Präsidiumsbericht

3. Tagung der 13. Synode der EKD vom 6. bis 9. November 2022 in Magdeburg

Anna-Nicole Heinrich, Präses der Synode der EKD

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Bericht der Präses der Synode der EKD

Anna-Nicole Heinrich

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Es gilt das gesprochene Wort

Liebe Synodale,

die Synode im letzten Jahr hat uns ganz konkrete Themen mit auf den Weg gegeben, die wir vorangebracht haben: 

  • Sexualisierte Gewalt und Betroffenenpartizipation. Hier ist mit der Einsetzung des Beteiligungsforums ein großer Schritt gemacht, jetzt geht’s an die Inhalte.
     
  • Mit dem Antrag „Die Zeit ist jetzt“ ist das Thema Klimaschutz und Klimagerechtigkeit ganz oben auf die Agenda geschrieben. Und die Klimaschutzrichtlinie ein erstes Ergebnis unserer Bemühungen.

Im letzten Jahr ist viel passiert. Mit dem völkerrechtswidrigen Angriffskrieg von Russland auf die Ukraine stehen Fragen der Friedensethik vor einer neuen Situation. Die Auswirkungen dieses Krieges führen uns erneut vor Augen, wie verwundbar das Miteinander ist, und dass Frieden keine Selbstverständlichkeit, sondern immer gefährdet ist.

Gleichzeitig stehen wir weiter vor der Aufgabe, die Kirche der Zukunft zu gestalten. Die 12. Synode hat mit ihren Zukunftsprozessen klare Perspektiven dafür aufgemacht und uns als Auftrag mit auf den Weg gegeben.

Was sich für mich im letzten Jahr dabei durchgezogen hat, und das gilt auch für die übrigen Präsidiumsmitglieder, sind Fragen, die wir uns persönlich stellen können, die aber auch für uns als Kirche anliegen. Fragen, die Resonanz ausgelöst haben, die die Menschen bewegen, denen wir im letzten Jahr begegnet sind. Fragen die bewegen, weil sie unserer Verlorenheit, Einsamkeit und Überforderung eine Perspektive geben: Wie finde ich Halt in aller Unsicherheit? Beheimatung in aller Ruhelosigkeit? Hoffnung in aller Aussichtlosigkeit? Und: Wie finden wir Wege, Bilder, Sprache, Stories um dieses Sehnen, die Suche danach auszudrücken?

Gerade hänge ich an dem Bild der Slackline:

Ein Band, ungefähr wie ein LKW-Gurt, ist zwischen zwei Bäumen gespannt. Die Aufgabe: drauf stehen, drüber laufen, springen. Mir machts Spaß, auch wenn ich nicht so richtig gut drin bin. Es geht um Balance, Konzentration und Koordination. Ich mach das gerne mit Freund:innen. Wir treffen uns, gehen raus an coole Spots, im Park, im Wald oder sonst wo, wo zwei Bäume rumstehen. Es ist immer ein guter Anlass, sich zu verabreden, aber es ist mehr: Wir kommen zusammen, kommen raus, kommen auf neue Gedanken, konzentrieren uns in aller Lockerheit.

Wir spannen den Gurt. Ich steig auf, direkt am Baum, wo es nicht so wackelig ist, halte mich eine Zeit lang an ihm fest, um ein Gefühl für die Line zu bekommen. Den Baum loslassen, das eigene Gleichgewicht finden – gerade am Anfang muss man sich immer wieder dazu überwinden. Den Baum loslassen, an dem ich mich hochgezogen habe, der da so zuverlässig steht und Halt gibt.

Dann geh ich den ersten Schritt, halte mich noch fest, so lange es geht, stehe kurz frei, balanciere drei-vier Schritte, fange an zu strugglen. Das Band schwingt hin und her, ich bin dankbar, dass eine Freundin neben mir mitläuft. Meine Hand sucht panisch nach Halt, findet ihre Schulter, ich fange mich wieder, konzentriere mich aufs Ziel, den Baum am Ende. Ich stabilisiere mich, das Ziel gibt Motivation, Richtung, Halt. Ich gehe langsam wieder los, bis meine Beine anfangen zu zittern, ich strauchle – oh Gott: danke, dass ich ins weiche Gras falle. Wir lachen – sie ist dran.

  • Der Baum: mein Startpunkt. Da fang ich an, kann mich festhalten, hochziehen wenn ich runtergefallen bin.
     
  • Das Ziel, auf das ich mich fokussiere. Ein Fixpunkt, der mir sagt, wo es hingeht, mich stabilisiert und mir ein bisschen meine Angst nimmt.
     
  • Der Weg, auf dem ich nicht allein bin, auf dem Freund:innen neben mir sind, an denen ich mich auch mal festhalten kann. Wir reden, reflektieren, spornen uns an, machen uns Mut.

Slacklinen, ein starkes Bild für drei Sachen, die Halt geben. Der Baum, der Weg und das Ziel. Wenn wir das auf unsere Situation als Kirche, als Synode, übertragen:

  • Dann ist da der Baum, an dem ich aufsteige: die Tradition[1]. Die Tradition von Ritualen, die mir ganz vertraut sind, Abläufen und Routinen, die sich gut bewährt haben, Texten, Liedern, Melodien. Immer wieder entdecke ich „neue“ alte Äste, Gebete, Verse, die mich ansprechen. Ich kann mich hier festhalten, aufhalten, Halt finden; kann das weitergeben, anderen zeigen. 
     
  • Auf der anderen Seite gibt’s den Baum, auf den ich versuche hinzubalancieren, die Zielvorstellung – manchmal direkt vor Augen, manchmal eher in der Ferne zu erahnen. Eine christliche Hoffnung auf gerechten Frieden, verantwortliches Zusammenleben mit der Schöpfung und gelebte Nächstenliebe. Eine Kirche der Zukunft: vielfältig vernetzt und ermöglichend.[2]
     
  • Und: gemeinsam unterwegs sein, Kirche auf einer wackeligen Slackline. Unterwegs zwischen Tradition und Verheißung. In Bewegung. Vielleicht weil Gott selbst nicht statisch ist, seine Schöpfung immer in Bewegung ist. Vielleicht auch weil wir uns selbst verändern. Ein Schritt vor, ein unsicherer zurück, mal tastend mal selbstsicher. Manchmal auch daneben ins weiche Gras, neu aufsteigen, kein Problem.

Und dann beobachten wir: Gerade bringen Krisen uns ins Wanken. Die Slackline wackelt, Unsicherheit bringt die Knie zum Zittern. Der Angriffskrieg gegen die Ukraine in Europa raubt uns das Gleichgewicht, die Beben der Klimakrise nehmen zu, bedrohen uns.[3] Die falschen Versprechungen der Populisten haben Konjunktur, die sozialen Verwerfungen wachsen unaufhaltsam – unsere Welt gerät in schweres Wasser.[4]

Was heißt das für uns als Synode hier und jetzt?

Wir kommen nicht vorbei an den Krisen, die wir erleben, können nichts wegignorieren, können nicht auf den Baum der Tradition klettern, die Augen zumachen und so tun, als wäre nichts – das wird nicht funktionieren. Wir müssen uns damit theologisch beschäftigen und brauchen zugleich pragmatische Antworten. Und wir müssen unsere Haltung gesellschaftlich vertreten und dabei die Gerechtigkeitsfrage immer wieder in den Mittelpunkt stellen. Soziale Gerechtigkeit, globale Gerechtigkeit, Generationengerechtigkeit.

Und wir brauchen die Zielvorstellungen, die Orientierung, den Fixpunkt, auf den wir uns hin ausrichten, sonst haben wir keine Spannung im Band, sondern wackeln unkontrolliert vor uns hin. Wir finden Antworten in der christlichen Hoffnung, haben gut losgelegt mit den Zukunftsprozessen, sind an ganz vielen Stellen dabei, das zu konkretisieren. Aber wir werden es nicht schaffen, auf ein Problem nach dem anderen einzugehen. Hier ein Patch, da ein Fix, bringt uns nicht weiter. Es braucht Ideen, wo es insgesamt hingehen soll. Wir suchen nach einem konkreten greifbaren Bild von einer Kirche der Zukunft. Die Eindrücke aus Karlsruhe und von meiner New York-Reise machen mir deutlich: Es geht nur gemeinsam, im Netzwerk mit anderen. Mit anderen Kirchen, der weltweiten Ökumene und dem Blick fürs Globale[5], mit anderen Akteur:innen und Partner:innen, die für Sachen einstehen, die wir aus christlicher Überzeugung heraus pushen wollen. Denn gemeinsam macht Slacklinen mehr Spaß.

Das Bild der Slackline haben wir genutzt, um zu illustrieren:

Wo finden wir Halt in aller Unsicherheit? Wo finden wir Beheimatung in aller Ruhelosigkeit? Und Hoffnung in aller Aussichtslosigkeit?

Wir haben es genutzt, weil es zeigt: Es hilft, gemeinsam eine Sprache zu finden, Bilder und Ausdrucksformen zu haben, die uns halten, stabilisieren und Gleichgewicht geben (auf unserer Slackline). Es hilft uns im Präsidium und so werden wir auch als Synode gemeinsam Wege finden, uns zwischen Tradition und Verheißung fortzubewegen, selbst wenn die Slackline unter uns wackelt.

Wir nehmen daraus mit: die Fähigkeit zu artikulieren, was uns trägt und bewegt, also: „sprach- und handlungsfähig Glauben“, ist ein Thema, das es lohnt, immer wieder in den Blick zu nehmen – gerade in Zeiten, in denen Halt und Hoffnung oft so weit weg scheinen. Nicht nur exemplarisch in unserem Bericht, sondern gerne auch im nächsten Jahr etwas ausführlicher. Wir würden uns freuen, eine ökumenische internationale Perspektive auf das Thema zu werfen, und unser Denken, Reden, Handeln – kirchliches und diakonisches – aus dem Glauben heraus – #AusLiebe – zu verbinden.
 

Liebe Synode, ich freue mich, wir im Präsidium freuen uns sehr aufs gemeinsame Slacklinen. Aufs gemeinsame Wackeln, vielleicht auch mal fallen, aber vor allem aufs immer wieder loslegen, aufs gemeinsame Halt finden.


Fußnoten:

[1] Die „12 Leitsätze“ haben die „Kenntnis der kirchlichen Tradition als Quelle geistlichen Lebens“ und als Grundlage für eigene und neue Formen der Spiritualität neu ins Bewusstsein gehoben (Leitsatz 1). Gleichzeitig wird die Realität christlichen Lebens „bunter und vielfältiger“ (Leitsatz 7). Es bleibt eine wichtige Aufgabe, im Zusammenspiel von Landeskirchen und EKD die Gottesdienst- und Predigtkultur – etwa auch beim Prozess Neues Gesangbuch – im Modus der Pluralität weiterzuentwickeln. Ziel muss sein, auch mit Blick auf die Abbrüche der Corona-Zeit, unterschiedlichen Anspruchsgruppen Angebote für die Beheimatung in evangelischer Glaubenspraxis zu machen.

[2] Dies wird in den „12 Leitsätzen“ mit der Aufgabe „Öffentlicher Verantwortung“ der Kirche beschrieben. Das Präsidium begrüßt in diesem Zusammenhang die vom Rat angestoßene Reform des EKD-Kammersystems in Richtung Netzwerkbildung, Partizipation und Integration diverser Expertisen.

[3] Die „12 Leitsätze“ heben Nachhaltigkeit und Generationengerechtigkeit als wichtiges Kriterium für alle kirchlichen Leitungsentscheidungen hervor. (Leitsatz 10) Dies gilt auch für konkrete Schritte von EKD Landeskirchen im Bereich Klimaschutz. Hier haben sich die Erwartungen der Synode auf eine breitenwirksame Umsetzung des Appells von Bremen 2021 durch die bisherigen Maßnahmen noch nicht komplett erfüllt.

[4] In den „12 Leitsätzen“ haben die EKD-Leitungsgremien klar ihre kompromisslose Haltung gegen demokratiefeindliche Ansätze hervorgehoben: „Das Evangelium hat gegenüber totalitären und menschenverachtenden Positionen eine kritische Kraft“ (Leitsatz 3).

[5] Die „12 Leitsätze“ betonen, dass die ökumenische Gemeinschaft, auch im kirchlichen Alltagsleben vor Ort, in Zukunft noch wichtiger wird. (Leitsatz 4) Gleichzeitig sind für den Fortschritt in unserer in Jesus Christus begründeten Einheit stetige Aufmerksamkeit und Liebe zum Austausch und zum Dialog notwendig. Deswegen bleibt es ein Anliegen, auch neue und experimentelle Formen des ökumenischen Miteinanders zu suchen.