im Polizeikrankenhaus in Berlin-Mitte nach zweijähriger Internierung im KZ Sachsenhausen. Er wurde eingeäschert und auf dem Gemeindefriedhof in Berlin-Reinickendorf beerdigt. Es war ein besonderer Moment, als Bischof Markus Dröge am 29. Oktober 2017 bei den zentralen Feierlichkeiten zum Reformationsjubiläum in der Warschauer Kirche Sankt Trinitatis diese Unterlagen überreichen und der Familie mitteilen konnte, wie Bischof Juliusz Bursche ums Leben kam.
Ein Mensch, der das Leben umarmte
Ums Leben kam – wie tragisch treffend die Redensart für jemanden wirkt, der, wie sein Urenkel Juliusz Gardawski erzählt, ein Mensch war, der das Leben umarmte, der den Sommer über in seinem Garten Rosen und Bäume pflanzte, der sich eine Zigarre und ein Gläschen Wein am Tag gönnte, der die Musik liebte und das polnische evangelische Gesangsbuch mitverfasste. Er hatte es sich zur Pflicht gemacht die Protestanten in Polen zu einen, denn Nationalität war kein Maßstab für ihn, wenn es um den Glauben ging. Eine Haltung, die im deutsch-besetzten Polen brandgefährlich war und für die Bursche am Ende mit seinem Leben bezahlen sollte. Er nannte es in einem seiner Briefe, die er aus dem Lager nach Hause schickte, die „Tragödie meines Lebens“, dass sein Lebenswerk „eine kräftige, einflussvolle, evangelische Kirche, die Polen und Deutsche eint“, nun zerstört werde.
Die Geschichte Polens und Deutschlands ist wechselvoll und über lange Zeit von Leid geprägt. Sie beginnt nicht erst mit dem Überfall der Nazis 1939. Um zu verstehen, warum den Deutschen sogar die Asche des Bischofs Angst machte, muss man weiter zurückgehen. Juliusz Bursche stammte von deutschen evangelischen Einwanderern ab, die sich in Polen, damals Kongresspolen, niedergelassen hatten. Juliusz Bursche gehörte zur zweiten Generation, die in Polen aufwuchs und das Land als seine Heimat begriff. Die Familie gehörte zum Bürgertum. Im Hause wurde deutsch gesprochen und die lutherische Reformation war identitätsstiftend. Sein Vater war Vikar und so lag es nahe, dass auch Juliusz Bursche eine theologische Laufbahn anstrebte.
Im Geiste einer protestantischen Ökumene
Als Erwachsener war er überzeugter Verfechter einer polnischen Unabhängigkeit, ohne jedoch seine deutschen Wurzeln zu vergessen. Sein Urenkel sagt: „Die Familie lebte in einem polnischen Haus, in dem deutsch gesprochen wurde.“ Vor diesem Hintergrund war es naheliegend, dass Bursche im Geiste einer protestantischen Ökumene versuchte, die evangelischen Christen in Polen, eine Minderheit in dem katholischen Land, zu einen. Die Sprache der Andacht und des Gebets dürfe die Gläubigen nicht trennen, davon war er überzeugt. Vielmehr müsse man sich auf das Gemeinsame besinnen und in der Tradition lutherischer Freiheit friedlich miteinander glauben. Diese moderne, übernationale Haltung wurde ihm, wie vielen anderen der deutschen und polnischen intellektuellen Elite, zwischen den Weltkriegen zum Verhängnis. Die Nazis warfen ihm eine „Polonisierung“ der Deutschen vor und die Kirchenleitung hatte sich im Zuge der Gleichschaltungs-Politik längst in die Gefolgschaft der deutschen Besetzer ergeben.
Kirchenhistoriker und Bursche-Forscher Bernd Krebs schreibt dazu: „Durch ihre offene Zustimmung zum 'nationalen Aufbruch' in Hitler-Deutschland, die fast pathologisch zu nennende Verklärung der dortigen Zustände und durch ihre weitreichenden Zugeständnisse gegenüber der neuen 'Volksgruppen'-Führung, hatten sich Kirchenleitung und Pastorenschaft längst in eine folgenreiche Abhängigkeit begeben.“
Das Fenster, der Blick in den Himmel. Derselbe Blick wie damals
Als Bursche 1937 der erste Landesbischof seiner Kirche wurde, war sein Schicksal schon besiegelt. Anfang September 1939 begann der Überfall auf Polen und kurz darauf begannen die Verhaftungen. Am 3. Oktober 1939 nahm die SS Bischof Bursche fest. Von Polen aus wurde er zunächst in ein Gestapo-Gefängnis gebracht und schließlich Anfang 1940 ins KZ Sachsenhausen.
Urenkel Juliusz Gardawski hat nun zum zweiten Mal das KZ Sachsenhausen besucht. Erst diese erneute Ortsbegehung vervollständigt nun sein Bild der Gefühls- und Wahrnehmungswelt des Bischofs, die er bislang nur aus den Briefen kannte, die Bursche alle zwei Wochen aus dem Lager an seine Familie in Polen schickte. Gardawski nennt es ein „unverschuldetes Misslingen der Lebensmission“ des Bischofs. Doch wie erst muss sich dieses Scheitern für den Bischof selbst angefühlt haben? Gardawski verweilte beim Besuch des KZ etwas länger in der Zelle, in der Bischof Bursche inhaftiert war.
Später erzählt Gardawski, was er gesehen und empfunden hat: Kahle Wände, Betonfußboden, ein Ort des kalten Funktionierens. Und doch gebe es das Fenster, den Blick in den Himmel. Derselbe Blick wie damals. Gardawski sagt, er habe die Wolken am Himmel gesehen und sich vorgestellt, dass auch sein Urgroßvater die Wolken gesehen habe, die aus dem Osten vorbeizogen; vielleicht habe er darin die Gebete und warmen Gedanken seiner Familie erkannt. Und vielleicht habe sich sein Urgroßvater vorgestellt, dass der Wind aus dem Westen die Liebe für seine Familie in den Osten geschickt habe.
Auch wenn es keine Asche gab, so errichtete man Bischof Bursche dennoch ein Grab in Polen. Einen symbolischen Ort des Gedenkens neben der Dreifaltigkeitskirche in Warschau. Und während der kalte Krieg den Graben zwischen den beiden Ländern vertiefte, die Nachkriegs-EKD dem Vergessen des polnischen Bischofs kein Ende setzte, hatte man den Bischof in Deutschland fast vergessen. Erst die Wende in der Ost-Politik und die Wende von 1989 brachten eine langsame Annäherung in der Beziehung der beiden protestantischen Kirchen. „Zarte Bande, die zu einem Netzwerk wurden“, so beschreibt es Landesbischof Dröge in seiner Predigt an diesem 20. Februar 2018.
Späte Würdigung einer Lebensleistung
Das Großwerden des Nationalsozialismus hatte viel mit Angst und Gleichgültigkeit zu tun. In einer gemeinsamen Pressemitteilung der beiden protestantischen Kirchen und der Familie heißt es:
„Anfang 1933, am Tag der Verkündung von Wahlergebnissen in Deutschland als die Nationalsozialisten die Macht übernahmen, weilte Bischof Bursche in Berlin und war Zeuge eines Nachtmarsches der Nazis mit Fackeln. In einem der Briefe an seine Familie kommentierte Bischof Bursche dieses Erlebnis mit unmissverständlichen Worten des Widerstandes gegen den chauvinistischen Nationalismus.“
Aus Asche, so heißt es, entsteht neues Leben. Und nachdem die Experten die Urne genauer untersucht haben und die Asche des Bischofs nach Polen überführt werden kann, dann ist das für die Familie des Bischofs und den aktuellen Bischof der Evangelisch-Augsburgischen Kirche in Polen Jerzy Samiec die späte Würdigung seiner Lebensleistung. Und auch ein Beweis für eine übernationale Einheit zwischen Deutschen und Polen. Die Saat von Bischof Bursche, die Früchte trägt.
Karola Kallweit (für evangelisch.de)
Bildquellen:
Bild 1 (Galerie): Wikimedia Commons/Piotrus/Beskid Museum in Wisła (CC BY-SY 3.0)
Bild 2 (Galerie); Wikimedia Commons/Mateusz Opasiński (CC BY-SY 3.0)