Predigt anlässlich des 50-jährigen Jubiläums des Kirchen Entwicklungsdienstes

Landesbischof Heinrich Bedford-Strohm, Vorsitzender des Rates der Evangelischen Kirche in Deutschland

Es gilt das gesprochene Wort

Eph. 2, 8-10: Denn aus Gnade seid ihr gerettet durch Glauben, und das nicht aus euch: Gottes Gabe ist es, nicht aus Werken, damit sich nicht jemand rühme. Denn wir sind sein Werk, geschaffen in Christus Jesus zu guten Werken, die Gott zuvor bereitet hat, dass wir darin wandeln sollen.

Liebe Festgemeinde,

aus Gnade seid ihr gerettet durch Glauben – und das nicht aus euch: Gottes Gabe ist es! Es ist gut, dass heute von der Gnade die Rede ist, da wir 50 Jahre Kirchlicher Entwicklungsdienst feiern. Dieses alte Wort passt zu diesem Jubiläum. Ja, es ist eine Gnade, dass es den KED gibt. Es ist eine Gnade, dass die Synode in Berlin-Spandau 1968 ein Zeichen dafür gesetzt hat, dass Glaube aus der Kraft Gottes und Solidarität zwischen den Menschen untrennbar miteinander verbunden sind. Es ist eine Gnade, dass mit den Mitteln des KED unzähligen Menschen Wege zur Teilhabe an den gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Prozessen eröffnet worden sind. Es ist eine Gnade, dass durch die Bildungsarbeit des KED vielen Menschen der Horizont für die anderen und zu einem bewussteren Leben geöffnet worden ist. Und es ist eine Gnade, dass wir hier in Deutschland so reich gesegnet sind mit materiellen Mitteln, dass wir sie mit anderen auf der Welt teilen können.

Dass dieses große Wort „Gnade“, dass der Glaube an Jesus Christus, in dem Gottes Gnade einen Namen bekommen hat, nicht auf religiöse Innerlichkeit reduziert werden kann, sondern untrennbar verbunden ist mit der Liebe, mit dem Engagement für die Überwindung der Not der Anderen, das hat Helmut Gollwitzer damals in seinem Vortrag vor der Synode deutlich gemacht. Wie könnten wir uns nicht anrühren lassen von der Not der anderen? Wie könnten wir nicht die Frage stellen, wie die Strukturen, die verantwortlich sind für ihre Not, so zu verändern sind, dass alle Menschen in Würde leben können? Wie könnten wir uns nicht auch in den politischen Diskussionen zu Wort melden, bei denen es genau um diese Frage geht?

Ethisches Handeln, politische Verantwortungsübernahme sind nicht optional, sie sind Konsequenz gelebten Glaubens. Nicht umsonst zitiert Helmut Gollwitzer diese Passage aus dem 2. Kapitel des Epheserbriefes. Wozu sind wir da, was ist unser Auftrag? Die Antwort ist klar: Wir sind „in Christus geschaffen zu guten Werken.“

Diese Worte sprechen nicht von einem Gesetz, das uns bestimmte Verhaltensregeln vorschreibt, die es einzuhalten gilt, dienstbeflissen und freudlos, aber nicht befreiend. Sondern sie sind Worte der Freiheit. Das gesamte 2. Kapitel des Epheserbriefs steht unter der Überschrift „Neues Leben als Geschenk der Gnade“. Christlicher Glaube entspringt dem Staunen, der Dankbarkeit über das einzigartige Geschenk neuen Lebens, das uns in Jesus Christus zuteilwird.

Vielleicht ist die Erfahrung des Kindererziehens ein Hinweis auf das, was damit gemeint ist. Viel Energie, viel Liebe verwenden wir, um unseren Kindern ein sicheres, von Liebe geprägtes Aufwachsen zu ermöglichen, ihnen Chancen zu eröffnen, ihnen eine gute Kindheit und Jugend aufzubauen. Wir opfern viel dafür, nehmen viel auf uns, damit es unseren Kindern gut geht. Aus Liebe geben wir ihnen einen Raum der Geborgenheit, damit sie blühen können.

Auf solche Räume der Geborgenheit sind wir alle angewiesen. Unsere Kinder, wir selbst – und genauso Menschen, die anderswo auf der Welt leben.

Aber wie kann das, was der Epheserbrief doch eigentlich so klar sagt, wirklich gelebt werden? Auch da eben, wo es nicht um die eigene Familie geht?

„…wir sind sein Werk, geschaffen in Christus Jesus zu guten Werken, die Gott zuvor bereitet hat, dass wir darin wandeln sollen.“ Eigentlich gibt es keinen Zweifel darüber, was mit diesen guten Werken gemeint ist. Das Doppelgebot der Liebe – Gott lieben und den Nächsten lieben – gibt eine klare Orientierung. Und dazu die Goldene Regel Jesu: „Alles, was ihr wollt, dass euch die Leute tun sollen, das tut ihnen auch.“ Dass jeder Mensch das Recht hat, in Würde zu leben, dass er genug Nahrung hat, genug Medizin hat, um zu leben, dass müsste doch eigentlich klar sein! Dafür müsste doch eigentlich gesorgt sein!

Wir alle wissen, dass es nicht so ist. Und vielleicht spüren wir auch alle, tief drin oder auch durchaus bewusst, wie skandalös es ist, dass wir es nicht schaffen, die Güter der Welt so zu verteilen, dass jeder leben kann. Es gibt eine Passage in dem Gleichnis vom reichen Mann und dem armen Lazarus, die mich besonders beunruhigt. Der reiche Mann landet im ewigen Feuer und möchte seine Verwandten warnen, dass sie richtig leben, damit es ihnen nicht ebenso geht, und sagt zu Abraham: „So bitte ich dich, Vater, dass du Lazarus sendest in meines Vaters Haus; denn ich habe noch fünf Brüder, die soll er warnen, damit sie nicht auch kommen an diesen Ort der Qual. Und Abraham sagt einfach nur: Sie haben Mose und die Propheten; die sollen sie hören. Hören sie Mose und die Propheten nicht, so werden sie sich auch nicht überzeugen lassen, wenn jemand von den Toten auferstünde.

Liebe Schwestern und Brüder, wir wissen, was zu tun ist. Wir haben Mose und die Propheten, wir haben die Gebote. Wir müssen nur endlich danach handeln. Der KED ist für mich ein starker Ausdruck genau davon.

Welcher Segen aus solchem Handeln erwächst, habe ich während der Delegationsreise des Rates der EKD ins Südliche Afrika im März diesen Jahres sehen können. Gleich am ersten Tag kamen wir in ein kirchliches Entwicklungsprojekt nach Hillbrow in Johannesburg. Seit den 90iger Jahren ist das einer der gewalttätigsten Stadtteile, mit hoher Arbeitslosigkeit, überdurchschnittlich vielen Straßenkindern und Migrant/innen, ein Zentrum von HIV-AIDs Kranken und Obdachlosen. Und doch, als wir auf das Kirchengelände mitten in diesem Stadtteil kamen, umgeben von heruntergekommenen Hochhäusern und dem Lärm der Großstadt, kamen wir aus dem Staunen nicht mehr heraus. Es begegneten uns Menschen, die seit vielen Jahren beharrlich und nachhaltig Räume der Geborgenheit für Kinder und Jugendliche, Obdachlose und Drogenabhängige, Migrantinnen und Erwerbslose vorhalten: von einem Kindergarten über ein Musikzentrum, ein Jugendtheater und eine handwerkliche Ausbildungswerkstatt, ein Computer Zentrum bis hin zum neueröffneten Beratungszentrum für Obdachlose und Abhängige. Was uns die Menschen erzählten, welche Zuversicht sie ausstrahlten, mit welcher Begeisterung sie uns über das Gelände führten und voller Stolz ihre Arbeit vorstellten, hat uns zutiefst berührt und beschämt. Denn auch wenn sie selbst nicht viel hatten, so waren sie doch ganz selbstverständlich bereit, es mit denen zu teilen, die ihre Hilfe und Solidarität brauchten.

Es war ein eindrucksvolles und inspirierendes Zeugnis dafür, wie durch Solidarität eine Welt entstehen kann, in der alle an den wirtschaftlichen und sozialen Prozessen teilhaben können.

Genau dafür setzt sich der KED nun seit 50 Jahren ein. Die Synodalen und kirchenleitend Verantwortlichen in Berlin-Spandau 1968 haben dafür den Grund gelegt. Als Konsequenz der Beschlüsse des Ökumenischen Rats von Uppsala 1966 sollte auch in Deutschland fortan Ziel der Evangelischen Kirche in Deutschland, ihrer Landeskirchen und kirchlichen Werke und Einrichtungen sein, nicht nur mit Spenden, sondern echtem entwicklungspolitischen Einsatz und gelebter Solidarität auf die Ungerechtigkeiten bei der Verteilung von Wohlstand und dem Zugang zu Märkten und Möglichkeiten zu antworten. Konkret sollten die Landeskirchen zunächst zwei Prozent aller kirchlichen Haushaltsmittel für die Aufgaben des kirchlichen Entwicklungsdienstes zur Verfügung stellen und diesen Betrag bis zum Jahr 1975 auf fünf Prozent zu steigern. Diese Mittel sollten zusätzlich zu den Spendenmitteln für die 1959 gegründete Aktion Brot für die Welt und zusätzlich zu den staatlichen Mitteln für die 1962 gegründete Evangelische Zentralstelle für Entwicklungshilfe „der Bekämpfung von Armut, Hunger und Not und deren Ursachen dienen.“

In der Folge dieses historischen Aufrufs von 1968 kam es nach und nach zur Gründung kirchlicher Entwicklungsdienste in den Landeskirchen, im Kirchenamt der EKD und in den verschiedenen Werken. Zusammen bauten Kirche und Diakonie so über viele Jahrzehnte ein starkes und weitgespanntes Netz entwicklungspolitischer Arbeitszweige auf. Mit der Verschmelzung der verschiedenen Entwicklungswerke und dann auch der Inlandsdiakonie zum Evangelischen Werk für Diakonie und Entwicklung (EWDE) 2012 ist dieser Prozess auf EKD-Ebene vorläufig abgeschlossen.

Unser Grundverständnis von Diakonie und Entwicklung als Evangelische Kirche heute liegt ganz in der Ziellinie der Spandauer Synode: Direkte Hilfe für Menschen in Not und Anwaltschaft für die Armen in den öffentlichen Debatten schließen sich nicht nur nicht aus, sondern bedingen einander.

„‚Geliehen ist der Stern, auf dem wir leben‘ Die Agenda 2030 als Herausforderung für die Kirchen.“ So heißt ein Impulspapier der Kammer der Evangelischen Kirche in Deutschland für nachhaltige Entwicklung, das der Rat der EKD gerade veröffentlicht hat. Dort wird leidenschaftlich für eine Weltwirtschaft der Zukunft plädiert, in der alle Menschen auf dieser Erde in Würde leben können und in die Zerstörung der Natur überwunden wird.

Die Inhalte dieser Schrift sind – ganz im Sinne der Arbeit des Kirchlichen Entwicklungsdienstes – ein Aufruf, das zu leben, was der Epheserbrief uns mit auf den Weg gibt: „Wir sind sein Werk, geschaffen in Christus Jesus zu guten Werken, die Gott zuvor bereitet hat, dass wir darin wandeln sollen.“

Dankbar schauen wir heute auf 50 Jahre Segen zurück, der auf der Arbeit des Kirchlichen Entwicklungsdienstes liegt und der von dieser Arbeit für so viele Menschen ausgegangen ist. Und wir bitten Gott um seinen Segen für die Zukunft. Dass wir die Gnade erfahren mögen, mit der wir gerettet sind durch Glauben. Dass wir in den guten Werken wandeln mögen, die Gott zuvor bereitet hat. Dass wir als Kirchen den Geist der radikalen Liebe, den Geist der Gerechtigkeit, den Geist des Lebens selbst ausstrahlen mögen, den unser Herr Jesus Christus gelebt und uns ins Herz gegeben hat. Dass wir selbst Zeuginnen und Zeugen des neuen Himmels und der neuen Erde sein mögen, auf die wir zugehen. Dass wir Zeuginnen und Zeugen dafür im Hier und Jetzt sein mögen.

Das verleihe Gott uns allen.

Und der Friede Gottes, der höher ist als unsere Vernunft, bewahre eure Herzen und Sinne in Christus Jesus.

AMEN